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Digitale Welt: Gib uns unser iPhone, wie auch wir...

Als Joseph Ratzinger zum Papst gewählt wurde, hatten die Menschen auf dem Petersplatz noch ihre Hände frei zum Jubeln. Der neue Papst blickte dagegen auf ein Meer von Handy- und Computerdisplays. Warum heute alles abgespeichert wird.

Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Als Joseph Ratzinger im April 2005 zum neuen Papst Benedikt XVI. gewählt wird, strecken die Menschen auf dem Petersplatz in Rom jubelnd ihre Hände und Fahnen in die Höhe, vereinzelte Besucher fotografieren mit Digitalkameras oder drehen kleine Filme mit Camcordern. Als sein Nachfolger Jorge Mario Bergoglio am Mittwochabend zum ersten Mal auf den Balkon tritt, blickt er in ein Meer von Lichtern. Keine Kerzen, sondern hellleuchtende Bildschirme von tausenden Smartphones und Tablet-Computern, die die Menschen in die Höhe halten, um den neuen Papst zu filmen und zu fotografieren.

Sie haben überhaupt keine Hände frei zum Jubeln. Sie sind viel zu beschäftigt damit, durch ihren Bildschirm auf diesen Moment zu starren, ihn per Handy- und Computerkamera festzuhalten.

Lediglich acht Jahre sind zwischen den beiden Bildern vergangenen und doch zeigen sie, wie drastisch sich Welt und Wahrnehmung seither verändert haben. Heute gilt nicht mehr – um bei der Bibel zu bleiben – „das Auge ist des Leibes Licht“, wie es bei Lukas 11.34 heißt. Überall da, wo etwas, nun ja, stattfindet: ein Popkonzert, ein Fußballspiel, eine lustige Band, die in der U-Bahn spielt - zack, sofort wird das Handy herausgekramt und der Augenblick abgelichtet, abgespeichert, ins World Wide Web geschickt. Klick. Warum? Erstmal, weil es möglich ist: Als Papst Benedikt XVI. gewählt wurde, gab es noch kein iPhone. Das brachte Apple erst zwei Jahre später auf den Markt. Heute werden allein in Deutschland pro Jahr fast 35 Millionen Handys verkauft, vier von fünf sind internetfähige Smartphones, meldet der Branchenverband Bitkom.

Mit der Digitalisierung hat sich verändert, wie wir die Welt sehen. Sie bildet den Rahmen für all die Ereignisse, die es mit dem Handy abzuspeichern gilt. Nur wenn ein Augenblick abgeblitzt, abgespeichert, per Knopfdruck in Sekundenschnelle um die Welt gemailt oder in sozialen Netzwerken oder bei Youtube gepostet werden kann, ist es ein wertvoller Moment. Ein echter Moment. Nur was fotografiert werden kann, war, ist und wird sein.

Dabei geht es am Ende gar nicht darum, die Bilder immer und immer wieder abzurufen. Kaum sind sie gemacht, werden sie noch ein-, zweimal angesehen, den Freunden gezeigt, dann verschwinden sie im digitalen Nachlass. Wo früher die Speicherkarte noch Grenzen setzte, bietet die Cloud heute unendlich Platz. Es kann immer weitergehen, muss immer weitergehen, denn: Das beste Bild ist das nächste Bild.

Verlieren die Ereignisse für die Zeitzeugen dadurch an Wert? Nein, denn der Moment ist immer so wichtig wie der, der daran teilnimmt, der ihn fotografiert, für die Ewigkeit festhält.

Heute, im Zeitalter von Franziskus I., muss es offensichtlich heißen: Das Smartphone ist des Leibes Licht.

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