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Eher schon eine der freundlicheren Reaktionen auf den Tod Margaret Thatchers (gesehen in Belfast). Mit einer Portion schwarzen britischen Humors.

© AFP

Vom Netz genommen (9): Margaret Thatcher: Über die Tote nur Gutes?

Die Eiserne Lady polarisiert über den Tod hinaus. Neben Würdigungen gab es in den Reaktionen auf ihren Tod viel Kritik, aber auch Häme bis hin zur unverhohlenen Freude. Harte Zeiten für die Debattenkultur - und ein Thema für unsere Debattenkolumne.

Von Markus Hesselmann

Margaret Thatcher ist tot. Die frühere britische Premierministerin, die Eiserne Lady, war derart umstritten, dass in den Debatten, digital wie analog, die Emotionen nach der Todesnachricht und mit den Nachrufen noch einmal heftig anschwollen. Für mich ein Anlass, einmal grundsätzlicher zur Diskussion zu stellen, was in Debatten zum Tod eines Menschen angemessen wäre und was nicht.

Der Begriff "Pietät" liegt nahe, wenn es um die Haltung zum Tod eines Menschen geht, und er taucht in den Debatten auch jetzt wieder auf. Sowie natürlich ein wohlbekannter, althergebrachter Grundsatz: "Noch nie etwas gehört von 'de mortuis nil nisi bene'" schreibt Leser "orthoklas" in seinem Kommentar zu hämischen Reaktionen auf Thatchers Tod vor allem in Großbritannien. Fair enough, würde ich auf gut Britisch erst einmal dazu sagen. In einer offenen, säkularen Gesellschaft darf Pietät doch nicht Absolution von Kritik bedeuten. Damit kann auch "Über die Toten nur Gutes" nicht in aller Strenge gelten - wenn es denn je gegolten hat, auch über die komplexe Semantik des antiken Sinnspruchs herrscht ja keine Einigkeit.

Aus meiner Sicht sollten wir uns in der Debatte über einen Verstorbenen an das halten, was auch zu dessen Lebzeiten Gültigkeit hat: Kritik ist willkommen, gern auch polemisch und zugespitzt, aber bitte immer auf der inhaltlichen, thematischen, sachlichen Ebene. Natürlich ist das in der Praxis nicht immer sauber zu definieren. Die Politik eines Menschen lässt sich von dessen Persönlichkeit nicht scharf trennen. Man könnte es so fassen: Es ist jederzeit legitim, die Lebensleistung eines Menschen und auch dessen persönliche Haltungen in Frage zu stellen, nicht aber dessen Leben oder die Person selbst. So viel Toleranz sollten wir auch umstrittenen Figuren immer entgegenbringen. So viel Menschlichkeit muss sein - auch und gerade in der offenen Gesellschaft.

Das Thema Pietät wurde dann aber doch noch wichtig: In dem Moment nämlich, als der Tod der alten Dame auf einmal Freude auslöste, zum Anlass für Party wurde: auf den Straßen Großbritanniens, in den sozialen Netzwerken und leider auch in unserem Leserforum. Das ist alles nicht verboten, wir bekennen uns aber dazu, es für zutiefst unmenschlich zu halten und in unserem Forum auf Tagesspiegel.de nicht zuzulassen.

Auf welche leider wohl unausweichliche Frage das zusteuert, ist klar: Und was ist mit Hitler? War dessen Tod etwa nicht erfreulich? Eine Frage aus dem Geiste der Konsequenz, nicht des gesunden Menschenverstands. Wir halten es nicht im Ansatz für akzeptabel, Margaret Thatcher auch nur in die Nähe des schlimmsten politischen Verbrechers der Menschheitsgeschichte zu rücken. Deshalb haben wir solche Vergleiche in Leserkommentaren auch gar nicht erst freigeschaltet und diese absurde Debatte von vornherein unterbunden.

Es gab Grenzfälle, wie immer, und wir geben zu, dass wir in der Redaktion da auch nicht immer sicher sind und unsere Moderatoren bei ihrer diffizilen Arbeit zuweilen Entscheidungen treffen, die wir dann später selbst noch einmal überdenken. Hier ein Beispiel, ein Kommentar unseres eifrigen Users "dali": "Margaret Thatcher: Die eiserne Lady des Empires. Sie war keine Krankenschwester, sie war eine Totengräberin! Sie hat Millionen Briten ins Elend gestürzt, die britischen Sozialsysteme zerstört, und unter den Folgen ihrer Politik leidet heute noch halb Europa, einschließlich der Zypernkrise. Diese Frau hat eine Seuche nach Europa getragen, von deren Folgen wir uns noch lange nicht erholt haben. Nix mit Heilung, Verwerfung, Zerstörung, Armut und hemmungsloser Egoismus der Reichen. Dafür steht Maggie Thatcher und für sonst nichts!!!"

Dass man diese Einschätzung teilen darf, aber nicht muss, versteht sich von selbst, und darum geht es hier nicht. Es geht um "Totengräberin" und "Seuche", beides harte, pietätlos klingende Worte, die unseren Moderator zunächst veranlassten, diesen Leserkommentar nicht online gehen zu lassen. Wir haben dann noch einmal darüber nachgedacht: Dem Begriff "Totengräber" wurde durch häufigen metaphorischen Gebrauch doch inzwischen das meiste von seiner Härte genommen - bis hin zu einem Autotest, in dem unlängst "die Projektionstechnik zum Totengräber der Klappscheinwerfer" erklärt wurde.

Das zweite Wort, die "Seuche", ist sicherlich grenzwertig, und doch wird dadurch letztlich Kritik an einer Handlung geübt und nicht gleich die Person in Frage gestellt - noch dazu mit einer Metapher, die auch inzwischen in vielen anderen Zusammenhängen entschärft wurde. Wir haben den Beitrag nachträglich noch freigeschaltet.

Und jetzt sind Sie wieder dran, liebe Leserinnen, liebe Leser. Was meinen Sie? Sind wir zu streng im Umgang mit Kritik an Verstorbenen? Im konkreten Fall Margaret Thatchers oder grundsätzlich? Oder sollten wir sogar noch stärker eingreifen in die Debatten? Und wie bewerten Sie die Reaktionen auf den Tod der Eisernen Lady? Wird ihr Unrecht getan oder steckt in der oft harschen, hämischen Kritik auch Wahrheit? Kommentieren und diskutieren Sie mit. Nutzen Sie dazu bitte die einfach zu bedienende Kommentarfunktion etwas weiter unten auf dieser Seite.

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