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Medien: „Die Ullrich-Verträge sind sittenwidrig“

Der frühere WDR-Chef Friedrich Nowottny sieht die ARD erschüttert– aber in guter Programmform

Herr Nowottny, ist die ARD auf dem Weg zur Mafia?

Die Frage verstehe ich nicht. Wie kommen Sie denn darauf?

Die Herren machen, was sie wollen, niemand scheint sie zu kontrollieren ...

Entschuldigen Sie, wenn ich Sie da unterbreche. Aber ich muss Ihnen leider sagen, Sie haben keine Ahnung. Nehmen wir die Kontrolle. Ich habe als Intendant des WDR zehn Jahre unter der scharfen Kontrolle eines Rundfunkrates, eines Verwaltungsrates, eines Landesrechnungshofes, einer WDR-eigenen Revision meinen Job gemacht. Daran hat sich nichts geändert. Von Unkontrolliertheit kann überhaupt keine Rede sein.

Wir haben da einen anderen Eindruck.

Es gibt immer mal Phasen in einer so großen Organisation wie der ARD, die nicht mit Gold bestäubt sind. Jetzt erleben wir offenbar so eine Phase.

Was ist denn los mit dieser ARD? Läuft immer noch alles ganz normal?

Ja, das tut es. Aber das Bild wird augenblicklich von zwei Personalentscheidungen getrübt, die nicht ganz unumstritten sind. Also die Herren Struve und Boßdorf. Aber lassen wir doch bitte die Kirche im Dorf: Die ARD insgesamt ist gut in Form und muss sich ihrer Leistungen wahrlich nicht schämen.

Haben Sie oft den Kopf schütteln müssen in den vergangenen Tagen und Wochen?

Ich war nicht in der Gefahr, eine Gehirnerschütterung zu erleiden. Aber mit dem Kopf schütteln wird man ja wohl noch dürfen.

Haben Sie niemanden angerufen, um zu fragen, was macht ihr da eigentlich, das muss ein Ende haben?

Ich habe es mir abgewöhnt, jemanden anzurufen, wenn es um die ARD geht. Da sitze ich lieber in meinem Büro und mache mir meine eigenen Gedanken. Was soll’s.

Was soll’s, das sagt Mister ARD? Sagen Sie das auch zu solchen Verträgen, wie sie mit Jan Ullrich geschlossen wurden?

Wenn irgendjemand zu meiner Zeit in der Konferenz so etwas vorgeschlagen hätte, dann hätte er noch in derselben Minute seine Papiere zusammensammeln können. Wenn Sie es noch deutlicher haben wollen: Ich halte diese Verträge für sittenwidrig. Und sittenwidrig bedeutet, wenn ich das Strafgesetzbuch richtig interpretiere: nicht erlaubt.

Mit welchen Konsequenzen?

Es müssten welche gezogen werden. Aber das ist ja nicht mein Bier.

Hat sich die ARD in den letzten Jahren womöglich entscheidend verändert?

Wie ich höre, haben sich offenbar Entscheidungsebenen grundsätzlich verschoben. Es wird nicht mehr über alles in den Gremien gesprochen, entschieden wird jetzt auch zunehmend außerhalb der Gremien. Die Verantwortlichen haben zu prüfen, ob und wie das mit den Regeln der ARD in Übereinstimmung zu bringen ist.

Ist es nicht kurios, wenn ein verantwortlicher ARD-Mann wie Programmdirektor Günter Struve zu den Ullrich-Verträgen sagt, er hätte sie nicht gelesen und also nicht wissen können, was da vereinbart war?

Wer immer das gesagt haben mag, ich glaube, das wäre ein handfester Entlassungsgrund.

Das größte Pfund der ARD ist ihre Glaubwürdigkeit. Muss die ARD aufpassen?

Wenn gegen eine Schüssel aus Emaille ein Stein fliegt, dann bröckelt die Emaille. Etwas springt ab. Und es bleibt ein nicht zu reparierendes, weiter rostendes Loch.

Ein schönes Bild. Was tun?

Da müssen Sie die Leute fragen, die die ARD führen. Das sind ja alles erfahrene Menschen. Die ARD ist immer am besten beraten, wenn sie ein anständiges Programm abliefert.

Die Herren der ARD scheinen sich allerdings zu sagen, uns kann keener.

Genau das kann sich die ARD nicht erlauben. Immerhin hat die Politik in entscheidenden Fragen ein Wort mitzureden. Zum Beispiel in Fragen der Finanzierung. Die in Frage stehende Internetgebühr zum Beispiel hat die Politik beschlossen, nicht die ARD.

Auch wenn die Sache mit Jan Ullrich nicht ganz so gut gelaufen ist, ist denn die Idee wirklich so blöd, jemanden, von dem man sich viel verspricht, exklusiv unter Vertrag zu nehmen? Da ist doch viel vorstellbar.

Sie sollten sich nicht Phantombildern hingeben. So etwas wäre weder wünschenswert, noch wäre es machbar. Und bitte bedenken Sie: Sie reden immer von der ARD. Aber es waren, wenn ich das richtig gelesen habe, nur ein oder zwei Personen, die diese Verträge ausgehandelt haben.

Sind es nicht, wenn es schlecht läuft, immer diese berühmten ein oder zwei Personen, von denen die Verantwortlichen später nie etwas gehört haben wollen? Programmchef Struve will ja von nichts etwas Genaueres gewusst haben. Wie damals, als es um die Affäre Schleichwerbung bei der Bavaria ging.

Ich weiß nicht, ob er das so gesagt hat. Aber es hat ja in der Folge dieser Affäre Gerichtsurteile und Konsequenzen gegeben. Ich kann Ihnen nur sagen, dass in den zehn Jahren, in denen ich im Aufsichtsrat bei der Bavaria war, die Fetzen geflogen sind, wenn es um Schleichwerbung ging. Die entscheidende Frage ist doch, ob jemand bewusst gegen Regeln verstoßen hat, die er vorher kannte.

Und wenn er das getan hat?

Dann muss er gehen.

Der Vertrag mit Herrn Struve wurde gerade wieder verlängert.

Warum das so ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Es kann aber auf keinen Fall eine Folge seines Handelns in der Ullrich-Sache sein.

Imponiert Ihnen noch etwas an der ARD?

Sie erwarten doch wohl nicht, dass ausgerechnet ich sage, bei der ARD sei alles Mist und man sollte sie in die Luft sprengen. Ich sage Ihnen, die ARD ist ein toller Verbund. Was da alles passiert, das kann einem schon den Atem rauben. 54 Radioprogramme, diverse Fernsehprogramme, wo gibt’s denn eine solche Vielfalt sonst noch in der Welt?

Die ARD, unser tägliches Wunder.

So weit würde ich nun auch wieder nicht gehen. Es ist eine große organisatorische Leistung: kein Wunder.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

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