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Reinkommen ins Internet ist relativ einfach. Seine Unabhängigkeit und Neutralität zu bewahren ist da schon schwieriger.

© dpa

Netzpolitik: Wer regiert das Internet?

Wer regiert das Internet? Bisher ist die Antwort: alle und niemand. Das Netz wird dezentral verwaltet. Doch je wichtiger es wird, desto mehr Regierungen wollen das ändern. Denn wer die Technik kontrolliert, kontrolliert die Informationen.

Von Anna Sauerbrey

Es ist ein recht trüber Novembervormittag. Im Sitzungssaal E800, Paul-Löbe-Haus, Deutscher Bundestag, tagt der Arbeitskreis Internationale Politik der Grünen. Es geht um die Stationierung von „Patriot“-Raketen in der Türkei. Ein großes Thema, am Morgen waren die Zeitungen voll davon. Einen Raum weiter, in E700, geht es ebenfalls um Weltpolitik. Die Enquêtekommission Internet befragt Ministeriumsmitarbeiter und Experten zu der Frage: Wer regiert das Internet? Doch obwohl sich in dieser Frage zurzeit beinahe ebenso dramatische Entwicklungen abzeichnen wie im Nahen Osten, bleibt die Besuchertribüne verwaist.

Wolfgang Kleinwächter kennt das und wird dennoch nicht müde, das System der „Internet-Regierung“ zu erklären. Der deutsche Kommunikationswissenschaftler, der an der Universität Aarhus in Dänemark lehrt, drückt den Knopf auf dem Tisch vor sich und beginnt, in das rot aufleuchtende Mikrofon zu sprechen. Kleinwächter sächselt leicht, doch daraus sollte man keine falschen Schlüsse ziehen. Der Mann ist auf dem internationalen Parkett zu Hause. Vor wenigen Tagen ist er vom „Internet Governance Forum“ in Baku, Aserbaidschan, zurückgekehrt und wenn dieser Text erscheint, wird er schon in Dubai sein. In Dubai, sagen manche, entscheide sich die Zukunft des Internets. Kleinwächter sagt in das Mikrofon: „Das Netz steht am Kreuzweg.“

Im Dubai Convention Center tagt in den nächsten zwei Wochen die Vollversammlung der Internationalen Fernmeldeunion (ITU), eine Unterorganisation der UN, der neben den 193 Mitgliedstaaten Unternehmen, Verbände und Interessengruppen als assoziierte Mitglieder angehören. Ursprünglich gegründet, um technische Standards für den internationalen Telefonverkehr zu managen, sind ihre Statuten, die Internationalen Telekommunikationsregularien (ITR), heute hoffnungslos veraltet und müssen überarbeitet werden. Eine gute Gelegenheit für diejenigen Staaten, die schon lange unzufrieden sind mit der Weise, wie das Internet regiert wird, über diesen internationalen Vertrag das ein oder andere daran zu ändern.

Das Internet ist eine technische Infrastruktur. Damit es funktioniert, müssen Server betrieben werden, Nutzer und Webseiten brauchen Adressen, die Art und Weise, wie Datenpakete verpackt und gesichert werden, muss standardisiert sein, damit sie, bildlich gesprochen, beim Transport nicht von der Schiene springen. Das klingt nach rein praktischen Problemen, doch wer sich vor Augen führt, wie sensibel viele der Daten sind, wird schnell die politische Dimension erkennen: Wer die Technik kontrolliert, kontrolliert auch die Informationen.

Zwei Prinzipien liegen der Verwaltung des Internets bislang zugrunde. Politisch gesehen, das Prinzip der Unabhängigkeit. Anders als etwa beim Straßenverkehr, bei dem fast alle Normen (beispielsweise Spurbreite, Maut, Zulassung von Verkehrsteilnehmern) von Regierungen gemacht werden, werden die Regularien für den Datenverkehr von privatrechtlichen Organisationen bestimmt, auf die Staaten nur indirekt Einfluss haben. Das liegt an der Geschichte des Internets, das als Netzwerk zwischen Wissenschaftlern entstanden ist. Diese „technische Community“ war es auch, die die Organisationen gründete, die bis heute für die Verwaltung zuständig sind, die bekannteste unter den Unbekannten ist noch die 1998 gegründete Icann. Die Entscheidungen trifft dort ein 16-köpfiger Vorstand, der von Vertretern verschiedenster Interessengruppen mitbestimmt wird. Regierungen spielen bei seiner Besetzung keine Rolle. Weil so viele Organisationen beteiligt sind, spricht man von einem „Multi-Stakeholder-Modell“, also vom Modell breiter Beteiligung.

Der Krieg der Paragrafen

Das zweite Prinzip ist das der „Netzneutralität“. Es besagt, dass jedes Paket auf den Datenautobahnen gleich behandelt und gleich schnell befördert wird – egal, von wem es stammt und was es enthält. Beide Prinzipien werden derzeit angefochten, erklärt Wolfgang Kleinwächter den deutschen Abgeordneten. Viele Staaten wollen, sagt er, das Prinzip der nationalen Regulierung, wie es in der Telefonie vorherrscht, auf das Internet übertragen. „Und die Ausübung der staatlichen Souveränität im Internet bewegt nicht nur China oder den Iran“, sagt Kleinwächter, „sondern auch europäische Regierungen.“

Auf der Konferenz in Dubai allerdings sind es die üblichen Bösewichte der Weltgemeinschaft – Russland, arabische Staaten, China – die versuchen, über den Umweg der Internationalen Telekommunikationsregulierung die Zügel des Internets fester in die Hand zu bekommen. Seit Monaten wird auf Vortreffen zur Konferenz weitab der Öffentlichkeit ein Kleinkrieg der Paragrafen geführt. Die Attacken verstecken sich in den mehr als hundert Änderungsvorschlägen, die Staaten bei der Fernmeldeunion eingereicht haben. Mehr als 200 Seiten lang ist ein Dokument der ITU von Juni 2012, das einen Überblick bietet und das nur auf Umwegen in die Öffentlichkeit gelangt ist.

Ein gutes Beispiel für die Konferenzpolitik ist ein Antrag Russlands. Eine wichtige Voraussetzung für den reibungslosen Datenverkehr ist, dass jeder Teilnehmer eine eindeutige Adresse hat. Sonst wissen die Server nicht, an wen sie die Dateien ausliefern sollen. Vergeben wird ein Großteil der IP-Adressen privater Nutzer temporär, bei jedem Einloggen neu, und zwar vom Anbieter, der den Internetanschluss unterhält, etwa von O2. Die Anbieter bedienen sich aus Adressbündeln, die sie bei den privatrechtlich organisierten „regionalen“ Registrierungsstellen der fünf Kontinente beziehen. Die Registrierungsstellen wiederum richten sich nach den Vorgaben der IANA, einer Abteilung der Icann. IP-Adressen sind heikel. Bislang garantieren sie weitgehend die Anonymität des Internetnutzers. Wer unter welcher Nummer surft, wird nirgends zentral gespeichert, in Deutschland wissen das nur die Anbieter, und die sind gemäß Datenschutz verpflichtet, die Daten in vergleichsweise kurzer Zeit zu löschen. Russland wollte nun bewirken, dass ein Teil der IP-Adressen von der ITU vergeben wird, also von einer zwischenstaatlichen statt von einer privaten Organisation. Die Anonymität im Netz wäre damit nicht aufgehoben – aber die Staaten würden der Kontrolle über die Nutzer ein Stückchen näher kommen.

Allerdings ist der Widerstand gegen den russischen Vorschlag groß. Schon in dem ITU- Papier vom Juni werden die Vorbehalte der USA und der Europäer deutlich. Laut Sarah Parkes, ITU-Pressesprecherin, gibt es zwar aktuell noch einen Vorschlag Russlands, der IP- Adressen „generell erwähnt“, allerdings nicht fordere, die ITU solle die Adressen zuweisen.

Andere Änderungsvorschläge, die Nicht-Regierungsorganisationen wie die „Internet Society“ mit Sorge betrachten, klingen zunächst sogar begrüßenswert. So wünschen sich zum Beispiel Russland und Ägypten eine Definition von Spam. Wer mag schon Spam? Spam, schlagen sie vor, solle definiert werden als „Informationen, die über ein Telekommunikationsnetzwerk innerhalb kurzer Zeit an eine große Zahl einzelner Adressen versandt werden, ohne dass die Adressaten dem zuvor zugestimmt haben“. Die Mitgliedstaaten sollen sich zum Kampf gegen Spam verpflichten. Wie aber ließe sich nach dieser Definition ein massenhaft versandter Demonstrationsaufruf der russischen Opposition von einer Werbe-Mail für Viagra trennen? Die Antwort ist: gar nicht. Und genau das ist vermutlich das Ziel.

Die Interessen der Konzerne

Neben Staaten versuchen auch Unternehmen ihre Interessen in Dubai geltend zu machen. Kleinwächter beschreibt den Konflikt als einen Kampf zwischen der „alten New Economy“ und der „neuen New Economy“, zwischen den Telekoms und den Googles dieser Welt. Unter Beschuss gerät dabei das zweite Prinzip der bisherigen Internetregierung: die Netzneutralität, die Gleichbehandlung aller Datenpakete und ihrer Absender.

Die alte New Economy fühlt sich ungerecht behandelt. Anfang der 2000er Jahre investierten überall in der westlichen Welt die frisch privatisierten Telekommunikationsunternehmen in den Ausbau immer schnellerer Netze, für die Massen, die ins Internet strebten. Die neue „New Economy“ – Videoportale, Musikdienste, Suchmaschinen – setzte sich in die teure Hardware wie ins gemachte Netz und verschickte immer größere Datenpakete über die Autobahnen – ohne für die Instandhaltung aufzukommen. Die European Telecommunication Network Operators Association (ETNO), der Verband der ehemals staatlichen Kommunikationsunternehmen in Europa, fordert nun einen „Ausgleich für den beförderten Datenverkehr“. Die Unternehmen, darunter die Telekom, wollen zur Refinanzierung ihrer Netze unter anderem neue Geschäftsmodelle einführen. Sie fordern, dass die Staaten ihnen ermöglichen sollen, auf den Datenautobahnen eine Art „Business-Klasse“ einzurichten und bestimmte Pakete mit Priorität zu befördern.

Beobachter wie Wolfgang Kleinwächter sehen das kritisch, denn die politischen Auswirkungen könnten gravierend sein. Bislang hat das Netz (eigentlich) keine „Checkpoints“, an denen Datenpakete angehalten und klassifiziert werden können. „Wenn man nun aber eine Differenzierung einführen will“, sagt er, „muss man die Pakete aufmachen, und reingucken, was ist drin. Damit öffnen Sie die Tür zu einem Zensurregime.“ Wer Kontrollen einrichte, könne ja auch nachschauen, ob sich unliebsamer Inhalt in den Datenpaketen befinde.

Für seinen Vorschlag, festgehalten in einem Papier von Juni 2012, suchte der Verband nach einem staatlichen Fürsprecher. Zwar ist der ETNO selbst Mitglied der ITU, Änderungsvorschläge können aber nur Regierungen einbringen. Unternehmensvertreter stellten die Forderungen bei einem vom Bundeswirtschaftsministerium organisierten Vorbereitungstreffen in Bonn im September vor. Nach Informationen aus Teilnehmerkreisen sprachen sich Vertreter der Bundesnetzagentur aber vehement dagegen aus. Ebenso wenig Glück hatte der Verband bei der Gruppe der europäischen Staaten, die in Dubai gemeinsam auftreten. Sowohl beim Bundeswirtschaftsministerium, das federführend ist, als auch bei den anderen Europäern fand das Papier keinen Anklang. Ohne sich konkret auf den ETNO- Vorschlag zu beziehen, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium, man habe darauf hingewirkt, dass die Europäer „solche Regelungen“ ablehnen.

Vom Tisch sind die Vorschläge des ETNO allerdings nicht. Die ITU bestätigt, zwar sei das Papier von keiner Regierung eins zu eins übernommen worden. „Allerdings wurden verwandte Vorschläge von afrikanischen und arabischen Regierungen eingebracht. Die Themen, die ETNO aufgebracht hat, werden also Gegenstand der Konferenz sein“, sagt ITU-Sprecherin Sarah Parkes. Der Verband selbst will dazu nicht Stellung nehmen. Nur so viel: Nein, man strebe keine regulatorischen Eingriffe an, aber man wünsche sich ein „Referenzmodell“ für Verhandlungen.

Die Aussicht, dass in Dubai radikale Änderungen beschlossen werden, sind dennoch gering. In Deutschland wollen alle Parteien das bestehende Modell der Internetregierung erhalten. „Ich hielte es für falsch, dass die ITU eine wesentliche Rolle bei der ,Internetregierung‘ spielen sollte“, sagt Malte Spitz, Vorstandsmitglied der Grünen. In einem Positionspapier des Wirtschaftsministeriums heißt es: „Die Bundesregierung unterstützt das Management des Internets, wie es u. a. bei Icann erfolgreich praktiziert wird. Sie sieht daher keine Notwendigkeit, Fragen der Verwaltung und Koordinierung kritischer Internetressourcen in die ITU und damit in das VN-System zu integrieren.“ Jimmy Schulz, FDP-Abgeordneter und Netzexperte, sagt: „Wir haben eine klare Linie, in Deutschland und in Europa.“ Eine Linie, die ganz auf der Linie der USA liegt.

Dennoch: Entwarnen will auch niemand. Bei der Anhörung im Bundestag sagt Peter Voss, Referatsleiter im Bundeswirtschaftsministerium, der die deutsche Delegation leiten wird, sicher würden die genannten Themen auf der Konferenz eine Rolle spielen. Ben Scott, ein Netzaktivist, der zwei Jahre lang im US-Außenministerium arbeitete und Hillary Clinton in Sachen internationaler Netzpolitik beriet, sagt im Interview mit dem Tagesspiegel: „Wir sind der Ansicht, dass gerade ein mehrjähriger Veränderungsprozess beginnt. Das sind große Entscheidungen, die Auswirkungen für sehr viele Menschen haben werden.“ Und auch Kleinwächter ist sicher: „Man wird weiter nach Möglichkeiten suchen, wie man seine Interessen durchsetzen kann.“ Wenn nicht auf diesem Gipfel, dann eben bei der nächsten Gelegenheit. „Dubai ist nur der Eröffnungszug“, sagt Kleinwächter im Bundestag gravitätisch. „Der Eröffnungszug in einer Schachpartie, die noch lange dauern wird.“

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