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Esther Kogelboom.

© Mike Wolff

Zu PAPIER gebracht: Monologe im Callcenter

E-Mail-Software, Modems, alte Verträge - unsere Kolumnistin ist in höchsten Nöten, was ihre Telefonrechnung betrifft.

1999, ein Friedrichshainer WG-Zimmer. Der Kohleofen verbreitet Schwefelgeruch, ich sitze mit einer Decke über den Knien am Schreibtisch. Vor mir auf der Holzplatte liegt ein flaches, beigefarbenes Gerät mit einem Telefonstecker, das neue 56k-Modem. Wie Millionen anderer User bin ich im Besitz einer Gratis-AOL-CD aus der „Chip“, mit der ich die E-Mail-Software auf meinem Rechner installiere. Das kostet ein paar Mark im Monat, und weil ich irgendetwas vorzeigen sollte, das ich nicht habe (wahrscheinlich ein ordentlich geführtes Konto), lasse ich die Sache über meine Eltern laufen. Mit deren Einverständnis.

Das Geräusch – iiiiiiiuiuiuiuuuDÄNGELDÄNGELRAUSCHSCHSCHSHSH– ist Musik in meinen Ohren. Nie wieder im Rechenzentrum der Humboldt-Uni auf E-Mails meines Freundes warten, der in England studiert. Meine Adresse: eskogelboo@aol.com. Passwort: Name eines längst begrabenen Haustieres der Nachbarn. Ich verbringe Stunden vor dem Computer und schreibe lange E-Mails. (Liebe Kinder, Telefonieren war damals echt teuer, nach London fliegen konnte man nur mit Lufthansa und British Airways!)

2013, ein Face-Time-Anruf meiner Mutter. Sie wirkt besorgt. „O2 bucht von unserem Konto jeden Monat 4,90 Euro ab. Weißt du vielleicht, warum?“ Meine Eltern sind seit 1974 Kunden der Telekom, vormals Post. Dass ihr Verdacht auf mich fiel, ist nicht unbegründet: Ich hatte mal einen Vertrag mit O2. Ein Anruf im Callcenter vergrößerte die Verwirrung: „Das betrifft Alice“, erklärte eine nette Frau. Sie gab mir die Nummer eines weiteren Callcenters, wo man mir sagte: „Oh, Sie haben einen Vertrag mit AOL. Ich gebe Ihnen mal die Nummer. Drücken Sie auf jeden Fall sofort die 1, andernfalls landen Sie in Amerika.“ Ich bedankte mich und wählte.

Nachdem ich dem Mann am anderen Ende der Leitung die lange Nummer vom Kontoauszug meiner Eltern genannt hatte, folgte eine lange Pause. Dann meldete er sich miteinem „Hallo?“ zurück. „Ja, also, Sie haben Ihren Vertrag mit AOL nie gekündigt.“ Ich dachte nach. Anfang 2001 hatte ich von meinem ersten selbst verdienten Geld einen iMac in „Strawberry“ gekauft und war in eine Wohnung mit Gasetagenheizung gezogen. Mit AOL hatte ich da schon nichts mehr zu tun.

690,90 Euro.

„Warum hab ich denn nie wieder etwas von Ihnen gehört? Und warum steht auf den Kontoauszügen meiner Eltern O2?“

Der Callcenter-Mann hielt einen Monolog, wer wann Teile von AOL kaufte und verkaufte und widersprach sich dabei mehrfach. Darauf wies ich ihn hin, da meinte er: „Kann ich doch nix dafür, wenn Sie jetzt Ärger mit Ihren Eltern haben“ – und legte grußlos auf.

AOL! Alice! O2! Wahrscheinlich seid Ihr im Recht. Nur: Fair ist das alles nicht. Ich verlange Satisfaktion.

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