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Medien: Diesseits von Sibirien

Fritz Pleitgen reiste an die polnisch-weißrussische Grenze

In dem ukrainischen Dorf Werchobusch, an der Quelle des Bug, gibt es nur eine einzige, etwas seltsame Kirche. Mal liest der griechisch-katholische, mal der russisch-orthodoxe Priester die Messe. Eine eher unfreiwillige Ökumene ist das: Selbst der Altar ist streng geteilt. Und während die einen drinnen den Gottesdienst feiern, warten die anderen draußen übellaunig und schimpfen in die Fernsehkameras: „Die haben nichts in unserer Kirche verloren.“

Das ist wohl der passende Auftakt für eine „Reise durch ein zerrissenes Land“, wie Annette Dittert und Fritz Pleitgen ihre Reportage „Der stille Bug“ im Untertitel genannt haben. Es ist ein eindrucksvoller, aber auch überfälliger Film: Denn während etwa das exotisch-extreme Sibirien immer mal wieder gerne von Fernsehteams heimgesucht wird, blieb das viel näher liegende und für die europäische Historie wohl bedeutsamere Grenzgebiet von Polen, Weißrussland und der Ukraine nahezu ein weißer Flecken auf der Landkarte deutscher Reisereporter.

Dabei wurde den Menschen in diesem Landstrich, auch von den Deutschen, besonders übel mitgespielt: Vertreibung, Krieg und Völkermord haben hier tiefe Spuren hinterlassen, und die Warschauer ARD-Korrespondentin Annette Dittert und der ehemalige Moskau-Korrespondent Fritz Pleitgen erzählen diese Geschichte im Spiegel der Menschen, die am Bug leben. Und die dorthin für einen kurzen Besuch zurückkehren wie die Jüdin Esther Raab aus New Jersey, die am Aufstand im Vernichtungslager Sobibor 1943 beteiligt war. Oder wie der polnische Professor Janusz Hanzlik, der sechzig Jahre nach der Flucht seiner Familie vor der Roten Armee das erste Mal wieder zur Wohnung seiner Kindheit in Lemberg fährt. Die heute in der Ukraine liegende Hauptstadt des alten Galiziens war einst stark jüdisch geprägt, und wenn die junge Klezmer-Sängerin Alexandra mit ihrer Band in den Hinterhöfen spielt, erhält man eine Ahnung, was der Begriff Europa einst alles ausmachte. Heute baut ein junger Rabbi aus New York die jüdische Gemeinde wieder auf. „Ein Alptraum“, sagt er. Nicht einmal Cola habe er anfangs hier auftreiben können.

„Das ist unser Beitrag zur Ost-Erweiterung der EU“, sagt Fritz Pleitgen über den ARD- Film. Zwei Wochen lang reiste er im vergangenen Sommer gemeinsam mit Annette Dittert von der Quelle des Bug bis zum polnischen Kloster Grabarka. Anschließend hat die Korrespondentin „noch ein paar Bilder nachgedreht“ – schließlich ist Pleitgen nebenbei auch WDR-Intendant. Überhaupt hat offenkundig Annette Dittert für eine etwas flottere Filmsprache gesorgt, als sie in den jüngsten Reportagen des journalistisch noch aktiven Pleitgen („Winterzauber im Thüringer Wald“) zu besichtigen war.

Bewegende Begegnungen haben beide aufgezeichnet – und zuweilen urkomische, wie die beim Grenzposten Pisotschne, wo ukrainische Soldaten auf geradezu rührende Weise die Grenze zum bald neuen EU-Mitglied Polen sichern. Ein frisch geharkter Streifen Erde wird dort täglich kontrolliert. Doch die illegalen Grenzgänger haben wirklich raffinierte Tricks drauf: Zum Beweis stapft einer der Soldaten rückwärts über den Streifen. „Dann sehen wir ihre Fußspuren und wissen nicht, in welche Richtung sie gegangen sind.“ Die Hauptlast zur Sicherung der neuen EU-Grenze werden wohl die Polen tragen müssen, bemerkt Pleitgen lakonisch.

„Der stille Bug – Reise durch ein zerrissenes Land“: Karfreitag, 21 Uhr 45, ARD

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