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Dürre in Arika: Auf dem Weg in Hungercamps

Andere Zeitrechnung, heikle Anreise, Internet nur auf Umwegen, schwierige Übersetzungen: auf dem Weg in die Hungercamps zwischen Äthiopien und Somalia.

Der Entschluss ist schnell gefasst: An der äthiopisch-somalischen Grenze entstehen jenseits der öffentlichen Aufmerksamkeit rasant neue Flüchtlingslager, da muss jemand zum Berichten hin. Zudem bot sich die Möglichkeit, dort ein Team der Hilfsorganisation Humedica zu treffen. Alles sei auch ganz einfach, auch Journalisten könnten in dieser Krise nach Äthiopien einreisen, dort ein Visum erhalten und arbeiten, lauteten die ersten Informationen. Nach ein paar Telefonaten aber war klar: Das ist keine gute Idee.

Es folgte ein Schreck. Die äthiopische Botschaft in Berlin wünscht sich Anträge von Journalisten mindestens vier Wochen vor Abreise. Nach einer freundlichen Anfrage machten die Diplomaten aber eine Ausnahme. Nach anderthalb Arbeitstagen klebte das Visum im Pass. Ankunft in der Hauptstadt Addis Abeba bei Regen und 14 Grad, gegen halb zwei in der Früh endlich in einem kleinen Hotel am Flughafen. Im Zimmer gibt es leider nur Leitungswasser. Aber selbst um die Zeit findet sich ein freundlicher Helfer, der irgendwo in der Gegend für einen Dollar eine Flasche zum Zähneputzen und für die Malariapillen besorgt. Man muss den Magen ja nicht sofort auf die Probe stellen.

Am Morgen ist klar: Die sofortige Weiterreise fällt aus. Erst ist das persönliche Erscheinen beim Communications Office mit diversen Papieren und einer Liste der technischen Ausrüstung Pflicht. Der junge Mann erteilt rasch eine Arbeitsgenehmigung für „Juli 2003“ – Äthiopien rechnet anders. Aber auch das reicht nicht. Nun fehlt noch die Erlaubnis des nationalen Flüchtlingswerks Arra. Die darf nur der Chef geben – und der ist in einer Besprechung. Aber am Nachmittag, verspricht Programmkoordinator Yehualashet Gebre Medhin lächelnd, werde sie vorliegen. Doch auch am nächsten Morgen hat sich nichts geändert. Tags darauf also noch mal persönliches Vorsprechen mit zwei äthiopischen Unterstützern. Herr Medhin ist nicht im Haus, die eingereichte Kopie liegt noch im selben Eingangskorb. Aber immerhin: Der Chef empfängt uns, erklärt nach kurzem Gespräch, alles sei klar. Ein Schreiben für die Kollegen in Dolo Ado? „Das brauchen Sie nicht. Das wäre viel zu viel Bürokratie. Ich rufe da eben an oder schicke ein Fax.“ Eine unerwartete Wendung nach Tagen.

Das Humedica-Team allerdings sitzt wegen fehlender Unterschriften weiter fest. Die Hoffnung, ich könnte einen der wenigen Plätze in einem UN-Flieger in dieser Woche bekommen, um die 1000 Kilometer bis zur Grenze rasch zu schaffen, zerschlägt sich parallel. Jetzt nur nicht pessimistisch werden.

Kurze Beratung, dann ist klar, ich werde mich mit dem aus der Somali-Region stammenden Humedica-Mitarbeiter Ibrahim Abdi Takhal und Fahrer Kinfe über Land aufmachen – drei Tage unterwegs werden uns prophezeit. Früh um fünf soll es losgehen, nach afrikanischer Zeit starten wir also um halb sechs. Rund 260 Kilometer asphaltierte Straße, ein Frühstück im malerischen Hawassa, während ein Kameltransport zum Schlachthof vorbeikommt. Rasch werden die sechs 35-Liter-Kanister mit Diesel gefüllt und auf dem Dach des Landcruisers verzurrt.

Ein paar Kilometer weiter endet die Straße. Nun geht es durch roten Lehm, lange Strecken davon abseits der eigentlichen Piste, denn hier wird eine Straße gebaut. Die Trasse hat es in sich. Mehrere Autos und Trucks liegen kopfüber im Graben, an einer abschüssigen Stelle haben sie gerade einen umgekippten Bus aufgerichtet. Glücklicherweise ist niemand verletzt.

Es geht durch fruchtbares Hochland, vorbei an den typischen Rundhütten, am Straßenrand werden Körbe, Kartoffeln und Honig angeboten. Die Maisfelder stehen in vollem Grün. Wenn das die Flüchtlinge ahnten. Wir sehen Affen, Miniantilopen, Tokos, Marabus, Geier, Ziegen, Kühe. Ein kurzer Stopp am Nachmittag in einem Kaff. Sogar hier gibt es Macchiato. Kein Dorf ohne Espressomaschine. Kinfe prüft abermals die Kanistertaue. „Madam Lucky“ taufen mich meine Begleiter. Es regnet nicht, dann würde der Lehm zu Seife. Wir kommen trotz der ungünstigen Verhältnisse zügig voran.

Die nächste Herausforderung wartet in Negelle. Kurz nach sieben ist es inzwischen, stockfinster. Wir brauchen ein Bett für die Nacht. Im Nile Hotel ist alles belegt. Im Green Hotel gibt es noch zwei Zimmer. Mit der Taschenlampe geht es durch die Räume. Die Zimmer haben je ein Bett und einen Stuhl, ein Fenster ohne Glas, dafür Fensterladen. Alles sauber. Das Stehklo aber ist schon von Weitem zu riechen. Jemand hat sich ausgiebig neben dem dafür vorgesehenen Loch im Boden erleichtert. „Das machen wir sauber. Und zum Duschen bringen wir einen Eimer Wasser“, versichern die Betreiber. Dabei allerdings bleibt es. Um vier ist die Nacht zu Ende. Lautes Pochen an der Tür, ein Vormieter hat seine Turnschuhe unterm Bett vergessen und will jetzt abreisen. Wir wollten eh um sechs los.

Weitere gut 300 Kilometer brettharte Schotterpiste mit Spurrillen fordern Kinfes ganze Kraft, damit wir nicht aus den Kurven driften. Bei jedem Gegenverkehr heißt es: schnell Fenster schließen, um nicht in einer Staubwolke zu ersticken. Manchmal hilft nur anhalten, bis wieder mal etwas zu sehen ist. Eine Pinkelpause in den Dornenbüschen. Kinfe gibt alles, und wir fahren schon um halb eins durch den Torbogen von Dolo Ado. Das ist Rekord.

Beim örtlichen Arra-Chef sind weder Anruf noch Fax eingegangen. Gegen eine Kopie der Arbeitsgenehmigung des Communications Office aber erteilt auch Tadele Geneti eine Erlaubnis für „Juli 2003“ – unterschrieben im Juli 2011. Endlich sind alle Papiere zusammen. Und für alle Fälle die Handyverbindung – auch die örtliche Behörde telefoniert über das somalische Netz, ein anderes gibt es nicht. Welche Ironie.

Ibrahim hat ein Haus reserviert, das er für sein Team mieten will. Da wohnen aber noch andere Leute. Wir müssen woanders unterkommen. Wir können ja nicht einfach unser Zelt auf der Straße aufstellen. Mir gewährt das UN-Flüchtlingshilfswerk Unterschlupf. Die Bauleute aus Schweden sind noch nicht da, also darf ich mit auf dem bisher leeren Compound vor der Stadt einziehen – sogar in einem Zimmer. Dort ist es nachts zwar so heiß, dass ich mir einreden muss, es sei kein Problem zu schlafen. Aus Respekt vor meinen zehn männlichen, meist afrikanischen Mitbewohnern, halte ich es aber für keine gute Idee, auch meine Matratze vor die Tür zu tragen. Ich schwitze in meinem Refugium. Immerhin habe ich eins. Und kann mir mit den anderen eine Dusche teilen. Ein unschätzbarer Luxus.

Ibrahim und Kinfe ziehen in eines der sogenannten Hotels. „Da wird abends ein Bett rausgestellt“, erzählt Ibrahim. Zum Duschen bekommen sie eine aufgeschnittene Wasserflasche und müssen einen Eimer Wasser kaufen. Ins Haus dürfen die Gäste nur zur Toilette. „Aber es ist gut, unter den Leuten zu sein“, lächelt Ibrahim. „So kriege ich auch mit, was sie von uns halten.“ Hinten im Restaurant Adwa gibt es zwei mal drei Meter messende Kammern mit Wellblechtür und einer Luke in der Größe von zwei Ziegelsteinen zu mieten.

Am Abend gehen wir ins Adwa. Im Hof stehen auf gestampfter Erde kleine Tische und Stühle. Tuchbahnen spenden tagsüber Schatten. Es gibt Injera, die Sauerteigfladen, mit Ziegenfleisch und ordentlich Chili. Gegessen wird mit der rechten Hand. Dort werden wir auch frühstücken. Injera mit Ziegenfleisch. Nach ein paar Tagen bringen sie für die „ferengi“, die Ausländerin, morgens eine Art Pizzabrötchen. Mittags, bei Injera, können wir beobachten, wie das Dinner durchs Lokal getrieben wird. Hinter der Küche, einem verkohlten Holzverschlag, werden drei Ziegen der Herde rasch geschlachtet, zum Ausbluten aufgehängt und gehäutet. Die restlichen Tiere müssen zugucken. Kaum dass die erste Keule freigelegt ist, säbelt der Koch schon Fleisch auf ein Tablett. Wir gehen abends in ein Nachbarlokal.

Was Dolo Ado an Unterkünften fehlt, gibt es an Restaurants. Sie sind einfach, aber es gibt durchaus Abwechslung. Sie haben sich schon darauf eingestellt, dass jetzt viele Fahrer und Übersetzer für Hilfsorganisationen bei ihnen Pause machen. Im Al Jazeera läuft auf einem kleinen Bildschirm in der Ecke wirklich der gleichnamige arabische Fernsehsender. Es gibt auch Spaghetti oder Reis mit Soße, für Ausländer mit einer Gabel serviert. Als Nachtisch ist Papaya im Angebot. Die meisten Gäste essen sie mit viel Zucker und gestoßenem Eis. Kinfe geht hier nicht essen. Es ist ein muslimisches Lokal, er ist orthodoxer Christ. Auch im Tawne, das eine kleine Veranda zur Straße bietet, trinkt er allenfalls seinen Macchiato. Aber auch den nicht mittwochs und freitags, da trinkt er nur Tee und isst vegetarische Soße zum Injera, als Vorspeise im Lokal gegenüber gern die leckeren mit Linsen und Chili gefüllten Samosas. Für westliche Geldbeutel ein günstiges Vergnügen, für die Flüchtlinge unerschwinglich.

So verlockend das Angebot ist, es bleibt kaum Zeit, dort mal die Beine auszustrecken. Die Wege zu den Lagern ziehen sich. Für die Gespräche mit den ausgezehrten Flüchtlingen sind Geduld und mindestens ein Übersetzer nötig. Sie sind es nicht gewöhnt, Fragen zu beantworten. Sie haben Hunger und Durst, viele husten. Manchmal klappt die Verständigung wegen der verschiedenen Sprachen nur mit einem weiteren Helfer. Während dieser Stunden in der Sonne bleibt die eigene Flasche unberührt. Es muss reichen, dass ich später sicheres Wasser habe.

Am Abend gibt es keinen Strom, dem Generator fehlt Diesel. Also sitze ich früh um sechs mit einem Müsliriegel auf dem Steinboden, den Computer auf den Knien, schreibe die erste Geschichte, suche Fotos aus. Nur nicht überlegen, was ist, wenn ich sie nicht senden kann. Ich habe Glück und darf das normalerweise gesperrte Internet einer internationalen Organisation nutzen. Eine halbe Stunde dauert es allein, ehe sich die Maske für die E-Mail aufbaut. Mittag fällt aus. Aber die Geschichte ist durch! Auf zum nächsten Termin.

Von Problemen mit der Sicherheit berichtet in Dolo Ado niemand etwas. Im Ort sind unter der Woche auffällig viele Uniformierte unterwegs. Die UN empfehlen, nach neun am Abend nicht mehr auf die Straße zu gehen, aber nach einem langen Tag in Hitze und Staub sind die meisten dann ohnehin längst daheim. Die Empfehlung gilt wohl nicht zuletzt, weil die somalische Grenze so nah ist. Das Gebiet bis dorthin ist Sperrgebiet. Wer zur Grenze will, braucht, sagen meine Begleiter, eine Genehmigung.

Auch zurück ist kein Platz im einmotorigen Flieger. Kinfe und ich machen uns wieder auf die Rüttelstrecke. Die Notration für alle Fälle, Vollkornbrot und Salami, habe ich auch hier am Ende der Welt nicht gebraucht. Sie bleibt beim Ärzteteam zurück. Die wollen die vertraute Kost „nur am Sonntag“ essen.

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