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Daniel Domscheit-Berg, hier während einer Demonstration anlässlich des Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar.

© AFP

Wikileaks: Schreiben über das Geheimnis

Daniel Domscheit-Berg hat seine Geschichte mit Wikileaks erzählt. Tina Klopp berichtet aus einer Geheim-Welt großer Kommunikationsprobleme und voller Verschwörungssorgen.

Wie sehen Spione aus? Kurz keimt auch in mir ein Verdacht, als der so auffällig Unauffällige neben Daniel Domscheit-Berg und mir Platz nimmt. Hat der Fremde uns gerade belauscht? "Das Gleiche wie immer?" Die Bedienung entlarvt ihn. Ein Stammgast, keinesfalls ein heimlicher Beobachter, ausgesandt, um Daniel zu observieren.

Es ist eines unserer ersten Treffen im November 2010. Kurz zuvor habe ich die Aufgabe übernommen, Daniels Geschichte in dem Buch Inside Wikileaks aufzuschreiben. Mehrere Wochen lang werde ich fast jeden Tag mit ihm korrespondieren, viele Tage in seiner Küche sitzen, Fragen stellen, kritische Formulierungen besprechen. Neunzehn  Stunden Tonbandaufnahmen entstehen in dieser Zeit. Ich lerne, dass die Geschichte von Wikileaks nicht nur die einer neuartigen Enthüllungsplattform im Internet ist. Es ist auch die Geschichte zweier Männer, die einst engste Freunde waren, und die auf dem Höhepunkt ihres Erfolges miteinander brachen. Es geht um Loyalitäten und um die Verlockungen von Ruhm und Macht.

Daniels Welt ist noch immer eine geheime, auch zwei Monate, nachdem er bei Wikileaks ausgestiegen ist. Immerhin interessieren sich Leute für ihn, denen nicht lieb sein kann, wenn ein so intimer Kenner der inneren Vorgänge auspackt. Und interessant ist er vielleicht auch für den amerikanischen Geheimdienst, der schon länger nach Mitteln und Wegen sucht, seines früheren Mitstreiters Julian Assange habhaft zu werden.

Als ich Daniel das erste Mal auf dem Mobiltelefon anrufe, um ein Detail nachzufragen, schimpft er mich aus. Jedes Telefon sei hackbar, jedes Handy könne zum Mitlauschen verwendet werden. Also chatten wir uns durch viele kniffelige Fragen. Den nächsten Rüffel fange ich mir ein, als ich ihm eine wichtige Frage per E-Mail zukommen lasse: "Gmail ist das Schlimmste, spinnst du!" So einfach müsse man es dem amerikanischen Geheimdienst nun wirklich nicht machen. Ich bin beschämt.

Geheimhaltung bestimmt alle unsere Arbeitsabläufe. Daniel besucht mich, wir wollen nur kurz etwas im Supermarkt kaufen. Als ich mit Winterjacke und Schlüssel in der Tür stehe, zeigt er vorwurfsvoll auf mein Notebook. Wie ich den Rechner einfach so in meinem Zimmer lassen könnte, ungesperrt. Denkt er wirklich, jemand würde zu mir in den 4. Stock schleichen, um mein altes Notebook zu stehlen? Ja, das denkt er. Daniel nimmt seine beiden Rechner immer mit, egal, wo er hingeht. In seiner Wohnung würde er am liebsten einen massiven Tresor einbauen. Einmal, als er mir etwas besonders Heikles mitteilen will, tritt er schnell an meinen Rechner, öffnet eine Seite im Notizprogramm und tippt hinein. Als er sicher ist, dass ich den Text gelesen habe, löscht er ihn sofort.

Daniel weiß, dass er mit seinem Buch viele Fans von Wikileaks gegen sich aufbringen wird. Es ist ja ein Problem, mit dem er sich selbst lange gequält hat: Dass er, indem er den Schleier über Wikileaks lüftet, eine Idee beschädigt, die er für genial und gesellschaftlich sinnvoll hält. Aber diese Idee rechtfertigt nicht alle Mittel. Und weil Wikileaks mittlerweile ein Phänomen der Popkultur ist, gilt es, möglichen Verschwörungstheorien so gut es geht vorzubauen. Selbst dass der Econ-Verlag, der Inside Wikileaks herausbringen wird, und als Teil des Ullstein-Verlags zur gleichen Unternehmensgruppe gehört wie die schwedische Zeitung, die damals die Ermittlungen wegen Julians Assanges Vergewaltigungsvorwurf an die Öffentlichkeit brachte, könnte da zum Problem werden.

Als ich nach zwei Wochen die ersten Seiten des Manuskripts abgeben muss, werde ich wieder zur Vorsicht ermahnt: Sie dürfen keinesfalls einfach als Dateien-Anhang einer Mail zwischen mir, Daniel und den beiden Lektorinnen kursieren. Auch der IT-Fachmann des Ullstein-Verlags wird plötzlich von Sorgen vor Hackerangriffen heimgesucht. Er richtet für uns einen sicheren Server ein, auf dem wir unsere Fassungen verschlüsselt untereinander austauschen können. Für die mehr als ein Dutzend Übersetzer sollen Wasserzeichen entwickelt werden. Sollte doch eine Fassung vorab nach außen dringen, ließe sich so feststellen, wo genau sich die undichte Stelle befindet.

Es sind keine Hirngespinste, die Daniel so vorsichtig sein lassen. Einmal berichtet er, dass in der Schule seines Sohns Mitarbeiter des amerikanischen Außenministeriums aufgetaucht seien und Kontakt zu anderen Eltern aufgenommen hätten. Freunde von Daniel werden vom Auswärtigen Amt informiert, dass man bei Auslandsreisen nicht garantieren könne, dass sie in den USA nicht festgesetzt und befragt werden würden.

Auch ich habe plötzlich so ein Knacken in der Telefonleitung. Oder bilde ich mir das nur ein? Irgendwann gewöhne ich mich an die Vorstellung, dass jemand meine E-Mails mitliest. Einige Tage lang zensiere ich mich selbst, auch in privaten Mails, entwickle ein schreiberisches Über-Ich. Genau diese Sorglosigkeit ist es ja, die den USA zum Verhängnis geworden ist, als die vertraulichen Mitteilungen ihrer Botschafter dank Wikileaks plötzlich von allen nachgelesen werden konnten. Und tatsächlich tauchen kurz vor dem Erscheinungstermin am Freitag auf der Enthüllungs-Website Cryptome drei Seiten aus dem Buch auf. Es sind englischsprachige Auszüge, aus den bereits gesetzten Fahnen. Das heißt, irgendwo auf dem Weg zwischen den englischsprachigen Verlagen (Crown in den USA oder beim kanadischen oder australischen Verlag) und der Kommunikation mit Presse, Druckerei oder einer anderen Stelle, der man die Fahnen zeigte, muss sich eine Lücke aufgetan haben.

Was fasziniert so viele Menschen an Wikileaks? Julian Assange ist sicherlich ein Teil davon. Ich frage Daniel immer wieder nach seinem Verhältnis zu Julian. Ihn nervt das, die Sache solle im Vordergrund stehen. Doch die Beziehung dieser beiden Protagonisten ist eben auch Teil der Sache. Julian und Daniel waren die treibenden Kräfte des Projekts, sie arbeiteten Seite an Seite daran, dass die Website bekannt wurde, bei Informanten, in den Medien und auch unter potenziellen Spendern. Sie waren auf zahlreichen Konferenzen zusammen, Julian wohnte bei Daniel in Wiesbaden, sie reisten gemeinsam nach Island.

Das Projekt wurde schließlich Opfer seines eigenen Erfolgs. Es meldeten sich immer mehr Spender, Journalisten und Geheimnisverräter. Als plötzlich Ruhm und Aufmerksamkeit zu verteilen waren, kam es zu Neid und Missgunst zwischen den Beteiligten. Auch wenn es am Ende die inhaltlichen Differenzen um die Ausrichtung von Wikileaks waren: Zum ersten Mal spricht Daniel nun auch darüber, was ihn und Julian persönlich entzweite. Eine Abrechnung soll es dennoch nicht sein. Vermutlich brauchte es einen Menschen wie Assange, um das Projekt groß und bekannt zu machen: laut, arrogant, wenig liebenswert, aber durchsetzungsstark.

Daniel ist anders. Er braucht keinen permanenten Clash, um sich seiner eigenen Bedeutsamkeit zu versichern. Er ist kein Spießer, aber man merkt ihm seine bürgerliche Erziehung an. Vor einem offiziellen Termin bringt Daniel seine Anzughose in die Reinigung und lässt sie bügeln. Julian hat sich darüber furchtbar aufgeregt. Heute erscheint er selbst im Anzug auf Pressekonferenzen oder vor Gericht.

Wie auch immer man zu Wikileaks steht, ob man eher ein Fan der Idee als solcher ist, so wie ich, oder ob die Angst vor der unkontrollierten Machtanhäufung durch eine solche Institution überwiegt: Zusammen haben Julian und Daniel etwas Erstaunliches aufgebaut. Diese gemeinsame Idee hat sie eng aneinander gebunden. Als Team unter Gleichen hätten sie sich optimal ergänzt. Aber gleich waren sie nie.

Ende 2010 wären Julian und Daniel sich beinahe noch einmal begegnet. Julian ist in Berlin, zu Besuch bei der Wau Holland Stiftung. Sie verwaltet die Spendengelder, Julian soll einige Abrechnungen nachliefern. Daniel weiß davon, Leute von der Stiftung hatten ihn sogar gefragt, ob er nicht dazustoßen will.

Daniel hatte sehr lange darum gekämpft, die Dinge zwischen Julian und sich wieder ins Reine zu bringen. Nach ihren ersten größeren Streitereien Anfang 2010 haben die zwei sich nicht mehr persönlich gesehen, nur im Chat miteinander kommuniziert. Daniel hatte immer um ein klärendes Gespräch gebeten. Das fand nie statt. Jetzt aber, da sich Julian ganz in der Nähe aufhält, bleibt Daniel zu Hause.

Daniel sagt, ihn verbinde nichts mehr mit Julian Assange, diese Was-wäre-wenn-Frage, die mich interessiere, sei doch nur dramaturgisch-journalistisches Schmückwerk. Vermutlich hat er Recht. Ich wäre trotzdem gerne dabei, wenn sie sich zufällig über den Weg liefen. 

Inzwischen halte ich ein Knacksen in der Leitung nicht mehr für eine Lauschattacke des Geheimdienstes. Für mich ist dieses Kapitel abgeschlossen. Für Daniel nicht, vermutlich nie. Wahrscheinlich weiß er auch schon, wo sich in seiner Wohnung der perfekte Ort für einen Tresor befände.

Quelle: ZEIT-Online

Tina Klopp

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