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Medien: Die Philosophin privat

Versuch einer persönlichen Annäherung: Arte-Themenabend zum 100. Geburtstag von Hannah Arendt

„Ich bin meiner Meinung, dass mein Privatleben niemanden etwas angeht“, sagte Hannah Arendt, begleitet von ihrem tiefen Lachen, und verschwand wie die mysteriöse Cheshire Cat oder Lachkatze aus „Alice im Wunderland“ zwischen zwei dichten Rauchwolken. 1964 war sie als erste Frau zu Gast in Günter Gaus’ legendärer Interview-Sendung „Zur Person – Porträts in Fragen und Antworten“. Mit dieser koketten Erwiderung benannte die politische Philosophin zugleich das Problem, vor dem all ihre Biographen stehen: Ihre Gefühle wollte sie, die schon in ihrer Jugend als sehr verletzlich galt, durch strikte Diskretion schützen. Sechs Arendt-Filmdokumentationen gebe es schon in Deutschland und Frankreich, sagte Regisseur Jochen Kölsch bei der Münchner Vorpremiere von „Hannah Arendt – Denken und Leidenschaft“, doch habe ihm bislang der emotionale Blick gefehlt. Trotz der schwierigen Materiallage ist es Kölsch und seinen Drehbuchautorinnen Clarissa Ruge und der Arendt-Forscherin Ursula Ludz gelungen, ein höchst aufschlussreiches Kaleidoskop der unkonventionellen Frau, Jüdin, Liebenden und Freundin hinter der Jahrhundertfigur zu entwerfen.

Die Ansichten von Brücken bestimmen dieses Arte-Porträt zu Hannah Arendts hundertstem Geburtstag am 14. Oktober: Ästhetisch kühne Konstruktionen wie die Brooklyn Bridge, die einen freien Blick in die aufgetürmten Wolken erlauben. Die Philosophin verwendete das Symbol der Brücke oft in ihren Schriften. Es ist sogar ein Brücken-Gedicht von ihr überliefert, das mit dem Vers endet: „Ich tanze, ich tanze, in ironischem Glanze.“ Vorgetragen wird es von Sabine Kastius, deren Einfühlungsvermögen als Sprecherin in diesem Film außerordentlich ist.

„Mehr als den Anblick können wir nicht empfehlen. Hier leben wir.“ So beschrieb Uwe Johnson mit dem ihm eigenen verhaltenen Pathos New York im Roman „Jahrestage“. Seine Heldin Gesine ist glücklich, in eine Wohnung am Riverside Drive mit Blick auf den Hudson zu ziehen. Dort begegnet sie jüdischen Emigrantinnen aus dem „alten Europa“, liebenswerten Figuren, in denen der Autor indirekt Hannah Arendt ein Denkmal setzte. Sie hatte sich am Riverside Drive 370 niedergelassen. Nach der Internierung in Südfrankreich gelangte sie 1941 mit ihrem zweiten Mann Heinrich Blücher und ihrer Mutter fast mittellos nach New York, für sie zunächst „ein sehr großes Berlin“. Im Februar 1933 war die Berliner Studentin wegen zionistischer Untergrundaktivitäten verhaftet worden, kurz darauf entzog ihr das nationalsozialistische Deutschland die Staatsbürgerschaft. Erst 1951 erhielt sie den US-amerikanischen Pass. Die dazwischenliegenden Jahre als Staatenlose müssen die Totalitarismus-Forscherin sehr belastet haben, auch weil sie kein Land hatte, in dessen Belange sie sich mit Fug und Recht einmischen konnte. Die Emigrantin Mrs. Ferwalter aus den „Jahrestagen“ erhält ihre amerikanischen Bürgerpapiere „wie eine neue schützende Hülle, noch ein Bollwerk gegen die Vergangenheit“.

Ein wenig unvermittelt blendet das Porträt von Arendts letzter Heimat New York, wo sie am 4. Dezember 1975 nach einem geselligen Abendessen an einem Herzinfarkt starb, in ihre Königsberger Kindheit zurück. Hier wuchs sie als einzige, früh vaterlose Tochter einer wohlhabenden jüdischen Familie auf, die sich völlig assimiliert hatte. Erst durch Hänseleien ihrer Mitschüler wurde sie auf ihr Jüdisch-Sein als ein Anders-Sein aufmerksam, womit sie sich exemplarisch in ihrer Biographie über die jüdische Intellektuelle Rahel Varnhagen auseinandersetzte. „Philosophie studieren oder ins Wasser gehen“, sei für die begeisterte Kantianerin schon als Halbwüchsige die einzige Alternative gewesen, heißt es im Film. Hannah Arendts lebenslange amour fou zu ihrem Marburger Dozenten Martin Heidegger zeichnet er behutsam und fern aller Trivialität nach. Als sie 1949 zum ersten Mal nach Europa zurückkehrte, sei sie nicht davon abzubringen gewesen, ihre nicht zuletzt politisch so zwiespältige große Liebe wiederzusehen, erinnert sich eine Nichte Arendts.

„Zwischen zwei Menschen entsteht manchmal eine Welt, in die man sich retten kann“, wird Hannah Arendt an anderer Stelle zitiert. So erweist sich die Frau, der man einerseits als Berichterstatterin im Jerusalemer Eichmann-Prozess (Grundlage für ihre berühmte Schrift über die „Banalität des Bösen“) ihren ironischen Ton übelnahm, auf der anderen Seite als ein Genie der Freundschaft. „Wo Karl Jaspers hinkommt und spricht, da wird es hell“, sagte sie in einer Laudatio auf ihren lebenslangen väterlichen Freund. Eine ähnliche Helligkeit verbreitet auch dieser Arte-Themenabend, der mit zwei Interviews ausklingt: Dem erwähnten mit Günter Gaus sowie einem Gespräch, das Hannah Arendt 1973 mit dem französischen Journalisten Roger Errera führte. Diese Begegnung am Riverside Drive wird erstmals im deutschen Fernsehen ausgestrahlt.

„Hannah Arendt – Denken und Leidenschaft, Freitag, 13.10, um 22 Uhr 25, Arte; Arendt im Gespräch mit Günter Gaus anschließend um 23 Uhr 35; „Hannah Arendt in New York“ um 0 Uhr 05

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