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Startup-Zone Berlin. Die deutsche Hauptstadt trägt den Beinamen "Silicon Allee".

© Kai-Uwe Heinrich

"Silicon Allee" in Berlin: Det nächste große Ding

Berlin ist die Hauptstadt der Start-Ups. Es gibt mehr Ideen als Geld. Das hindert keinen Gründer, seinen Traum von einem Google aus der „Silicon Allee“ zu träumen.

Kalifornische Garagen gelten als Orte, an denen Ideen besonders gut gedeihen. Vor allem solche im Silicon Valley, dem als Technologie-Quartier auf einem ehemaligen Flugplatz unweit der Universität Stanford gegründeten Wirtschaftswundertal. Google, Apple, Facebook und andere teilen von dort die digitale Welt unter sich auf, den Garagen und den Mechanismen analoger ökonomischer Kreisläufe längst entwachsen. Darf so viel marktbeherrschende Innovation auch in Deutschland entstehen?

Es könnte ein gutes Omen sein, in einem grauen Kastenbau in Berlin-Adlershof nach dem hiesigen Existenzgründer-Wunder zu suchen. Ein ehemaliger Flugplatz ist mit Johannisthal in der Nähe, ein Campus auch, die kalifornische Ikone Pamela Anderson verdient sich gerade unweit im „Big Brother“-Container etwas dazu. An der Außenwand des Kastenbaus hängt ein als Fahndungsplakat entworfenes Werbeposter. „Wanted“: Mit Hilfe der Humboldt-Universität versuchen sich hier Existenzgründer am „nächsten großen Ding“, das in der deutschen Start-up-Hauptstadt mantraartig herbeigebetet wird, obwohl es im globalen Maßstab kein letztes richtig großes Ding gegeben hat.

Natürlich, es gibt in Berlin „Zalando“ und „Soundcloud“, Hollywood-Star Ashton Kutcher hat als „Business-Angel“ investiert und sogar Bill Gates war in der „Silicon Allee“ unterwegs, wie die „New York Times“ die Gründerszene in Berlin nennt. Doch trotz großer Namen und einer Firmengründung alle 20 Stunden ist die Kritik am Start-up-Standort Berlin mindestens genauso laut wie der Hype um ihn. Zu wenig Risikokapital, das auch noch zu vorsichtig eingesetzt wird, zu viele etablierte Firmen, die sich einmischen: zu viel Deutschland steckt in diesem kalifornischen Traum. Was niemanden daran hindern muss, ihn zu träumen.

Felix Anthonj, 23, Tobias Krauß, 24, und Marcel Schmid, 24, empfangen in einem kargen Büro. Die drei sind lässig beturnschuht, tragen ihr unerschrockenes Unternehmerlachen, das seine Vorbilder auch eher in San Francisco als in Sindelfingen hat. Von der Wand blickt die kultige Kapitalisten-Ente Dagobert Duck voller Freude über den ersten selbst verdienten Taler auf ein Kabelgewirr. Das haben die drei mit ihrer Firma „Flexperto“ noch vor sich. Trotzdem sagt Geschäftsführer Anthonj mit voller Überzeugung: „In zehn Jahren wollen wir Marktführer in Europa sein. Wenn einer den Rat eines Experten sucht, soll er als Erstes an Flexperto denken.“

Die Plattform, mit der die drei es packen wollen, bietet Laien gegen Entgelt einen Videochat mit Fachleuten unterschiedlicher Fachrichtungen. Ob rechtliche Fragen oder Sorgen um das eigene Idealgewicht: Ohne zusätzliche Software sollen Internetnutzer professionelle Beratung erhalten. „Ich habe für ein Referat an der Uni Tipps gesucht, aber die typischen textbasierten Frageseiten im Internet haben mich nicht weitergebracht“, erinnert sich Anthonj. Irgendwann holte er seinen Mitbewohner Krauß und Schmid hinzu, die drei „International Management“-Studenten der Universität Reutlingen gliederten die Programmierarbeit teilweise in die Ukraine aus, erhielten erstes Kapital von einem befreundeten Investor. „Wir haben Pool-Sessions gemacht, um an der Idee zu arbeiten“, sagt Anthonj. Nein, damit ist kein Pool an ideenreichen Jungunternehmern gemeint, die Köpfe zusammenstecken, sondern ein Swimming-Pool in Saarbrücken, wo der Firmenchef herstammt. Start-ups sind keine Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichten. Sie sind die Aufstiegsraketen der wagemutigen Wohlsituierten.

Den Kontinent haben sie unter sich schon aufgeteilt. Wenn „Flexperto“ erst einmal Marktführer ist, sollen Krauß und Schmidt „Country-Manager“ für Frankreich und Spanien werden, ihren Fremdsprachenkenntnissen entsprechend, während Anthonj von Berlin aus das Imperium verwaltet. Zunächst einmal heißt es jedoch Adlershof, „eine Übergangslösung“, wie die drei sagen, erst vor wenigen Wochen zogen sie nach Berlin. „Wegen der Vielfalt“, sagt Schmid, „wegen der kreativen Energie“, meint Anthonj. Krauß gefallen die Nachtclubs entlang der Spree.

Der wichtigste Umzugsgrund war natürlich, dass „hier die Gründerszene am aktivsten ist“, sagen die drei. 300 000 Euro wollen sie sammeln, „gar nicht so viel für ein Start-up“, meint Krauß. Mit diesem Geld könnten sie die Seite ausbauen, den Betrieb für ein knappes Jahr am Laufen halten, expandieren. Und irgendwann sich selbst ein Gehalt gönnen, den bislang wird ihr Leben für den Start-up-Traum von den Eltern finanziert. Also gehen sie dorthin, wo die Investoren sind.

Felix Anthonj steht auf der Bühne. Es läuft das „Start-up Berlin Event“. Als einziger der fünf Redner stellt Anthonj seine Firma ohne Zettel und Mikrofon vor. Er erklärt das Bewertungssystem für die Experten, das den Kunden der Plattform die Entscheidung erleichtern soll, arbeitet wie ein Dirigent mit den Händen, grinst optimistisch. Verkaufe dich – und du verkaufst dein Produkt. Am Ende gibt es viel Lob, eines der drei Jury-Mitglieder erklärt „Flexperto“ zum Sieger des Abends.

Ein Existenzgründer-Fest ist immer vor allem Kontaktbörse, aber auch die ideale Gelegenheit, druckreife Sprüche aus der Szene über die Szene aufzuschnappen. „Früher zogen Leute nach Berlin, um sich vor dem Wehrdienst zu drücken, dann zum Feiern, heute zum Gründen“, sagt ein Investor zwischen zwei Vorträgen. Er beißt auf einen Zitrone-Himbeer-Muffin, dem Snack der Wahl an diesem Abend in der „Forum Factory“ in Berlin-Mitte. Am Rande stehen Pinnchen, in denen Salat drin ist, nicht Schnaps. Branchenkenner kommen hinzu und schimpfen, auf den hiesigen Datenschutz, das enge rechtliche Korsett. Event-Veranstalter Sascha Ehlers spricht auch das bekannteste Problem an: „Es gibt in Berlin mehr Ideen als Geld.“

Gefragt danach, warum Berlin dann für aufstrebende Unternehmen die richtige Wahl sein soll, wissen viele keine präzise Antwort. Der ganze Hype, die gute Infrastruktur, das Internationale, klar. Dass „eine ganze Wohnung hier so viel kostet wie in Kalifornien die berühmte Garage“, wie ein Manager es formuliert, dürfte sicher auch eine Rolle spielen.

Die an diesem Abend vorgestellten Ideen sind vielfältig, von einem exklusiven Party-Netzwerk bis hin zu einer App, die den Messeführer ersetzt und schon seit einigen Jahren im Einsatz ist. Seit Jahren im Einsatz... ist das noch ein Start-up? Wie definiert man das überhaupt? Die Experten sind ratlos. „Du bist so Start-up, wie du dich fühlst“, lautet am Ende die erhellendste Antwort.

Um den vielen Vermutungen über die Existenzgründungen in Deutschland eine wissenschaftliche Basis zu geben, hat der „Bundesverband Deutsche Start-ups“ zuletzt einen Monitor-Bericht herausgegeben. Wie die Szene selbst konzentriert er sich vorwiegend auf Berlin. Firmen, die jünger als zehn Jahre sind, innovativ und schnell wachsend, gelten hier als Start-ups, um die 5000 sollen es in Deutschland sein, Tendenz steigend. 70 Prozent der Firmen beklagen einen Mangel an Risikokapital, wobei es für Berliner Gründer besser läuft, nicht zuletzt wegen des Anteils an ausländischen Investitionen, die gut 50 Prozent ausmachen. „Die anderen trauen uns halt mehr zu als wir uns selbst“, sagt der Muffin essende Manager bissig.

Bei einem Vortrag von Start-up-Experte Alex Jansen füllt sich dann wieder der Hauptraum. Was eine vielversprechende Firmengründung ist, will er den jungen Gründern erklären, wo die Fallstricke liegen. Mit der Selbstgewissheit des erfahrenen Branchenprofis nennt Jansen die sieben Fallstrick-Fragen: Gibt es Widersprüche im Geschäftsmodell? Baut es auf Fakten oder auf Annahmen auf? Ist es einfach? Welches Bedürfnis wird befriedigt? Wer ist der Kunde? Ist die Idee visualisierbar? Wird eine Erfahrung oder ein Wert verkauft? Hat jemand schon einmal das Gleiche gemacht?

Einige Stirnrunzler im Raum: Waren das jetzt nicht acht Probleme? „Richtig“, sagt Alex Jansen, „die Zahl der Fallstricke wird auch nicht kleiner.“

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