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Medien: Die verschobene Revolution

Von der ARD-Informationsoffensive ist nicht viel zu sehen – bis auf Gabi Bauer

„Vielleicht“, schmunzelt „Tagesthemen“-Anchorman Ulrich Wickert, „klappt es ja dann“. Er meint die Vorverlegung seiner Sendung um eine Viertelstunde auf 22 Uhr 15. Seit Montag soll das mit einigem argumentativen Aufwand angekündigte neue ARD-Programmschema gelten. Aber es hat nicht geklappt. Weil zum Wochenbeginn jeweils nach der „Tagesschau“ ein „Brennpunkt“ zum Einsturz der Eislaufhalle in Bad Reichenhall gesendet wurde, blieb am Montag und am Dienstag zunächst alles beim Alten.

Die Revolution durfte nicht stattfinden. Vermutlich konnte man das gegebene Versprechen, die ohnehin zeitlich reduzierten Politik-Magazine im Falle eines „Brennpunktes“ nicht weiter zu beschneiden, nicht gleich am ersten Tag brechen. So lief am Montag um 22 Uhr15 noch munter „Fakt“, das uns ungefähr zum 374. Mal darüber aufklärte, dass „Schneeballsysteme“ Betrug sind. Dann erst durfte Ulrich Wickert tun, was auch schon in „heute“, „heute spezial“, „Tagesschau“ und „Brennpunkt“ zahlreich geschehen war – zur „vor Ort“-Berichterstattung nach Bad Reichenhall schalten.

„Vor Ort“ ist oft nicht der beste Platz, um einen Überblick zu gewinnen und „vor Ort“ sind auch nicht immer die erfahrensten Reporter zugegen – aber in ihrem Bemühen, Trauer und Expertise auszudrücken, beglaubigen sie die Tatsächlichkeit des gemeldeten Unheils. Es wurden Experten zu Statik und Baukontrollen befragt. Sie waren mal besser, mal schlechter. Bei einem anderen Thema erlaubte sich Ulrich Wickert dann etwas Ironie gegenüber dem Chefvolkswirt der Deutschen Bank. So war alles wie immer und wie gewohnt, nicht nur die Anfangszeiten, sondern auch Form und Inhalt der bewährten Nachrichtenformate. Die Katastrophe wurde recht schematisch bearbeitet, sprengte aber das neue Programmschema. Katastrophal war das nicht.

Ein Gewinn zeichnet sich hingegen beim „Nachtmagazin“ ab, in dem Gabi Bauer – jetzt etwas kurzhaariger und stehend – zu früherer Souveränität zurückfindet. Im Vergleich aller Nachrichtensendungen der ersten beiden Wochentage traf sie am besten den Ton, anlässlich des Bad Reichenhaller Unglücks nach Verantwortung und Kontrolle zu fragen, dabei aber fair zu bleiben und nicht simpel „Wut und Zorn“ zu beschwören oder gar zu befeuern.

Eine kompakte Informationsoffensive und veränderte Bedürfnisse des Publikums stünden hinter der Programmreform, heißt es offiziell. Tatsächlich geht es der ARD einzig und allein um die öffentlich-rechtliche Binnenkonkurrenz zum ZDF.

Denn erfolgreich praktizieren die uns stets tief in die Seele blickenden „heute“-Gastgeber Petra Gerster und Steffen Seibert eine Art „Omnibus-News“ (sie holen uns da ab, wo wir stehen), sind Marietta Slomka und Claus Kleber sympathisch und mit ihrem „heute-journal“ um 21 Uhr 45 einfach ziemlich früh dran. Darum geht es auch in der ARD nach vorn – mit den Anfangszeiten. Vor allem aber soll im Hauptprogramm alles fließen und gleiten. „Audience flow“, das ist der wahre Sinn der Programmreform. Schon übergibt der „Tagesschau“-Sprecher direkt zum „Brennpunkt“-Moderator, damit nur ja kein Jingle einen „Umschaltimpuls“ setzen kann. Die Übergänge sollen geschmeidig sein. So wie im Radio die „Entwortung“ der „Durchhörbarkeit“ dient, soll zwischen 20 Uhr 15 bis 22 Uhr 45 nichts mehr quer liegen, kantig sein oder disparat herausragen. Das Fernsehen soll „durchschaubar“ werden, Überraschung oder gar Zumutungen gelten als verwerflich. Darum ändert sich nichts an unserem Zeitgefühl, keine Zäsur ist spürbar, wenn Anne Will früher auf den Schirm kommt und Ulrich Wickert sich überlegt, ob er tatsächlich schon um 22 Uhr 45 eine „geruhsame Nacht“ wünschen soll. Die „Tagesthemen“ sind kein Markstein mehr, sondern eine ganz normale Sendung.

Die einzige weit über das Fernsehen hinaus wirkende, aber vom Fernsehen gesetzte Zeitgrenze bleibt die 20- Uhr-Marke. Der Abend beginnt, es wird nicht telefoniert, man informiert sich. Wie ein steiler Fels des Ernstes ragt die gute, alte „Tagesschau“ mit den so herrlichen antiquierten Vorlesern hinein in den seichten Fluss von Leben und Programm.

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