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Wohin diese Menschen marschieren, warum? Das bleibt wie Vieles ein Rätsel.

© Playdead

„Inside“ im Test: Ein Spiel wie ein hermetisches Gedicht

Düster, erwachsen und melancholisch: „Inside“, das neue Jump & Run der Indie-Entwickler Playdead, ist ein kleines Meisterwerk geworden.

Ein tiefes Keuchen und das Knistern der Blätter im tiefschwarzen Wald ist alles, was man hört. Ein Junge kauert verstört hinter einem Felshang. Von der gegenüberliegenden Seite rollt ein Jeep über das Gestrüpp auf ihn zu, langsam und quälend. Ein Mann steigt aus dem Auto. Er hält eine Taschenlampe in der Hand, ihr Lichtkegel schwenkt unruhig hin und her. Wie alle, die hier auf der Jagd nach dem Jungen sind, trägt der Mann schwarze Kleidung und eine weiße Maske. Der Junge rennt los. Jagdhunde schießen aus dem Wald hervor, hetzen ihn durch einen Bach. Er springt über einen Abhang, die Schnauze eines Hundes reißt fast noch ein Stück seines flatternden T-Shirts ab. Doch er ist entkommen. Einen Moment Stille, durchatmen.

Warum diese Männer den Jungen durch den Wald hetzen, wer dieser Junge ist – ob er, der selbst kein Gesicht hat, überhaupt ein Junge ist – wird weder in den dramatischen Anfangsminuten des Jump & Run „Inside“ erklärt, noch später. Wie schon bei ihrem vor sechs Jahren erschienen Debüt „Limbo“, verzichten die dänischen Indie-Entwickler Playdead auch bei ihrem neuen 2D-Plattformer vollkommen auf Worte, um die Geschichte zu erzählen.

Damals lieferte man mit „Limbo" einen kleinen Überraschungshit ab. Ein kleiner Junge wird ohne Erklärungen in einen schwarz-weißen Märchenwald geworfen und von einer riesigen Spinne gejagt. Das minimalistische Gameplay begeisterte, die düstere, fast depressive Stimmung sog einen in die rätselhafte Welt. Das Spiel räumte Höchstwertungen der Fachpresse und mehrere Preise ab.

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„Inside“ baut auf diesem Fundament auf, denkt es weiter. Auch hier wird das Spielgefühl über eine einzigartig, düstere Comic-Grafik transportiert. Die Stimmung erinnert an Edward Hoppers „Nightshadows“, an William Kentrigdes Kohlezeichnungen oder George Orwells Science-Fiction-Roman „1984“. Sie ist beklemmend und mystisch, das Spiel mit Licht und Schatten und dem dezenten Farbeinsatz ist meisterhaft, überall tauchen Ahnungen und Andeutungen auf. Man wird gefangen genommen in einen stummen Strudel aus Assoziationen.

Assoziationen an die Gräueltaten des 20. Jahrhunderts

Man denkt an das totalitäre Regime der Nationalsozialisten, Konzentrations- und Arbeitslager, Säuberungen. Man sieht Menschen, die willenlos in Lastwagen abtransportiert werden. Maskierte, ganze Familien, die sie mit kalter Faszination beobachten, sie über große Plätze, in Lagerhallen treiben. Man läuft durch verlassene Landstriche, in die Autowracks eingesunken sind. So entsteht ein Dialog zwischen der Imagination der Entwickler und der eigenen, zwischen nie enden wollender Irritation und dem Bedürfnis nach Erklärungen. Ein Spannungsverhältnis, das sich bereits jetzt in dutzenden Fantheorien im Netz entlädt.

Aber auch die Soundkulisse saugt einen tief in diese dunkle Welt hinein. Bässe dröhnen wie Marschschritte durch das Subwoofer, Klangteppiche aus atmosphärischen Strings legen sich über die hallenden Stimmen der Verfolger. Fast alienartige Sounds tauchen aus der Stille empor, vermengen sich mit der Musik, bis die Spannung einen fast zu zerreißen droht.

Der namenlose Protagonist auf der Flucht vor seinen Verfolgern.
Der namenlose Protagonist auf der Flucht vor seinen Verfolgern.

© Playdead.

Das Gameplay bleibt dagegen traditionell, wie man es von Jump & Run‘s kennt. Man steuert den Jungen wahlweise per Tastatur oder Gamepad, man springt über Hindernisse und interagiert mit Gegenständen, löst kleine Rätsel. Hier und da haben die Entwicklern alten Ideen einen neuen Dreh gegeben. Sie fordern einen heraus, bleiben aber immer fair. Die Steuerung steht einem dabei nie im Weg, wie es etwa beim Genre-Kollegen „Unravel“ manchmal der Fall ist. Insgesamt wird hier eine gute Mischung aus Spannung, Forderung und Entspannung geboten.

Die kurze Spielzeit von vier Stunden mag man beim Preis von 20 Euro bemängeln. Doch gerade in einer Zeit, in der einen große Entwickler mit ausufernden und lieblosen Open-World-Titeln erschlagen, ist vielleicht das ein eigener Wert an sich. “Inside“ ist eine dichte Erfahrung, wie man sie nur selten geboten bekommt, ein hermetisches Gedicht aus wunderschönen, beklemmenden Bildern, eine irritierende Reise an einen Ort, der einem auch ohne Namen und Bezeichnungen lange in Erinnerung bleiben wird.

„Inside“, Publisher und Entwickler: Playdead, erhältlich für Xbox One und PC. Preis 20 Euro, USK-Alterseinstufung: ab 16 Jahren.

Giacomo Maihofer

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