zum Hauptinhalt
Die Berlinerin Constanze Kurz, geboren 1974, ist Sprecherin des Chaos Computer Clubs.

© Doris Spiekermann-Klaas

Interview: „Früher hieß es teilen, heute raubkopieren“

Constanze Kurz weiß, wie man sich im Internet schützt und seine Passwörter behält. Hier spricht sie über den Erfolg der Piraten und den Geruch in Elektro-Märkten.

Frau Kurz, Nerds – Computer-Fachidioten – haben kein gutes Image. Dem Klischee nach handelt es sich um seltsame, verwahrloste junge Männer mit fettigen Haaren und ohne Freundin.

Ja, ganz schön nervig. Aber das Image verbessert sich, oder? Heute ist es praktisch, einen Nerd zu kennen. Der kann einem helfen.

Wie oft rufen Freunde und Familie hilfesuchend bei Ihnen an?
Als alle anfingen, sich zu Hause Rechner hinzustellen, war es ganz schlimm. Mittlerweile ist es weniger geworden. Meine Eltern finden sowieso, dass ich nicht gut erklären kann. Ich bin vielleicht auch ein bisschen zu ungeduldig, habe keine Lust, Sachen, die ich einfach finde, zum dritten Mal zu erläutern. Mein Vater sagt dann immer: Wozu haben wir dich denn Informatik studieren lassen?

Die Piratenpartei hat bei den Wahlen in Berlin neun Prozent erreicht. Sind Nerds womöglich sogar dabei, cool zu werden?
Ich glaube, die Bilder am Wahlabend haben tatsächlich eine gewisse Sexiness des Nerds gezeigt. Auf jeden Fall ist es nicht mehr ehrenrührig, einer zu sein. Ich wünschte mir nur, der Nerd-Begriff wäre nicht mehr so furchtbar männlich besetzt. Man sollte uns Nerdinnen wahrnehmen.

Selbst in der CSU sind Frauen präsenter als bei den Piraten. Auch Ihr „Chaos Computer Club“ (CCC) ist ein ziemlicher Männerverein.
Als ich mit dem Informatik-Studium begann, gab es an der Uni überhaupt keine anderen Frauen in meiner näheren Umgebung. Bis heute ist die Quote sehr gering geblieben, sowohl bei den Erstsemestern als auch bei den Absolventen. Das ist schade. Persönlich fand ich das aber nie problematisch: Mir ist immer sehr viel Freundlichkeit und Kollegialität entgegengeschlagen.

Lesen Sie auf Seite zwei mehr über die Piratenpartei und wann Kurz zum ersten Mal einen Computer gesehen hat.

Ärgern sich im CCC jetzt manche, dass sie vor 30 Jahren einen Verein und keine Partei gegründet haben?
Nein, absolut nicht. Es gibt bei uns natürlich viele, die mit den Piraten sympathisieren. Vor allem freut mich, dass durch deren Erfolg das Thema Netzpolitik stärker wahrgenommen wird. Aber der klassischen Parteipolitik können bei uns wenige etwas abgewinnen. Wir haben es leicht: Wir können erstmal nur auf die Technik gucken und unsere Meinung abgeben, ohne uns um realpolitische Zwänge zu kümmern. Und in diese Zwänge wird auch die Piratenpartei geraten.

Sind die Piraten heute das, was die Grünen Anfang der 80er Jahre waren?
Es gibt deutliche Parallelen. Ich fand den Wahlkampf der Piraten erfrischend, nicht so gestriegelt. Andererseits: Wenn man zurückblickt, kann man erkennen, wie die Grünen dafür gesorgt haben, dass die ökologische Idee langsam in die ganze Gesellschaft einsickerte. Bei der Netzpolitik liegt die Sache anders: Auf dieses Thema setzen schon heute viele Parteien. Leute von der Linken bis zu Teilen der SPD beschäftigen sich zum Beispiel mit Fragen der Überwachung im Internet. Die Piraten haben da kein Alleinstellungsmerkmal. Und dann fehlen ihnen auch die Vordenker und Visionäre, Leute wie Petra Kelly.

Was die Piraten abhebt, ist die Idee der totalen Transparenz.
Es wird sich zeigen, wie gut das in der Praxis funktioniert. Ich fürchte, die Beschleunigung in der Politik wird dadurch weiter zunehmen.

Weil jede Kleinigkeit sofort von den Medien aufgegriffen wird?
Gar nicht so sehr von denen, sondern von den Anhängern der Piraten. Im Netz gibt es es eine Kultur der schnellen Reaktion. Die Gefahr besteht, dass es künftig zu weniger Reflexion kommt. Dass man nicht noch mal eine Nacht über etwas schläft oder sich in Ruhe in ein Thema einliest.

Frau Kurz, wann haben Sie zum ersten Mal einen Computer gesehen?
Mit 14, ich war Thälmann-Pionier. Auf unserer Schule in Ost-Berlin gab es C64 aus dem Westen und Robotron-Computer, mit ganz kleinen Bildschirmen. Man durfte nur gucken, nicht anfassen. Meinen ersten eigenen Computer habe ich mir Anfang der 90er Jahre als Studentin gekauft: einen gebrauchten 386er, an den man einen Nadeldrucker anschließen konnte. Und ich hatte so ein Modem, das immer laut piepste. Damals war es noch schwierig, sich eine E-Mail-Adresse zu besorgen – ich war glücklicherweise an der FU, da konnte man ein Formular ausfüllen und bekam eine.

Lesen Sie auf Seite drei, wie Kurz die "digitale Revolution" erlebt hat.

Das klingt wie aus einer anderen Zeit. Dabei ist es nicht mal 20 Jahre her.
Wir haben einen Riesen-Umschwung erlebt. Mich haben Computer fasziniert, als ich merkte: Das sind nicht nur Rechen-, sondern universelle Maschinen. Mit denen kann man sogar mit Menschen aus anderen Teilen der Welt kommunizieren. Zuerst habe ich ziemlich lange Volkswirtschaft studiert: Wir mussten mit der Tabellenkalkulation Excel arbeiten, hatten unseren eigenen Computerpool unten im Keller. Da habe ich mich angesteckt und bin bald darauf zur Informatik gewechselt.

Hatten Sie das Gefühl, Teil einer Revolution zu sein?
Dass die Netze sehr viel verändern würden, war schnell klar. Beim World Wide Web …

… das 1991 weltweit verfügbar wurde…
… stand das Kommunikative ja sehr stark im Vordergrund. Das war für den internationalen Austausch zwischen Akademikern gedacht, ein Instrument für Informationswissenschaftler, Physiker, Bibliothekswissenschaftler und …

... am Ende ist „Facebook“ dabei heraus gekommen.
Das ist nun Kommerz, klar. Seit große Teile der Menschen und auch der Unternehmen online sind, hat sich das Netz in die Gesellschaft eingepflanzt – weil schnell klar wurde, dass man damit viel Geld machen kann. Zu meiner Studienzeit hat noch nicht jeder darüber nachgedacht, wie er mit seinem ersten Start-Up eine Million verdient. Da herrschte dieser Geist, dass man am Rechner zusammenarbeitet, Wissen teilt. Man hat damals viel weitergegeben, zum Beispiel Software. Heute hieße das raubkopieren.

Sie wollten nie mit einer Internetseite reich werden?
Klar habe ich auch mal in Projekte investiert, aber ich hatte nie diesen Geld-Drive. Mir geht es um Erkenntnis. Ein bisschen tun mir die Leute leid, die eine coole Idee hatten, mit der sich dann aber andere eine goldene Nase verdient haben. Es ist ja zum Beispiel nicht so, dass Mark Zuckerberg …

… der Facebook-Gründer …
… plötzlich einen genialen Einfall hatte. Sondern da gab es Vorläufer, soziale Netzwerke, die wieder verschwunden sind: „Friendster“ oder „myspace“. Facebook kann durchaus das gleiche Schicksal ereilen. Noch gibt es für die aber große Märkte zu erobern, außerhalb der westlichen Welt.

Lesen auf Seite vier, warum Kurz vor der Datensammelwut großer Konzerne warnt.

Sie warnen davor, dass Konzerne wie Facebook oder Google gezielt unsere Daten sammeln, um sie an Werbekunden weiterzuverkaufen.
Haben Sie eine E-Mail-Adresse von Google? Dann wird alles, was Sie schreiben, automatisch ausgewertet. Wenn das Wort „Ultraschallbild“ in den Mails auftaucht, bekommen Sie morgen vielleicht schon Werbung für Kinderwagen.

Es bleibt doch mir selbst überlassen, ob ich auf Werbung klicke oder nicht.
Ja, so lange Sie erkennen können, was Werbung ist. Bei Banner-Werbung geht das noch. In Zukunft wird Werbung immer mehr in Form von praktischen, bequemen Informationen daherkommen, die genau auf Sie zugeschnitten sind. Wenn Sie also am Bahnhof in Bochum aussteigen, erklärt Ihnen Ihr Smartphone, wo es das nächste Hotel gibt und wie Sie da hinkommen.

Sie verlaufen sich lieber?
Ich möchte nicht manipuliert werden. Ich möchte selber entscheiden, was ich kaufe. Und ich bin nicht in erster Linie Konsument, ich bin Bürger. Schon Kinder und Jugendliche werden heute mit Werbung penetriert, alle Kommunikationskanäle sind zugepflastert mit PR – dafür geht so viel intellektuelle Energie drauf. Mich stört die Selbstverständlichkeit, mit der wir das hinnehmen.

Ihr Bürogebäude in Oberschöneweide konnten wir uns vor dem Besuch bei „Google Street View“ angucken. Warum haben Sie es nicht verpixeln lassen?
Ich bin erst seit kurzem hier. Privat wäre die Verpixelung für mich eine Überlegung wert – jedenfalls wenn ich selbst ein Haus hätte. Ich bin aber nur Mieter. Die Debatte über „Street View“ fand ich ein bisschen überzogen. Jeder kann ja im öffentlichen Raum Fotos machen. Richtig problematisch wären die Bilder, wenn man sie um Adressdaten ergänzen würde.

Das Wort „googeln“ hat es in den Duden geschafft. Verwenden Sie eine neutrale Alternative?
Nein. Es gibt übrigens auch viele andere Firmen, die man kritisieren kann – ich befinde mich nicht auf dem heiligen Kreuzzug gegen Google! Ich finde es nur nicht gut, dass ein sehr starkes, profitorientiertes amerikanisches Unternehmen darüber entscheidet, was wir wissen können. Das ist nicht sehr demokratisch. Ich selbst arbeite gern mit „Scroogle“. Das ist ein werbefreier Dienst, der die Technik von Google benutzt. Eine andere datenschutzfreundliche Suchmaschine ist „Ixquick“.

Lesen Sie auf Seite fünf, warum Kurz empfiehlt im Internet Pseudonyme zu verwenden.

Sie empfehlen, im Internet möglichst oft Pseudonyme und Fantasiedaten zu verwenden.
Noch wichtiger ist vielleicht, die Privatsphäre anderer Leute zu respektieren. Sie also zum Beispiel nicht auf Facebook-Fotos zu markieren und ihren Namen dort einzutragen. Zumal Gesichtsbilder biometrische Daten enthalten. Ich glaube, wir müssen zu dem kommen, was ich digitale Mündigkeit nenne. Wenn man viel Zeit am Rechner verbringt, muss man sich eben ein bisschen mit der Technik auseinandersetzen. Ein paar Einstellungen am Internet-Browser vorzunehmen, genügt.

Zum Beispiel?
Nur bestimmte Cookies anzunehmen. Das sind ganz kleine Dateien, die beim Besuch bestimmter Internetseiten auf Ihrem Rechner hinterlegt werden. Schon wenn Sie nur auf ein paar kommerziellen Webseiten unterwegs sind, haben Sie schnell 30, 40 solcher Cookies auf Ihrem Computer. Die dienen dazu, dass man Sie bei Ihrem nächsten Besuch auf der jeweiligen Seite wiedererkennt. So können die nachvollziehen, wie oft Sie die Seite besuchen, wie Sie sich im Netz bewegen.

Unter welchem falschen Namen finden wir Sie bei Facebook?
Da bin ich nicht mehr. Zwischenzeitlich habe ich das zu Forschungszwecken genutzt, wollte wissen, wie sich das anfühlt. Ich habe eigene Netzwerke, über die ich kommuniziere. Teilweise funktionieren die so ähnlich wie Facebook. Ich bin ja ein sozialer Mensch, ich will so was haben. Ich wollte nur nicht zu dieser reinen Werbeplattform.

Wie können Sie sich die Passwörter für all Ihre Identitäten merken?
Dafür habe ich Reim- und Songtechniken. Ginge es um ein Facebook-Profil, würde ich einen Song mit F aussuchen, „Fröhliche Weihnacht“ zum Beispiel, und dann nehme ich jeweils den ersten oder zweiten Buchstaben: also FW oder re. Anschließend füge ich noch Zeichen hinzu, Groß- und Kleinschreibung vertausche ich in der Regel.

Klingt ganz schön kompliziert.
Man gewöhnt sich daran. Bei Sonetten oder Limericks ist es noch einfacher, überhaupt bei allem, was ein Versmaß hat. Und mindestens alle sechs Monate werden die Passwörter erneuert.

Ihre Kritiker behaupten, mit der Privatsphäre sei es in Zeiten des Internets sowieso vorbei. Die nennen sich ironisch „Spackeria“ – weil Sie diese Leute mal als „Post-Privacy-Spackos“ bezeichnet haben. Fühlen Sie sich geehrt?
Nein, überhaupt nicht. Privatsphäre schützt die Persönlichkeit, gleicht Machtgefälle aus. Das ist eine Errungenschaft, die von unseren Vorfahren gegen die Obrigkeit erkämpft wurde. Ich sehe keinen Grund, das freiwillig aufzugeben, nur weil es gerade so scheint, als würden alle die Talkshow-Couch als ihre Heimat betrachten.

Lesen sie auf Seite sechs, warum Constanze Kurz nicht mehr in der Mensa essen kann.

Warum geben so viele Leute so viel von sich preis im Internet?
Das ist wohl menschlich, ich will es keinem verbieten. Ich mag das bloß nicht als soziale Norm akzeptieren. Gerade in unserer Leistungsgesellschaft haben die Leute umso mehr zu verbergen, je älter sie werden: Zum Beispiel psychische Krankheiten oder wie es um die eigene Fitness bestellt ist.

Nur dumm, wenn man schon mit 16 alles Private öffentlich gemacht hat.
Ich bin oft an Schulen und erlebe, dass viele Jugendliche längst Fähigkeiten entwickelt haben, mit den negativen Seiten des Netzes umzugehen. Die sehen auch Sachen wie Cyber-Mobbing viel gelassener als die Medien. Hinzu kommt: Heute arbeiten drei Viertel der Erwachsenen im Job mit Computern. Die Phase, in der junge Leute Dinge taten, die die Eltern gar nicht verstanden, ist vorbei.

Was halten Sie eigentlich von Smileys?
Die benutze ich selten. Als sie aufkamen, war ich wohl schon zu alt dafür. Ich habe andere schriftliche Ausdrucksformen für Emotionen, wenn ich chatte. Wenn ich mich ironisch von etwas distanzieren möchte, schreibe ich zum Beispiel *feix*.

Der coolste Nerd aller Zeiten?
Scotty, der Chefingenieur von Star Trek. Der lebt in seiner Maschine, liebt die, ist sozial nicht integriert, hat Probleme mit Frauen – und kriegt alle Probleme gelöst! Oder Q, der Konstrukteur aus den Bond-Filmen. Weil der solchen Spaß daran hat, etwas zu erklären. Bond hört schon gar nicht mehr zu, aber er macht immer weiter.

Das beste Nerd-T-Shirt?
Der Klassiker: „Alt + F4“. Mit dieser Tastenkombination konnte man einen Windows-Computer runterfahren. Das ist eine Art politische Botschaft. Microsoft war ja lange der Riesenfeind.

Ein Tipp für einen richtig guten Computerladen?
Ich kaufe fast alles im Internet. In Elektro-Großmärkte gehe ich nie. Die riechen nicht gut. Ich meine das wirklich olfaktorisch. „Conrad“ ist nicht schlecht: Die Verkäufer dort haben Ahnung.

Wie viele Heiratsanträge haben Sie von denen schon bekommen?
Keinen! Mit denen fachsimpelt man über Schaltkreise, die heiratet man nicht. So, und jetzt würde ich Sie ja gerne in die Mensa einladen, aber da kann ich nicht mehr hin.

Haben Sie sich den Magen verdorben?
Nee, ich habe letztes Semester mit meinem Seminar die Bezahlkarte gecrackt. Kam nicht so gut an.

Zur Startseite