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So versuchten die Menschen dem Gedränge zu entkommen.

© dpa

Die Tragödie in den Medien: „Wir haben nicht alles gezeigt“

WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn moderiert in der ARD die Sondersendungen zum Loveparade-Unglück. Im Interview spricht er über Raver vor der Kameraund weshalb das Fernsehen bei einem solchen Ereignis mehr sein muss als Informationsmedium.

Sie haben im Ersten am Samstag, Sonntag und Montag in drei „Brennpunkt“-Sendungen nach der „Tagesschau“-Hauptausgabe über die Tragödie bei der Loveparade in Duisburg berichtet. Konnten Sie das Ereignis ausreichend abbilden?

Das Ereignis haben wir so abgebildet, wie es nötig und möglich war, aber es bleibt ein Unwohlsein, denn die Antworten auf die Frage nach dem Warum sind im Moment ziemlich unbefriedigend. Wir haben eine Situation, in der Verantwortliche nicht befragbar sind und sich nicht zu Wort melden. Dadurch bekommen alle Vorwürfe ein ungleich größeres Gewicht und uns fehlt die Einschätzung, welche Vorwürfe wirklich berechtigt sind.

Sie haben am Sonntagabend Menschen gezeigt, die offensichtlich noch im Feierrausch waren und eher bedauerten, dass die Stimmung auf der Loveparade eingebrochen ist, als den Umstand, dass es Todesopfer gab. Hätten Ihre Reporter da nicht noch einmal nachfragen müssen? Ist es verantwortbar, solche Aufnahmen zu zeigen, obwohl die Interviewten anscheinend das Ausmaß des Ereignisses nicht reflektieren konnten?

Die Frage ist berechtigt. Aber unsere Reporter haben schon ein Gefühl dafür, wen sie fragen können und wen nicht. Und alle, die wir vor der Kamera befragt haben, wussten, was sie taten. Solche Originaltöne wie der des weiter feiernden Ravers haben die Parallelwelt deutlich gemacht, die uns allen am Samstag so bizarr vorkam. Es gab Einzelne, die einen völlig anderen Erlebnishintergrund hatten zu der Stunde, die nicht Fernsehen gesehen hatten, die nicht im Tunnel waren. Für uns in der Redaktion gehörten beide Welten dazu: die eine grausam, die andere so, dass man sie von außen nicht verstehen kann. Denn eine Wirklichkeit war in der Nacht eben auch, dass viele Menschen zwar gehört hatten, was passiert war, aber ihre Eindrücke vom Feiern und der Freude stärker waren.

War die Berichterstattung dadurch besonders schwierig?

Ja, denn zum einen gab es eine Überfülle von Augenzeugen, hunderte, die die Panik beobachtet haben. Die haben auf der einen Seite die Wahrnehmung geprägt. Auf der anderen Seite wurde unsere Wahrnehmung durch die Menschen geprägt, die weitergefeiert haben, was ja auch Teil des Sicherheitskonzepts war.

Welche Rolle haben denn private Kameraaufnahmen mit Handys und Nachrichten auf Netzwerken wie Twitter für die Berichterstattung gespielt?

In diesem Fall in ungewöhnlicher Weise keine große Rolle, sie waren nur eine Ergänzung. Normalerweise füllen Handyfilme nur ein Vakuum, wenn keine Reporter vor Ort waren. Aber wir haben mit einer Livesendung von der Duisburger Loveparade berichtet, waren mit vielen Teams, Reportern und Kameras vor Ort und konnten sofort berichten, als diese Party zur Tragödie wurde. Handyfilme haben deshalb nur untermauert, was unsere Kamerateams aus einer anderen Perspektive gedreht haben. Anders als in vielen Krisensituationen gab es diesmal deshalb auch keinen Zweifel an der Überprüfbarkeit.

Gab es Bilder aus dem Tunnel, die Sie aus Rücksicht nicht gezeigt haben?

Ja, wir haben Material angekauft, das wir nicht in Gänze gezeigt haben. Darauf waren leidende Menschen mit schmerzverzerrten Gesichtern zu sehen, aber wir wollten nicht einzelne Menschen herausgreifen, sondern haben uns für die totalen Szenen entschieden, die die Gesamtsituation gezeigt haben.

Sie hatten am Montagabend nicht nur einen „Brennpunkt“, sondern auch noch eine Gesprächssendung im WDR zur Tragödie von Duisburg im Programm. Muss Fernsehen nach so einem Ereignis mehr sein als Informationsmedium?

Wir hatten das Gefühl, dass viele Menschen darüber sprechen wollten, um das Ereignis zu verarbeiten. Und Gespräche zu führen, ist das Wichtigste, was man zur Heilung tun kann. Informationssendungen, aber auch Artikel in Zeitungen dienen dazu, das Erlebte noch einmal zu reflektieren, aber auch um wahrzunehmen, dass viele Menschen genau so betroffen sind, wie wir es selbst sind.

Das Gespräch führte Sonja Pohlmann.

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