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Interview: Spickmich.de-Chef: „Lehrer geben sich selbst lauter Einsen“

Spickmich.de-Chef Tino Keller spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über klagende Pädagogen und unzufriedene Schüler - sowie über den anstehenden Prozess vor dem BGH.

Herr Keller, Sie haben stolz eine Pressemitteilung darüber verbreitet, dass der Bundesgerichtshof am 23. Juni die Klage einer Lehrerin gegen Spickmich.de verhandeln wird. Haben Sie keine Angst, den Prozess zu verlieren?



Wir haben in allen bisherigen Instanzen klar gewonnen. Die Richter haben klargestellt, dass Schule eben nicht Privatsache der Lehrer ist und sie sich in einem gewissen Rahmen von ihren Schülern Kritik gefallen lassen müssen. Auch für das Internet gilt Meinungsfreiheit. Deswegen sehen wir dem Prozess entspannt entgegen.

Trotzdem, es ist nicht ausgeschlossen, dass Sie verlieren. Würde das Portal dann am 24. Juni geschlossen?

Immer wenn es um Persönlichkeitsrechte geht, müssen verschiedene Grundrechte gegeneinander abgewogen werden. Wir warten ab, wie der Bundesgerichtshof entscheidet. Dabei geht es schließlich auch um Frage, ob ein System wie Spickmich.de gesellschaftlich gewollt ist und nützlich für die Institution Schule sein kann.

Und das ist bei Spickmich.de der Fall?

Spickmich.de besteht nicht nur aus der Lehrerbenotung, wir verstehen uns als interaktives Online-Magazin für Schüler mit ganz unterschiedlichen Inhalten, auch wenn die Lehrerbenotung durch die Klagen der Lehrer und die Berichterstattung darüber in das Zentrum gerückt wurde.

Die Klägerin wird mit Name, Funktion und ihren Unterrichtsfächern auf Spickmich.de genannt. Warum sehen Sie dies nicht als Angriff auf die Persönlichkeitsrechte der Lehrerin?

Dazu muss man wissen, dass die Informationen bereits zuvor auf Internetseiten oder in Informationsmaterialien der Schule öffentlich vorhanden waren. Über Spickmich.de sind diese Informationen nicht ungefiltert in die Welt gelangt. Wir haben gewisse Mechanismen vorangeschaltet, so dass man ein berechtigtes Interesse haben und an dieser Schule sein muss, um die Informationen zu erhalten. Man kann bei Spickmich.de nicht einfach nach irgendwelchen Lehrern suchen.

Wem nutzt dieser „Lehrer-Tüv“ außer frustrierten Schülern?

Es stimmt nicht, dass die Schüler so frustriert sind. Vielmehr freuen sich viele Schüler einfach darüber, eine Rückmeldung geben zu können und zu sehen, was andere Schüler denken.

Und die denken meistens schlecht über ihre Lehrer?

Nein, im Durchschnitt werden die Lehrer in Deutschland mit der Note 2,7 bewertet. Dass heißt, es gibt ein paar gute, aber auch ein paar schlechte Lehrer, und dazwischen einen großen Mittelbau, mit dessen Leistungen die Schüler sehr zufrieden sind – trotz aller schlechten Nachrichten über Pisa-Umfragen oder die Mängel des Schulsystems in Deutschland.

Aber was hat man als Schüler davon, wenn man mit seiner schlechten Meinung über einen Lehrer nicht allein dasteht? Eine freie Lehrerwahl gibt es nicht.

In bedingtem Maß schon, zumindest in den Oberstufen kann man durch die Wahl der Fächer einen Lehrer abwählen. Dies ist von großer Bedeutung, immerhin hat die Abiturnote einen entscheidenden Einfluss auf die weiteren Möglichkeiten des Schülers. Die Meinungsäußerungen sind aber auch für die Kommunikation an der Schule ganz wichtig. Viele Lehrer informieren sich bei Spickmich regelmäßig, um sich Rückmeldungen einzuholen. Das geht über das Internet viel einfacher als über Fragebögen.

Ein korrektes Bild entsteht aber nur, wenn über ein Filtersystem Rache- oder Spaßbewertungen verhindert werden.

Natürlich muss man sich über das Thema Manipulation Gedanken machen. Dass Leute mit dem Vorsatz zu Spickmich kommen, jemanden fertigzumachen, passiert nur in Einzelfällen. Was wir aber feststellen: Es melden sich immer wieder Lehrer an, um sich massiv hochzuwerten.

Wie versuchen Sie das?

Diese Lehrer besorgen sich bei Web.de oder GMX zehn oder 20 E-Mail-Konten, melden sich bei Spickmich.de an und benoten sich mit lauter Einsen. Da geht schon mal ein Wochenende für drauf. Diese Lehrer finden sie in allen Fachrichtungen. Sie wollen an ihrer Schule zeigen, dass sie besser sind als ihre bisherigen Noten. Oder sie wollen unser System ad absurdum führen. Allerdings finden wir das schnell heraus. Bei solchen massiven Bewertungen schlägt unser Algorithmus ganz schnell Alarm.

Der juristische Gang durch die Instanzen ist nach der Verhandlung zu Ende. Wie finanzieren Sie sich eigentlich?

Wir verstehen uns als Online-Magazin, und dementsprechend finanzieren wir uns über Online-Werbung.

Also machen Sie Gewinn?

Wir sind noch jung. Wir machen zwar nicht viel Gewinn, aber es reicht, die Kosten zu decken.

Wenn der BGH Spickmich.de unbeanstandet lässt, dann wird es bei den Bewertungsportalen im Internet kein Halten mehr geben. Die AOK hat angekündigt, dass ihre Mitglieder die niedergelassenen Ärzte in Deutschland mit benoten sollen. Ist eine Schulnote tatsächlich ein Indikator für eine pädagogische oder medizinische Leistung?

Bewertungsportale haben sicher ihre Grenzen. Der BGH wird nicht dazu aufrufen, dass alle alles benoten sollen. Das ist nur in gewissen Bahnen möglich, wenn dies durch die Meinungsfreiheit gedeckt und gesellschaftlich gewünscht ist. Wie bei allen Ratgebern oder auch Seiten zu Restaurants oder Hotels sind die Bewertungen immer subjektiv. Sie können somit immer nur ein Puzzlestein sein, aber dennoch bei einer Entscheidung helfen. Das gilt genauso für das Gesundheitssystem oder das Bildungssystem. Beide können von einer höheren Transparenz und Effizienz profitieren.

Der Druck auf die Bewertungsportale ist immens. Die Bewerteten bewerten mit. Steigt nicht in dem Maße, in dem Portale wichtiger werden, auch die Skepsis gegenüber den Portalen?

Eine gewisse Skepsis ist immer angebracht. Aber man bekommt ein Gefühl dafür, wenn man die Bewertungen bei verschiedenen Lehrern überprüft. So wie ich das bei den Lehrern von meiner Schule überprüft habe, werden Sie das auch bei Ihrem Hausarzt in den einzelnen Kategorien machen. Sie werden sehen, dass oft überraschend realistische Ergebnisse dabei herauskommen.

Welche Berufsgruppen kommen mit Kritik am schlechtesten zurecht?

Bei den Lehrern ist es damit tatsächlich nicht weit her. Auch Professoren dürften damit tendenziell mehr Probleme haben, genauso wie alle anderen Berufsgruppen mit klaren Machtverhältnissen. Anders als Handwerker kennen auch Ärzte diese Form der Bewertung noch nicht so. Wichtig ist, dass man das entspannt sieht: Denn gute Ärzte werden durch Bewertungsportale nicht plötzlich zu schlechten Ärzten.

Starten Sie nun nach dem 23. Juni ein Portal für Juristen?

Uns wurde schon des Öfteren vorgeschlagen, auch etwas über Ärzte, Juristen oder Richter zu machen. Aber wir sind nicht die Bewerter Deutschlands. Wir bleiben bei unserem Thema, den Schülern und den Schulen. Weitere Themen überlassen wir gerne anderen.

Ihnen ist aber schon klar: Sie sind der Oberlehrer der Nation?

So sehen wir das nicht. Wir sagen ja nicht, die sind gut oder die sind schlecht, vielmehr sind wir nur Mittler. Da könnte man eher sagen, dass wir die Oberschülerzeitung der Nation sind.

Das Gespräch führten Joachim Huber und Kurt Sagatz.

Tino Keller, 28, ist Chefredakteur von Spickmich.de. Das Lehrerbewertungsportal wurde im Februar 2007 gegründet und zählt nach eigenen Angaben mehr als eine Million Nutzer.

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