zum Hauptinhalt

Medien: Die Politik, eine Telenovela

Eine

am ZDF„Kanzleramt“ von Joachim Huber

Mehr kann in 45 Minuten Fernsehen wirklich nicht passieren: Sex, Verrat, Ohrfeige, Erpressung, Kündigung, Trost, Ehekrise, Schwangerschaft, Verzeihung, Neuanfang auf allen Ebenen. Passiert ist all dies am Mittwochabend nicht in irgendeiner Telenovela, passiert ist das in der Serie „Kanzleramt“, dem fiktionalen Erklärstück des ZDF über Macht und Machthaber in der politischen Mitte Berlins. Was der Sender und sein für das „Kanzleramt“ verantwortlicher Programmdirektor Thomas Bellut akzeptieren müssen: Das Publikum, das große Publikum der Hauptsendezeit, hat sich von der Serie verabschiedet. Gestartet mit 4,87 Millionen Zuschauern, sind die Quoten stetig nach unten gegangen: 2,98 Millionen, 2,38 Millionen, jetzt am Mittwoch 2,32 Millionen (Marktanteil 7,3 Prozent). Die Euphorie des ZDF war enorm, der aufgebaute Werbedruck im Programm und anderswo massiv. Geholfen hat es wenig. Viele Zuschauer haben sich davon überzeugt, dass sie auf das „Kanzleramt“ getrost verzichten können. Bellut redet sich die Enttäuschung erst einmal schön, spricht davon, dass wir „die Zuschauer mit der höchsten Bildung haben bei dieser Serie, ein Viertel hat Hochschulabschluss“. Was er meint: „Kanzleramt“ hat die „richtigen“ Zuschauer, die schlauen und die (sehr ) politisch Interessierten. Diese Zuschauer hat das Zweite auch mit anderen, auf jeden Fall politisch gemeinten Sendungen: „Frontal 21“, „Berlin Mitte“, „Berlin direkt“, nur als Beispiele. Da schalten beträchtlich mehr ein als nur die Kerntruppe der politischen Alleswisser. Die übrigen, die politisch halb oder halbwegs Interessierten, sehen in sehr großer Zahl Nachrichten, die das ZDF nicht nur um mit „heute“ um 19 Uhr, sondern bereits vorher im Stunden-Takt anbietet.

Da laufen genau jene ständig durchs Bild, die auch im „Kanzleramt“ agieren. Nur: Bei den Nachrichten, bei den politischen Talkshows und Magazinen handelt es sich um politische Information über politische Akteure. „Kanzleramt“ ist eine Serie, sie will zuerst Unterhaltung im Setting des Kanzleramtes sein. Will das große Publikum Polit-Unterhaltung, nachdem es im ZDF – und in den konkurrierenden Programmen – von den permanenten Schröders, Merkels und Westerwelles geplagt worden ist. Das große Zauberwort der „Politverdrossenheit“ taugt da nicht als vollgültige Erklärung. Das Interesse an Politik ist nicht so groß, wie es die politisch Interessierten immer glauben und sich, in Form der Selbstsuggestion und zur Bestätigung eigener Wichtigkeit, glauben machen.

Zudem das ZDF bisher eine saubere Trennlinie gezogen hat: Serien-Unterhaltung bedeutet „Hallo, Robbie!“, das Pilcher-Lindström-Imperium, eine stark parfümierte Sicht auf Menschen als Privatpersonen mit privaten Problemen und happy endings, dazu Kriminetten, in denen das Gute das Böse in Haste-nich-gesehen-Manier überwindet. Maxime: Entspannung des ausgepowerten Mitbürgers.

Das „Kanzleramt“ rückt davon ab, es will das politische Feld als Serienstoff urbar machen. Das ist mutig, nur ist das Produkt nicht mutig gearbeitet. Es fehlen Zutrauen und Klarheit darüber, was die Macher überhaupt wollen. Dieses „Kanzleramt“ spielt im Nirgendwo, die größte Ähnlichkeit mit lebenden Personen hat das Bühnenbild. Alles ist so gewollt harmlos, weil von der Sorge geplagt, es könnte auch nur einer an irgendeiner Stelle den Eindruck gewinnen, beim „Kanzleramt“ handele es sich um das Kanzleramt des Gerhard Schröder. Die Regierungspartei ist No-Name, selbst ein afrikanischer Diktator heißt, wie kein afrikanischer Diktator heißt. Angenommen, ein afrikanischer Diktator erkennt sich wieder – kommt er dann nicht mehr in die Talkshow „Berlin Mitte“? Das ZDF passt auf.

Der Sender hat mit „Kanzleramt“ Richtiges gewollt, dann eine Menge falsch gemacht, und es würde den falschen Schluss ziehen, wenn der Sender die Verbindung Politik und Unterhaltung aufgeben würde. Das deutsche (Serien-)Fernsehen steht mit dem Format der politischen Unterhaltung am Anfang. Gemacht hat ihn das ZDF, und gerade das ZDF sollte nicht aufgeben. Andernfalls gilt das Wort vom ZDF als dem „Zentrum Der Freude“.

-

Zur Startseite