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Dominik Graf wird 60: Mit Tiefe und Tempo

Lieber überfordert er die Zuschauer, als sie in mit seinen Filmen zu langweilen. Er setzt auf komplexe Plots und schnelle Action. Jetzt wird der Filmemacher Dominik Graf 60 - und bekommt eine Werkschau in Berlin.

Er ist nicht zu fassen. Wird heute erst 60 und hat schon über 60 Fernseh- und Kinofilme gedreht, schaut selber unermüdlich Filme und schreibt darüber, über Abseitiges und Trashiges vom 50er-Jahre-Heimatfilm über das polnische Kino der Fünfziger und bis zu Klaus Lemke genauso wie über die ganz große Filmkunst des 20. Jahrhunderts. Manchmal denkt man, es muss mehrere Dominik Grafs geben, so viel und vielseitig, wie der Mann arbeitet, so klug, wie er seine Texte verfasst, so brillant, wie seine Filmbilder komponiert sind, so mutig, wie er sich in filmpolitischen Fragen einmischt, und so bereitwillig, wie er immer wieder auf Presseanfragen antwortet.

Er ist schon deshalb nicht zu fassen, weil er in keine Schublade passt. Dominik Graf hat typische Autorenfilme gedreht, Frauenmelodramen, Actionthriller wie „Die Katze“ und die tragisch gefloppten „Sieger“, Experimente mit Mini-DV-Kamera wie „Der Felsen“, Dokumentarfilme über München oder seinen Schauspieler-Vater und dazu das Beste, was es an deutschen Fernsehkrimis und -serien je gab: 13 Folgen von „Der Fahnder“, „Tatorte“ wie „Frau Bu lacht“, „Polizeirufe“ wie „Eine Stadt wird erpresst“. Schnelle Action, geschliffene Dialoge, komplexe Plots, direkte, abgründige Charaktere, das passt nicht ins Öffentlich-Rechtliche. Aber er trotzt es den Sendern ab, bis heute. Mit einem unerschütterlichen Glauben an den intelligenten Zuschauer, den er lieber überfordert als langweilt.

Höchste Zeit, dass neben seinen eigenen Filmtexten („Schläft ein Lied in allen Dingen“, Alexander Verlag 2009) zu seinem heutigen 60. Geburtstag auch ein Buch über sein Oeuvre erscheint: „Im Angesicht des Fernsehens“, frei nach dem Titel seiner furiosen Berliner Unterwelt-TV-Serie „Im Angesicht des Verbrechens“ von 2010. Die Autoren würdigen darin den Stilisten, Gesellschaftskritiker, Städte- und Milieufilmer Graf. Regisseur Christoph Hochhäusler nennt ihn einen „großen Collageur des deutschen Films, dem die reine Seide suspekt bleibt, während er den „billigen“ Genres neue Töne abringt. Den allerschönsten Satz über seine Filme sagt Graf im Interview aber selbst, mit einem Zitat von Jean Cocteau: „Man darf keine Handschrift haben wollen, aber genau das darf einem dann nicht gelingen.“

Grafs Handschrift hat viel mit Tempo zu tun. Er macht dem deutschen TV-Krimi Beine und der Sprache dazu, lässt die Leute keine gestanzten Sätze aufsagen, sondern verpasst ihnen ein Mundwerk, den Polizisten in den Krimis genauso wie den jungen Menschen in seinen Münchner Beziehungsfilmen, die so sehr an Eric Rohmer erinnern, in „Tiger, Löwe, Panther“ (1989) zum Beispiel. In seinen Produktionen spricht der deutsche Film Slang und Dialekt, kennt die Provinz, die Gewalt und die Romantik, den rüden wie den feinen Humor. Ohne Drehbuchautoren wie Christoph Fromm, Günter Schütter und Rolf Basedow ist die „gut erfundene Authentizität“ seiner Filme nicht denkbar – weshalb Graf nicht müde wird, ihre Verdienste zu loben.

Grafs Tempo rührt auch von seinem exzellenten Handwerk. Nach der Münchner Filmhochschule hat er sich Routine angeeignet, etwa in der 80er-Jahre-Vorabendserie „Köberle kommt“. Gleichzeitig nimmt er gierig alles auf, was per DVD ins Haus zu bekommen ist und lässt es ohne jede Connaisseur-Arroganz aufblitzen in seinen Filmen. Graf, der die Mechanismen des Verbrechens, des Polizeiapparats, der Liebe und der beiden deutschen Nachkriegsrepubliken (kein anderer westdeutscher Filmemacher erzählt so viele DDR-Geschichten) genauso erkundet wie die Mechanismen des Genres, versöhnt den populären mit dem intellektuellen Film. Das Kinopublikum hat es ihm nur selten gedankt – davon profitiert seit Jahren der Fernsehzuschauer.

Die Schärfe, mit der er die Selbstgefälligkeit der subventionierten Filmszene attackiert, korrespondiert dabei immer mit Zärtlichkeit und Empathie. Zärtlichkeit gegenüber den Schauspielern, denen er Realismus und eine Aura verleiht, Frauen wie Birge Schade, Martina Gedeck und Marie Bäumer, Männern wie dem Fahnder Klaus Wennemann, Ronald Zehrfeld oder Ulrich Noethen, der bei ihm herrliche bad guys und Unsympathen spielen darf. Und vor allem Misel Maticevic, als Clemens Brentano (in „Das Gelübde“) oder als Berliner Lude und Gangster in „Hotte im Paradies“ sowie „Im Angesicht des Verbrechens“. Und wenn Graf mit jüngeren Kollegen wie Hochhäusler oder Christian Petzold die TV-Trilogie „Dreileben“ realisiert und gleichzeitig ein leidenschaftliches Streitgespräch über die Berliner Schule mit ihnen publiziert, ist das von großer Empathie getragen.

Eins hat Dominik Graf mit Hitchcock gemeinsam. Auch er huscht in seinen Filmen gern mal durchs Bild oder leiht einer Off-Figur seine Stimme. Es gibt also viel zu entdecken in der Werkschau, die das Berliner Zeughauskino zu Grafs Geburtstag veranstaltet, mit gut zwei Dutzend Produktionen. Wer Deutschlands produktivsten Filmemacher persönlich erleben will, kann das am Samstag, den 8.9., tun, beim Gespräch nach der Vorführung von „Nachtwache“ (ab 19 Uhr). Es ist Grafs Lieblings-Folge aus der „Fahnder“-Serie.

„Im Angesicht des Fernsehens“, hg. von Chris Wahl, Marco Abel, Jesko Jockenhövel, Michael Wedel. Edition Text + Kritik, 355 S., 26 Euro. Werkschau bis 17.9.: www.zeughauskino.de

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