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Medien: Die Spannung eines Tages

Vorher? Nachher? Jo Baiers Film „Stauffenberg“ konzentriert sich auf den 20. Juli 1944

Kein Land hat viele Tage solchen Ranges, sagte der Historiker Joachim Fest bei der Premiere von Jo Baiers „Stauffenberg“-Film im Berliner Hebbel-Theater. Und dennoch zähle dieser 20. Juli 1944 nicht zu unserem „nationalen Bestand“, sei er immer ein Gedenktag zweiter Klasse geblieben. In den Nachkriegsjahren und noch sehr lange danach mag es daran gelegen haben, dass über fünfzig Prozent der Bevölkerung das Hitler-Attentat als Ärgernis empfanden. Wenn nicht als Verrat. Und heute? Trennt uns von Stauffenberg, Tresckow und den anderen, dass keiner von ihnen die politische Ordnung der Bundesrepublik gemeint hat? Fest glaubt es und hat für so viel historische Naivität nur Verachtung.

Jo Baiers „Stauffenberg“, den die ARD am 25. Februar zeigt, ist ein guter Film. Seine Bilder, ein großes Publikum hat es gesehen, bestehen auch auf der Leinwand. Aber auch seine Gefährdung wird hier deutlicher. Da kommt in einer allerersten Szene der junge Stauffenberg mit seiner Freundin Nina zu spät in die Oper. Zu Wagner natürlich, Hitler ist schon da. Und anstatt sich still in die Seitenloge zu setzen, erörtert der Jungmilitär situationsvergessen mit seiner Freundin die Kunstliebe des Diktators, um ihr dann einen Heiratsantrag zu machen. Soviel Kino, denkt man, hält kein Kino aus.

Das Gute an Wagner-Opern ist, dass sie derart laut sind, dass man niemanden stört, wenn man laut redet, fand Oscar Wilde. Hat Drehbuchschreiber und Regisseur Baier zu viel Wilde gelesen? Sebastian Koch als Stauffenberg und Nina Kunzendorf als Nina retten die Szene, so gut sie können. Und noch einmal ist es Koch, der eine im Grunde unspielbare Szene auffängt: Als die Soldaten den Bendler-Block stürmen, muss Stauffenberg an seinem Schreibtisch sitzen und einen Monolog beginnen: „Ich hatte einen Traum …". Das hört sich dann ungefähr an wie Faustens Schlussmonolog im zweiten Teil.

Aber Baier hat Glück. Sein Film entwickelt längst schon eine Kraft, die über solche Untiefen hinwegträgt. Denn er macht das einzig Richtige – nämlich wenig Worte und überlässt sich ganz der Eigendynamik dieses einen Tages deutscher Geschichte. Schon die Chronik dieses 20. Juli liest sich wie ein offenes Drehbuch. Morgens um 7 Uhr fliegt Stauffenberg mit seinem Adjudanten Werner von Haeften nach Ostpreußen ins „Führerhauptquartier“, um 12 Uhr 42 detoniert die Sprengladung, um 15 Uhr erst läuft die Operation „Walküre“ an – am Abend ist selbst in Paris die SS bereits entmachtet – , spät in der Nacht werden Stauffenberg und drei Mitverschwörer erschossen, von Tresckow tötet sich am 21. Juli.

Nur ein Spielfilm kann diese explodierende – eigentlich implodierende – Spannung eines Tages wiedergeben. Und wie viel menschliche Größe und Niedrigkeit sich in ihm offenbart. Für das Äußerste an menschlicher Verworfenheit muss nicht zum ersten Mal Axel Milberg mit seinem fast weichen Allerweltsgesicht einstehen. Er ist Generaloberst Fromm, der Typus, der sich immer eine Tür offen hält, Beinahe-Mitverschwörer, aber dann erster und größter Verräter an den „Verrätern“. Er befiehlt die standesrechtliche Erschießung Stauffenbergs nicht zuletzt, um sich selbst zu decken. Und dass wir am Ende vor allem die Hast, die Angst der ewigen Fromms sehen, macht diese Schluss- und Anfangsszene so groß.

„Es lebe unser heiliges Deutschland“, ruft Stauffenberg seinen Mördern entgegen. Baiers Film erklärt nicht viel, das ist sein Vorzug, seine Herausforderung. Das Wenige muss für alles Ungesagte einstehen. „Heiliges Deutschland“? Die ganze Staatsauffassung des Mannes liegt in diesem Wort. Eine vorweggenommene Bundesrepublik ist das wirklich nicht. Und man sollte auch dem jungen Offizier Stauffenberg an der Ostfront gut zuhören. Die Bevölkerung hier sei ein „unglaublicher Pöbel“, schreibt er an seine Frau, „sehr viel Juden und Mischvolk“. Die Konturen stimmen. Und Sebastian Koch gibt seinem Stauffenberg etwas so unheroisch Heroisches, Offenes und Strenges zugleich, sogar Launiges – wer Menschen lesen kann, weiß, wer dieser Mann ist. Mehr muss ein Film nicht tun. Mehr kann ein Neunzig-Minuten-Film nicht tun, dessen Thema ein ganzer Tag deutscher Geschichte ist.

Und schade ist es trotzdem. Vielleicht zum ersten Mal soll hier ein „Held“ ganz ohne Hintergrund auskommen. Stauffenbergs Hintergrund war der Stefan-George-Kreis. „Geheimes Deutschland“. So heißt die letzte George-Hymne. Diesen Namen gab Stauffenberg fünfzehn Jahre später seiner Verschwörung. Manche sagen, der Titel dieses Gedichts sei auch sein letzter Satz gewesen. Nach dem großen Premierenbeifall sprach die „Stauffenberg“-Produzentin Gabriela Sperl von „Zivilcourage“ und was die Jugend sonst noch aus diesem Film lernen kann. „Zivil“? Und ist Tyrannenmord „Courage“?

Angesichts solcher possierlicher Harmlosigkeiten ahnt man, wie wichtig es hätte sein können, die Inspirations- und Kraftquellen dieses Mannes bloßzulegen, der bei Hitlers Machtantritt erst 25 Jahre alt war. Sie sind uns heute vielleicht schwerer verständlich als die Tat selber.

„Stauffenberg“, 25. Februar, 20 Uhr 15, ARD

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