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Nabelschnur. Zu den wenigen Dingen, die Flüchtlinge mitnehmen können, zählt fast immer ein Smartphone.

© picture alliance / dpa

Refugee-Hackathon: Willkommen, App!

In ein paar Tagen treffen sich in Berlin Flüchtlinge und Programmierer. Beim Refugee-Hackathon wird für die gute Sache codiert.

Yasin ist Syrer und neuerdings in Deutschland. Mit der fremden Sprache tut er sich noch schwer. Doch er spricht vier Sprachen, die auf der ganzen Welt verstanden werden. Oder vielmehr – er schreibt sie. Brötchen kaufen, kann man damit nicht, denn sie heißen: HTML5, CSS3, JavaScript und Ruby. Computersprachen – mit denen man mit Webbrowsern und Servern kommunizieren kann. Mit Menschen reden ist auf HTML eher schwierig.

Das Wort Brötchen heißt: B r ö t c h e n.

„Computer machen nicht so viel Small Talk“, sagt Yasin und grinst. Er sitzt auf einem Feldbett in einer Berliner Erstaufnahmeeinrichtung. Dunkles Haar, schmächtig, Brille und ist sichtlich gelangweilt. Deutsch spricht er nur ein paar Brocken. Wörter, die er nicht kennt, ersetzt er gern mit englischen oder ausschweifenden Gesten. Bevor Yasin wie so viele seiner Landsleute aus Syrien floh, studierte er an der Arab International University in Damaskus „Informatics & Communication Engineering“. Neben angewandter Logik standen auch Codieren und Datenbanken auf dem Stundenplan. Jetzt, in Deutschland, will er sein Studium so schnell wie möglich beenden und dann einen Job finden. Doch das dürfte noch ein wenig dauern. Die Bürokratie, die Vorschriften, die vielen anderen.

Dabei wäre er einer derjenigen, die großen Einfluss nehmen könnten auf die Flüchtlinge. Denn die Flüchtlingsströme im Jahr 2015 sind wohl die erste digital gesteuerte Völkerwanderung der Geschichte. Über Google Maps werden Schmuggelrouten geplant, über Whatsapp Schleuser kontaktiert. Selfies der Kanzlerin lassen Menschen auf ihrem Track gen Europa hoffen, und die Nachrichten über die geschlossenen ungarischen Grenzen verbreiteten sich in Syrien schneller, als Al Jazeera auch nur einen Fernsehreporter entsenden konnte.

In Facebook-Gruppen fragen Flüchtende jene, die es bereits über die Grenzen geschafft haben um Rat. Wo ist der beste Ort, den Stacheldraht zu überqueren? Wie beantragt man Asyl? Das Smartphone ist die Informationsquelle Nummer eins eines jeden Flüchtlings. Schon allein deswegen, weil in Entwicklungsländern wie in Syrien private, stationäre Computer unüblich, Smartphones hingegen aber weit verbreitet sind. Und so erfüllt das Smartphone neben seiner Fluchthelfer-Funktion auch seine Rolle als letzte Verbindung in die Heimat. Kaum jemand nutzt Skype so häufig wie Topmanager und Flüchtlinge.

Die Smartphones sind da, es fehlt die richtige Software

Doch obwohl so gut wie jeder Flüchtling ein Smartphone besitzt, fehlt es zuweilen an der richtigen Software. Da die Probleme der Flüchtlinge relativ neu sind, existieren erst wenige Initiativen, die versuchen, Flüchtlingsprobleme mit Codes zu lösen. Eine der neuesten Initiativen ist der Refugee-Hackathon, der vom 23. bis 25. Oktober in Berlin stattfindet. Dann treffen sich Programmierer, Grafikdesigner und Entwickler und codieren ein Wochenende für Flüchtlinge und die gute Sache. Anders als bei gewöhnlichen Hackathons, sollen hier jene zu Wort kommen, die wirklich wissen, welche Probleme Flüchtlinge beschäftigen: die Flüchtlinge selbst. Ebenfalls eingeladen sind Mitarbeiter von Behörden, Hilfsorganisationen und freiwillige Flüchtlingshelfer, die im täglichen Umgang mit den Neuankömmlingen Erfahrung haben. Doch am wichtigsten bleiben die Flüchtlinge. „Denn das sind ja die Subjects, die am allerbesten Bescheid wissen, was sie brauchen können. Wie es aussehen soll, dass es ihnen am meisten nützt“, sagt die Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg, die den Hackathon organisiert. „Deswegen machen wir mit ihnen am Freitag einen Workshop vor dem eigentlichen Hackathon, wo wir für die Programmierer eine Arbeitsliste mit den Flüchtlingen erstellen. Damit die Codierer wissen, was Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer am dringendsten brauchen.“ Die Idee für den Hackathon hatte Domscheit-Berg auf Twitter unter dem Hashtag #refugeehackathon gepostet und nach positiver Resonanz in Angriff genommen.

Im Anschluss an den Hackathon sollen alle Codes als Open-Source-Lösung auf der Entwickler-Plattform Github der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden. Jeder der will, kann diese dann verwenden, seinen Bedürfnissen anpassen oder weiterentwickeln. Ein Vorbild gibt es bereits im deutschsprachigen Raum: der Refugee Hack Vienna, der vom 9. bis 11. Oktober in Wien stattfand. Hier wurde an einer Willkommens-App gewerkelt, die Flüchtlingen nach ihrer Ankunft in Österreich Zugang zu den wichtigsten Informationen bieten soll. Auch eine „Mini-Crowdfunding“-Plattform stand auf dem Programm, mit der kleine Hilfeleistungen wie Ausflüge für Flüchtlingskinder finanziert werden können.

Beim Berliner Hackathon sollen nun andere Projekte gestemmt werden. Auf der vorläufigen Liste steht unter anderem das Projekt WeConnect, das Begegnungen und gemeinsame Aktivitäten von Geflüchteten und Berlinern organisieren soll. An jene, die noch auf der Flucht sind, richtet sich der Workshop OnlineAsyl, der Flüchtlingen die Möglichkeit geben soll, einen Asylantrag zu stellen, ohne in Deutschland zu sein. Bisher sind Flüchtende gezwungen, illegal nach Deutschland einzureisen, um überhaupt einen Antrag einreichen zu können.

Besonders hilfreich: Die Behördenpost-Übersetzer-App

Für jene, die diesen Schritt schon hinter sich gebracht haben, ist die Behördenpost-Übersetzer-App gedacht. Denn schwieriger als Deutsch ist nur Behördendeutsch. Syrer, Eritreer und andere Flüchtlinge sollen mit der App Amtsformulare ins Internet laden können und diese von Muttersprachlern erklärt bekommen. Sei es, um zu verstehen, welche Unterlagen sie einzureichen haben, oder schlicht um zu erfahren, wann ihr nächster Termin ist.

Dass es damit aber zuweilen nicht getan ist, sieht man an den endlosen Schlangen vor dem Lageso, wo Flüchtlinge tagelang warten, bis ihre Nummer aufgerufen wird. Ein Entwicklerteam unter dem Namen LAGeSoNUM soll diese Nummern am Wochenende ins Netz stellen, sodass Antragsteller online einsehen können, ob ihre Nummer bereits aufgerufen wurde, statt Tag für Tag vor der Behörde zu warten.

Doch all diese Projekte sind provisorisch, abhängig davon, ob Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer sie am kommenden Freitag für nützlich erachten. „Wenn sie andere Ideen haben oder sagen: Nee, das brauchen wir nicht, lasst uns etwas anderes machen! Dann steuern wir da um“, sagt Anke Domscheit-Berg. „Bei manchen Projekten wie dem Programm FindMe, das helfen soll, auf der Flucht verlorene Familienmitglieder wiederzufinden, gibt es zum Beispiel schon Infrastruktur vom Roten Kreuz. Da ist es sinnvoller, diese vielleicht nur zu verbessern und nicht etwas ganz Neues zu machen.“

Programme und Webseiten, die bereits jetzt im Einsatz sind und sich an Flüchtlinge oder ihre Betreuer richten, sind beispielsweise die Jobbörse Workeer, wo Flüchtlinge auf ihnen gegenüber positiv eingestellte Arbeitgeber treffen. Ebenso die Webseite Fluechtlinge-Willkommen.de, die versucht, Wohnungen für Heimatlose zu vermitteln, während die App helphelp2 Sachspenden und der Volunteer-Planner Freiwilligen-Arbeit koordinieren.

Die App RefuChat wiederum übersetzt gesprochene Sätze ins Deutsche und spricht sie via Computerstimme nach. So können Flüchtlinge auch ohne Dolmetscher mit Behördenmitarbeiter oder dem Bäcker an der Ecke kommunizieren. Sie ist vor allem für arabischsprachige Ankömmlinge gebaut. HTML5 kann sie leider noch nicht ins Deutsche übersetzen.

Michel Penke

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