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Letzter Aufruf. Adolf Hitler und andere NS-Größen nutzten die Maschinen der damaligen Deutschen Lufthansa intensiv bei Wahlkämpfen. Foto: picture-alliance/Mary Evans Picture Library

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Doku: Passagier Hitler

Fliegen heißt siegen: Die verdrängte Geschichte der Deutschen Lufthansa.

Angenommen, einer wurde 1955 geboren. Wie sehr steht er dann in der Schuld seiner Eltern und seiner Großeltern, die in den Jahren des Nationalsozialismus Mitläufer, Mitmacher, Profiteure des verbrecherischen Systems waren? Von einer Schuld des Nachgeborenen kann die Rede nicht sein, wohl aber von der Verantwortung, von Konsequenzen für das eigene Denken und Handeln. Nie wieder, das ist das Minimum an Verpflichtung.

Die Deutsche Lufthansa AG wurde 1955 gegründet, mit dem Namen, dem Emblem und einem Teil des leitenden Personals jener Lufthansa, die von 1926 bis zu ihrer juristischen Abwicklung 1951 existiert hatte. Und es gibt weit mehr, was die Luftverkehrsgesellschaft von 1955 mit ihrer Vorgängergesellschaft verbindet, die Jahre vor, die Jahre im Zweiten Weltkrieg. „Fliegen heißt siegen. Die verdrängte Geschichte der Deutschen Lufthansa“, der Dokumentarfilm von Christoph Weber am Mittwoch in Arte, verknüpft, was die Deutsche Lufthansa AG nicht verknüpft sehen will.

Es sind Lufthanseaten der 1926 gegründeten Fluggesellschaft, die den Wahlkämpfer Adolf Hitler durch das Deutsche Reich fliegen. Schon da gibt es einen Deal: Gegen üppige Zahlungen an die Nationalsozialisten bekommt die Lufthansa das Privileg zum Transport des aufstrebenden Politikers und späteren Reichskanzlers. Kein Zufall ist es, dass Lufthansa-Vorstand Erhard Milch als Staatssekretär von Luftfahrtminister Hermann Göring Mitglied in der NS-Regierung wird. Milch, dessen Herkunft Gegenstand von Gerede und Getuschel wird, bekommt von den Nazis eine Arier-Legende zugeschustert. Die Bindungen, die Verzahnung der Lufthansa mit dem Hitler-Regime und mit den Vorbereitungen für einen Angriffskrieg wachsen. Zunächst werden Linienflugzeuge produziert und eingesetzt, die später mit einfachen Mitteln zu sogenannten „Hilfsbombern“ umgebaut werden können. Dann, nach dem Kriegsbeginn 1939, wird die Lufthansa Teil der mörderischen Kriegsmaschine. Wieder ein Geschäft, wieder eines in gegenseitiger Verwicklung: Die Fluggesellschaft bekommt den Auftrag, die Maschinen der Luftwaffe zu warten und zu reparieren. Dokumente, die Autor Weber zeigt, belegen die enormen Gewinne aus diesem Geschäft und zugleich den Versuch der Lufthansa-Leitung, diese Gewinne zu verschleiern. Wer kann den Nazis schon trauen? „Fliegen heißt siegen über Zeiten und Weiten“, das war eben das Motto.

Spätestens an dieser Stelle bekommt der im besten Sinne dokumentarische (Firmen-)Film seinen individuellen Einschlag. Tausende von Zwangsarbeitern werden für die Mobilität der Luftwaffe eingesetzt, die meisten kommen aus den besetzten Ostgebieten, aus Polen und der Ukraine. Weber und sein Team fahren zu diesen Menschen, traumatisiert wirken sie, nur zum ganz geringen Teil wurden sie entschädigt; anders als von der Deutschen Lufthansa AG behauptet, soll es hier nie wenigstens eine Entschuldigung gegeben haben. Die Arbeit dieser NS-Sklaven war hart, schmutzig, unter erbärmlichen Bedingungen musste sie geleistet werden. Ein ukrainischer Zwangsarbeiter erzählt, wie er in die Flugzeugflügel klettern musste, in die nur er, 14-jährig und schmächtig, hineinkommen konnte.

Die Namen all dieser missbrauchten Menschen sollen sich im Archiv der Lufthansa befinden, doch wurden sie dem Autor nicht zur Verfügung gestellt. Weber hat seine Quellen, und er hat den wohl besten Kenner der Materie vor der Kamera, den Historiker Lutz Budraß, der für die Lufthansa die Jahre der NS-Kollaboration aufgearbeitet hat. Die Studie wurde fertiggestellt, publiziert wurde sie nie. Die heutige Lufthansa AG tut sich erkennbar schwer damit, sich in der Linie und in der Verantwortung für die namensgleiche Vorgängergesellschaft zu sehen. Ein Interview wird abgelehnt, schriftlich wird eine NS-Vergangenheit der Lufthansa negiert, das Motiv für dieses Verhalten offenbart ein internes Memo, das im Film zitiert wird: „… wurde als unangenehmes Thema schlichtweg verdrängt“.

Die Arbeit von Christoph Weber fährt keine blindwütige Attacke, er moralisiert nicht über seine 52 Minuten, seine Wucht kommt aus der Darstellung jenes bis heute nicht überbrückten Widerspruchs zwischen dem, was gewesen ist und was in den Augen der Deutschen Lufthansa AG nicht gewesen sein soll. Geschichte aber lässt sich nicht strahlend darstellen, wenn sie derart trübe war.

„Fliegen heißt siegen. Die verdrängte Geschichte der Deutschen Lufthansa", Arte, 20 Uhr 15

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