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Braunkohlekraftwerkes der Vattenfall AG im brandenburgischen Jänschwalde.

© dpa

E-Partizipation: Der ganz reale Klick

In Onlineforen werden Protest und Engagement organisiert. Damit die Klima-Demo auf der Straße auch wirklich funktioniert.

Hey kommt ganz oft vor: Hey, toll, dass wir so viele heute sind. Hey, super, dass ihr mitmachen wollt. Hey. Gute Laune muss sein. Das ist die Währung.

Christoph Schott steht zwischen einem Tisch und einer Wand, vor ihm sitzen rund 60 Menschen auf neben- und hintereinandergereihten Stühlen und sehen ihn an. Er ist ein junger schmaler Mann, ein Sympathieträger schon auf den ersten Blick. Am Mittwoch vor drei Wochen leitet er ein zweites Freiwilligentreffen. Es findet statt im Dachgeschoss des Berlin-Kreuzberger „Betahauses“, eines sogenannten Coworkingspace für digitale Freiberufler. Das erste Treffen war eine Woche davor in einer Kellerbar in Neukölln. Dahin waren ungefähr 40 Interessierte einer Onlineeinladung gefolgt. Nicht nur adressenmäßig ist es also vorwärtsgegangen. „Hey, cool, wir werden immer mehr“, sagt Schott und freut sich. Denn um Masse geht es. Diesmal auch ganz real. Und das ist für Schott und seine Organisation Neuland.

Es wird am 21. September eine weltweite Klimademonstration geben, eine echte auf der Straße. Zwei Tage bevor am 23. in New York auf Einladung von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ein Klimagipfel eröffnet wird, zu dem viele Staatschefs kommen sollen – die deutsche Bundeskanzlerin allerdings nicht. „Die trifft sich lieber mit Industriebossen“, ruft jemand von den hinteren Stuhlreihen aus. Dass es so nicht geht, dass den Menschen auch in Deutschland das Klima wichtig sei, das solle die Demonstration zeigen. Weltweit gebe es, sagt Schott, bereits aus 1700 Städten Anmeldungen. Organisiert werden sie von vielen Umweltverbänden – und von Avaaz.

Avaaz ist ein Onlinepetitionsnetzwerk, wie es sie unter openpetition.de, change.org auch gibt. Es wurde 2007 in den USA gegründet und rühmt sich heute, mit fast 39 Millionen Mitgliedern das größte der Welt zu sein. „Wobei bei Avaaz jeder als Mitglied gilt, der mal eine Petition unterschrieben hat“, sagt Schott. Er leitet seit zwei Jahren dessen Deutschlandbüro in Berlin und hat schon einige Aktionen mitgemacht. Aber jetzt komme eine besondere Herausforderung: „Online goes offline“ nennt er die – und fragt sich, ob das klappen wird. Online bekommt Avaaz für seine Weltverbesserungskampagnen schnell Millionen Unterstützer zusammen. Aber was, wenn die Leute aufstehen und rausgehen sollen, womöglich im Regen? Dann geht es ganz real los. Die Versammelten sind so unterschiedlich, wie sie nur sein können: ältere Damen aus Charlottenburg, bärtige Männer aus Kreuzberg, Neuköllner Studentinnen. Sie teilen sich in Stadtteilgruppen auf und überlegen, wo man wie am besten Reklame für den 21. September macht. Auf Wochenmärkten und vor Biomärkten. In Kneipen, Bars, auf Flohmärkten. Sie können Flyer auslegen oder den Menschen direkt in die Hand drücken.

Auch das ist neu: die Gedanken darüber, wo man am besten ansetzt. Denn diesmal ist das schon Arbeit. Anders als beim Versenden einer Rundmail an Millionen registrierter Adressen setzen sich diesmal Menschen in Bewegung – per Rad, Bus oder zu Fuß –, die für diesen Einsatz ein möglichst positives Feedback haben möchten. Eine gelöschte Mail sieht niemand. Ein zerfetzter Flyer tut vielleicht jemandem weh.

Selbst der Flyer ist dieses Mal echt

Und auch der ist diesmal echt. Aus Papier. Er wurde gedruckt, verpackt, hin- und hergefahren. Auch in ihm steckt mehr Aufwand als in einem Mailanhang. Die bunten Zettel verkünden, dass die Demonstration am 21. September ab 16 Uhr am Brandenburger Tor stattfindet, auf das zuvor drei Protestzüge zulaufen, und dass es dort Musik geben wird. Als letzten Akt die Berliner Band Zweiraumwohnung. „Das wird eine richtig schöne Party“, sagt Schott. Das Motto der Demo lautet: „Mal kurz die Welt retten“.

Dass die Klimarettungsfrage derart eventhaft-fröhlich verhandelt wird, passt auch nicht jedem. Beim ersten Treffen hatten ein paar der Mitmachwilligen die fehlende Ernsthaftigkeit moniert. Die sind beim zweiten nicht mehr dabei. „Wir wollen zeigen, dass Klimaschutz auch Spaß machen kann“, sagt Schott dazu.

Die fehlende Ernsthaftigkeit ist ein Vorwurf, der öfter auftaucht. Avaaz betreibe lediglich Campaigning, von einer Auseinandersetzung mit den jeweils aufgebrachten Themen – aussterbende Delfine, der bedrohte Regenwald, der Krieg in Syrien, das Klima – könne keine Rede sein. In schneller Folge würden über den Mailverteiler Petitionsaufrufe verbreitet, dann ziehe die Click-Karawane weiter.

Schott hat Basisinformationen für die Versammelten parat: In New York sollen die Weichen gestellt werden für den Nachfolger des Kyoto-Protokolls von 1997, des ersten jemals verabschiedeten Vertrags, in dem sich die Industrienationen zur Minderung ihres Kohlendioxidausstoßes verpflichteten. 2015 werde in Paris der Nachfolger verhandelt. Was das Kyoto-Protokoll genau besagt und was konkret in New York besprochen werden soll, ist kein Thema. Vielleicht könne man einen Infozettel erstellen, falls Fragen kommen?, regt jemand an. Schott nickt. Aber eigentlich geht es um die Demo an sich, darum, wie die „gute Bilder“ für die Medien generiert. Grüne Luftballons in Herzform soll es geben, die müsste jemand aufpusten. Und dann könnte man noch mit einer Merkelmaske verkleidet etwas machen.

„Hey, hört mal alle her.“ Die erste Gruppenrunde ist vorbei. Kurze Pause und Feedback erfragen. So hat Schott sich das auf seinem Ablaufzettel notiert. Allgemeine Zufriedenheitsbekundungen. Weiter geht’s. Wer hilft beim Bürodienst, Plakatemalen, Gemüseschnippeln, denn es soll eine Suppe geben. Freiwillige melden sich, tragen sich in Listen ein. Schott macht Druck, es ist dunkel geworden draußen. „Hey, toll, wir sind total weit gekommen.“ Dann ist Schluss für heute.

Auf den Stühlen liegen Zettel zur Weltklimalage

Zwei Wochen später beginnt um 18.30 Uhr in dem Hinterraum eines Cafés in der Charlottenstraße das dritte Treffen. Es ist wiederum voller, was Christoph Schott wiederum erfreut. Auf den Stühlen liegen Infozettel zur Weltklimalage. Schott berichtet, dass die Reklametafeln am Times Square während der New Yorker Demo Übertragungen der anderen weltweit stattfindenden Demonstrationen zeigen würden, ist das cool? Dann ruft er auf, jetzt noch mal richtig Druck zu machen, damit es am 21. voll wird.

Eine von denen, die dazu nicken, ist Anna, 29. Sie hat gerade ihr Umweltmanagementstudium abgeschlossen und ist von Beginn an dabei. Sie sagt, wer einmal erlebt habe, was man im Team erreichen könne, glaube daran, dass die Welt zu verändern sei. Sie habe in den USA als Freiwillige für die Wiederwahl von Barack Obama gekämpft, sagt sie und bekommt leuchtende Augen.

Neben ihr sitzt Sabine Goetz, 66 Jahre alt. Sie habe früher Mahnwachen gegen Pershings abgehalten und sei immer eine Grüne gewesen, sagt sie. Was ihr an der Aktion gefällt: Das Ziel sei ganz praktisch – eine tolle Demonstration –, und die Leute seien sympathisch. Da mache sie gerne mit. Jeder wisse, dass der Mensch, wie er jetzt handele, den Planeten ruiniere. Sie sei nicht hier, weil sie davor Angst habe, dafür sei sie zu alt. Sie wolle Mut machen.

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