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Wehe dem, der ihm begegnet.

© Ubisoft

"Far Cry Primal" im Test: Und jährlich grüßt der Säbelzahntiger

Speer statt Uzi, Keule statt Kalaschnikow - Ubisoft schickt die Spieler mit "Far Cry Primal" erstmals in die Steinzeit. Das Spiel macht vieles richtig. Und doch nichts neu.

Die Frau sagt: „Ich Essen! Unterschlupf! Komm!“ und man hat das Gefühl, nie etwas Wohlklingenderes gehört zu haben. Einen Moment lang ist man verstört darüber, dass sie sich bückt, um drei menschliche Ohren aufzusammeln. Wenn man bedenkt, dass hinter einem höchstens noch das undankbare Privileg wartet, Säbelzahntigerfutter zu werden, nimmt man ihr Angebot dankend an.

Als Ubisoft letzten Oktober seinen neuen "Far Cry"-Ableger präsentierte, war die Überraschung groß. Mammuts und Säbelzahntiger, Speere und Keulen statt Uzis und Kalaschnikows. Beide Vorgänger spielten in der Gegenwart, inszenierten Rambo-Action an exotischen Orten, auf einer tropischen Insel, auf den hohen Gipfeln des Himalayas. Und jetzt das: Steinzeit.

"Far Cry Primal" spielt im Mitteleuropa 10.000 v. Chr., nach dem Ende der großen Eiszeit. Die Natur erholt sich, die Welt grünt, das Holozän – die neue Zeit – beginnt. Der Mensch steht am untersten Ende der Nahrungskette. Sein Alltag ist ein ständiger Überlebenskampf. Genau so – das hat Ubisoft wiederholt betont – wolle man das Steinzeitabenteuer inszenieren. Rau, gefährlich, unberechenbar. „Du bist die Beute und die Großfauna und die Mammuts und die Welt selbst sind deine Hauptfeinde“, erklärte im Januar Paola Joyaux, eine der Produzentinnen des Spiels.

Diese Frau sammelt gerne Ohren.
Diese Frau sammelt gerne Ohren.

© Ubisoft

Als Spieler schlüpft man in die Rolle von Takkar, einem Mitglied des Wenja-Stammes. Er ist einer von drei Clans, die die Spielwelt Oros bevölkern. Die Wenja glauben an eine frühe Form des Animismus und gelten als die friedlichsten Bewohner der Spielwelt, wobei friedlich aus heutiger Perspektive relativ ist. Sayla, eine der Gefährtinnen, der man anfangs begegnet, schneidet erlegten Widersachern die Ohren ab und hängt sie sich um den Hals. Der einarmige Wogah lockt seine Feinde in eine Höhle, wo er sie bewusstlos schlägt und von oben anpisst, während er dabei zusieht, wie sie von Löwen zerfleischt werden. Und der Krieger Karoosh, der seit dem Tod seines einzigen Sohnes in eine rachebesessene Depression verfallen ist, begrüßt einen gerne mit einer freundschaftlichen Kopfnuss.

Die Welt ist wunderschön, rau und gefährlich

Die Wenja sind durch den Krieg mit den anderen Stämmen, den primitiven Udam und den fortgeschrittenen Izila, beinahe ausgerottet. Sie sind über die ganze Welt verstreut, isoliert. Takkars Aufgabe ist es, sie zu vereinen. Er baut im Westen von Oros ein Dorf auf. Erst sind es nur ein paar Hütten, eine Handvoll Menschen. Es wächst, umso mehr Anhänger man findet, Zäune und Hütten werden gebaut. Dafür muss man Ressourcen auftreiben, Holz und Steine sammeln, sich auf die Jagd begeben.

Die Welt von Oros ist rau und gefährlich. Man lauert in einem Gebüsch, pirscht sich mit dem Speer in der Hand an ein Reh an, plötzlich hört man ein lautes Fauchen. Ein Jaguar stürzt sich von der Seite auf einen, beißt sich mit seinen scharfen Zähnen ins Armgelenk. Oder ein Rudel Wölfe erscheint auf einer Lichtung, jault den Mond an. Wer in den großen Steppen einem Mammut zu nahe kommt, wird mit einem tosenden Gebrüll über den Haufen gerannt. Man trifft auf Mitglieder anderer Stämme, die versuchen einen Bären zu erlegen, auf Wenja, die nachts um ein Lagerfeuer tanzen und trommeln.

Die Spielwelt Oros ist wunderschön gestaltet.
Die Spielwelt Oros ist wunderschön gestaltet.

© Ubisoft

Man wird immer wieder von kleinen Details überrascht, von der faszinierenden Schönheit eingenommen, von Bächen, in deren Oberfläche sich der Mond spiegelt, von Glühwürmchen, die im Dunkeln leuchten, der Sonne, die über den schneebedeckten Bergen aufzieht. Es ist ein Panorama, das beeindruckt, das einen tief in sich hinein zieht und oft staunend inne halten lässt.

Man fühlt sich wie ein Steinzeit-Sisyphos

Leider ist Oros aber auch wieder eine Welt der bunten Icons geworden. Überall auf der Weltkarte blinken sie auf. Signalisieren, hier gibt es etwas, das erledigt werden will. Wenja fordern dazu auf, für sie zu jagen, sie wollen durch ein Stück Wald eskortiert oder aus der Sklaverei befreit werden. Teilweise wird man bei seinen Streifzügen in Kämpfe verfeindeter Stämme verwickelt. Man kann Leuchtfeuer entzünden, um Schnellreisepunkte freizuschalten. Man kann Außenposten erobern, Höhlen erkunden. Viele Kritiker bemängeln, dass Oros zu einer Art Steinzeit-Themenpark verkommt. Leider haben sie Recht.

Es ist die Ubisoft-Formel: Große Spielwelt, karge Story, eine Flut an uninspirierten Aufgaben. Sie ist nicht nur das Markenzeichen der "Far Cry"-Reihe, sondern aller anderen großen Ubisoft-Marken wie "Assassins Creed" oder "Just Cause". Man fühlt sich ein bisschen wie ein Steinzeit-Sisyphos. Hat man eine Aufgabe erledigt, blinkt woanders schon wieder eine neue auf. Packende Geschichten werden dabei selten erzählt. Man kann den Plot mit Saylas Einstiegsworten zusammenfassen, „Udam töten viele Wenja“ worauf als dramatische Steigerung folgt, „Wenja töten viele Udam“, was in dem Höhepunkt mündet: Viele tote Udam, viele tote Wenja. Natürlich war Aristoteles 10.000 v. Chr. noch nicht geboren. Aber in einigen Szenen sieht man, wieviel Hintergrundgeschichte in dieser Welt schlummert, wie viel Leben, Irrsinn und Tragik. Wenn das passiert, ist es großartig – meisterlich inszeniert, bewegend. Warum wird dieses Potential nicht genutzt?

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Das wird umso unverständlicher, wenn man bedenkt, welche Mühen die Entwickler aufgenommen haben, um dieses Spiel authentisch wirken zu lassen. Man hat eigens zwei Linguisten beauftragt, eine fiktive proto-indogermanische Sprache für die Urzeitbewohner zu entwickeln. Warum konterkariert man diese Aufwendungen eine glaubhafte, spannende Spielwelt zu kreieren, indem man sie wieder mit tausendundeiner überflüssigen Sammel- und Nebenaufgabe füllt, statt ihr Inhalt und Tiefe zu geben?

In solchen Situationen ist ein eigener Säbelzahntiger natürlich praktisch.
In solchen Situationen ist ein eigener Säbelzahntiger natürlich praktisch.

© Ubisoft

Frische Ideen fehlen

Natürlich ist das kein Phänomen, das nur die "Far Cry"-Serie oder Ubisoft-Spiele auszeichnet. Die Sammelorgien-Epidemie hat viele Spielereihen ergriffen, vom "Fallout"-Reboot von Bethesda bis zum letzten Release von "Metal Gear Solid". Doch in diesen Spielen sind sie optionales Beiwerk. Es gibt abseits davon spannende Geschichten und innovative Ideen zu entdecken. Die einzige Neuerung, die in Primal wirklich herausstricht, ist das Bestienmeister-System. Takkar kann verschiedene Tiere zähmen - Wölfe, Tiger, Bären - auf deren Rücken er durch die Welt reiten und mit denen er jagen gehen kann. Es führt das Spielprinzip, wie viele andere Mechaniken auch, ad-Absurdum. Sobald man einen Säbelzahntiger an seiner Seite hat, ist die "Fauna" nur noch bedingt gefährlich.

"Far Cry Primal" ist ein solider Titel. Es macht Spaß, das prähistorische Oros zu erkunden. Das Steinzeit-Setting ist gelungen umgesetzt. Aber nach drei spielerisch identischen "Far Cry"-Teilen und einem Dutzend ebenso identischen "Assassins Creed"-Ablegern wirkt die Ubisoft-Formel altbacken. Ein bisschen wie etwas, das selbst aus der Steinzeit kommen könnte.

"Far Cry Primal", Publisher: Ubisoft Montreal, erhältlich für Playstation 4, Xbox One (Preis 60 Euro) und PC (Preis 50 Euro), USK-Alterseinstufung: ab 18 Jahren.

Giacomo Maihofer

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