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Dr. House

© RTL

"Dr. House": Medicus als Menschenfeind

Überraschender Triumph: "Dr. House" zeigt den deutschen Arztserien, wo das Stethoskop hängt.

Vom Arzt seines Vertrauens erwartet der Mensch Mitgefühl, Verständnis und Hilfe. Keinesfalls aber hofft man auf einen Doktor, der dem Begriff „Misanthrop“ ganz neue Dimensionen verleiht. Der Medicus als Menschenfeind: Mit diesem Serienkonzept hätten deutsche Fernsehsender ihre Autoren vor drei Jahren noch aus dem Haus gejagt. Heute sieht das anders aus: „Die Hälfte aller Vorschläge, die mir gemacht werden, sind deutsche Adaptionen von ‚Dr. House‘“, sagt Joachim Kosack, der neue Serienchef von Sat 1; „und die andere Hälfte landet bei mir“, ergänzt Barbara Thielen, bei RTL für eigenproduzierte Filme und Serien zuständig.

Kein Wunder, der Zyniker mit der Lizenz zum Heilen ist ein Quotenknüller. In der zweiten Staffel hat die amerikanische Serie bei RTL sogar „CSI Miami“ überholt, eine der derzeit weltweit erfolgreichsten TV-Produktionen überhaupt. Gerade in Deutschland, wo ein gewisser Professor Brinkmann vor zwanzig Jahren als Inkarnation des guten Mediziners galt, ist der Triumph der US-Serie überraschend. Serienautoren huldigen hier immer noch gern dem Klischee des Halbgotts in Weiß. Klassiker wie „Praxis Bülowbogen“ (ARD) oder „Die Schwarzwaldklinik“ (ZDF) haben jahrelang das Bild des Menschenfreunds gepflegt, der über jeden moralischen Zweifel erhaben ist. Daran hat sich bis heute nichts geändert: Francis Fulton-Smith als Titelheld der ARD-Dienstagsserie „Familie Dr. Kleist“ ist ein auf geradezu klebrige Weise guter Mensch.

Gregory House (verkörpert von Hugh Laurie, übrigens ein Brite) muss bei Zeitgenossen, deren Arztbild durch den guten Geist vom Glottertal geprägt wurde, einen regelrechten Kulturschock auslösen. Aber es ist ein offenbar heilsamer Schock: Mit regelmäßig über fünf Millionen Zuschauern ist die Serie neben den diversen „CSI“-Formaten der erfolgreichste TV-Import seit vielen Jahren. Über 30 Prozent bei der für die kommerziellen Sender so wichtigen Zielgruppe (14 bis 49 Jahre) hat RTL auch nicht alle Tage – und das, obwohl „Dr. House“ offensichtlich gegen alle Regeln verstößt. Aber anscheinend sind die Tage des Kuschelfernsehens gezählt.

Deshalb kann nun auch eine Serie Erfolg haben, deren Hauptfigur mehr Antiheld als Sympathieträger ist. Im Gegensatz zu öffentlich-rechtlichen Artigkeiten wie „Dr. Kleist“, die ausgesprochenes Frauenfernsehen verkörpern, ist „Dr. House“ dank des ungehobelten Protagonisten auch für Männer attraktiv. Andererseits gibt es für sein Benehmen ja eine Erklärung: Ein schlecht behandeltes Blutgerinnsel am Bein bereitet Gregory House chronische Schmerzen, weshalb er keinerlei Neigung verspürt, nett zu seinen Mitmenschen zu sein.

Der Wahlspruch „Alle Patienten lügen“ deutet allerdings an, dass ihn weniger hippokratische Ideale, sondern wohl eher kriminalistische Motive bewogen haben, Mediziner zu werden. Denn auch das unterscheidet „Dr. House“ von anderen Arztserien: Analysiert man den dramaturgischen Aufbau der einzelnen Folgen, ähneln die Episoden viel stärker einem Krimi als der klassischen Arztgeschichte. Tatsächlich gibt es offenkundige Parallelen zwischen „Dr. House“ und den „CSI“-Serien: Während die Spurensicherer ihre Fälle regelrecht sezieren, analysiert House die Krankheitssymptome wie ein Detektiv, der außerdem das Umfeld der Patienten berücksichtigt.

Der Erfolg der US-Serie mit ihren klinisch kühlen Bildern lässt die jüngsten Misserfolge deutscher Versuche umso krasser erscheinen. Ganz egal, ob sich die Sender auf dem CSI-Terrain der US-Hits („Post Mortem“, RTL; „R.I.S.“, Sat 1) tummelten oder eigene Geschichten erzählten (die Politposse „Allein unter Bauern“, Sat 1): Stets mussten sie „schockierende Abstrafungsprozesse“ verkraften, wie es Sat-1-Serienchef Kosack formuliert. Solche „Erosionsprozesse“ habe es vor fünf Jahren noch nicht gegeben; aber richtig erklären kann er das Phänomen auch nicht. Mitunter, wie etwa bei „R.I.S.“, sei es nicht mal zu einem „Einschaltimpuls“ gekommen. Die Medienforschung von Sat 1 hat immerhin eine mögliche Ursache des mangelnden Enthusiasmus für einheimische Produktionen entdeckt: „Warum soll ich mir deutsche Serien anschauen?“, zitiert Kosack einen Zuschauer: „Die werden ja doch gleich wieder abgesetzt“.

Der Nachfolger von Alicia Remirez im Serienbereich kennt das Geschäft von beiden Seiten: Kosack war einst Autor und Regisseur („Hinter Gittern“), später Produzent („R.I.S.“). An der Professionalität seiner früheren Kollegen liege es nicht, dass die US-Importe derzeit uneinholbar seien, auch nicht an den Budgets („Bei denen kostet ja schon allein der Fuhrpark so viel wie bei uns eine ganze Folge“). Was Kosack in Deutschland vermisst, ist ein Bekenntnis der Beteiligten zum Entertainment. „Das ist bei uns ein noch größeres Hasswort als die Quote. Hierzulande betrachten sich Autoren und Regisseure immer noch vor allem als Künstler, die Angst vor dem Erfolg haben.“

„Dr. House“, 21 Uhr 15, RTL

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