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Mailverbot

© Pieper-Meyer

E-Mails: Der Feind in meinem Postfach

Wer 200 E-Mails am Tag bekommt, kann nicht mehr arbeiten. Eine Lösung ist der E-Mail-freie Freitag.

Ein Jammer, dachten sie, als sie sein Memo bekamen. Nun ist er vor seiner Zeit verrückt geworden. „Hiermit verkünde ich ein E-Mailverbot für Freitage“, hieß es in dem Schreiben, das Jay Ellison, Vizepräsident der amerikanischen Firma US Cellular, an 5500 Mitarbeiter schickte. „Ich freue mich darauf, nicht von euch zu hören.“ Zu jener Zeit bekam Ellison selbst an die 300 E-Mails am Tag. Er habe, sagt er, gar nicht mehr Schritt halten können mit diesem Nachrichtenwust.

Mit diesem Problem ist Ellison nicht allein. Einer britischen Studie zufolge fürchtet ein Fünftel der Arbeitnehmer nach längerer Abwesenheit die Rückkehr ins Büro wegen des E-Mail-Tsunamis, der über sie hinwegschwappt, sobald sie sich einloggen. Hierzulande haben, so das Ergebnis einer Forsa-Umfrage, 27 Prozent der Menschen eine berufliche E-Mailadresse, und 60 Prozent nutzen E-Mails für private Botschaften. Damit ist die Bundesrepublik eine der fleißigsten E-Mail-Nationen Europas.

Dort, wo Ellison herkommt, haben sich Wissenschaftler in den letzten Jahren mit den Nachteilen dieser Kommunikationsform beschäftigt. Shamsi Iqbal von der University of Illinois und der Microsoft-Mitarbeiter Eric Horvitz stellten fest, dass Büroangestellte durchschnittlich vier E-Mails und drei Instant Messages – das sind Chatnachrichten, die sich in eigenen Fenstern auf dem Bildschirm öffnen – pro Stunde bekommen. Auf 41 Prozent der E-Mails und 71 Prozent der Instant Messages erfolgt die Antwort innerhalb von 15 Sekunden. Diese raschen Reaktionen bedeuten jedes Mal eine Unterbrechung der aktuellen Aufgabe, pro Stunde also insgesamt sieben, und meist kehrt man auch nicht direkt zu seiner Tätigkeit zurück: Ist man schon einmal dabei, kann man sich gleich noch die E-Mail von gestern Abend vornehmen, und dann wollte man ja die Buchung bestätigen. Im Nu sind acht Fenster offen, die digitale Herumtreiberei ist in vollem Gange, und, Moment, was wollte man eigentlich tun?

Für genau das bleibt meist wenig Zeit, wie Gloria Mark von der University of California herausfand, nicht mehr als elf Minuten. Die Wissenschaftlerin beobachtete rund 700 Stunden Angestellte einer Hightech-Firma und stellte fest, dass ihre Tätigkeit stark fragmentiert ist. Bereits elf Minuten, nachdem sie eine Aufgabe begonnen haben, werden sie wieder unterbrochen, durch einen Kollegen in der Tür, eine E-Mail oder Telefonklingeln. Die nächsten 25 Minuten sind sie mit anderen Dingen befasst, einem klärenden Telefonat oder Notfallhilfe, dann erst können sie zu ihrer Aufgabe zurückkehren – mit erheblichem Konzentrationsverlust: Bis sich die Angestellten wieder in die Problemstellung vertieft haben, vergehen laut Mark acht Minuten – was nur drei Minuten bis zur nächsten Unterbrechung lässt. Büroarbeiter befassen sich also in jeder hypothetischen Arbeitsstunde 22 Minuten mit dem, was sie sich vorgenommen haben, die restlichen 38 Minuten gehen für die Unterbrechungsbewältigung drauf.

Da will man den armen Büromenschen, der gar keine Chance bekommt, sich in seine Arbeit zu versenken, zunächst bedauern. Doch ist er auch ein begabter Selbstablenker: Nach spätestens zwölf Minuten unterbricht er seine Arbeit von alleine. Fast scheint es, als sei die Konzentrationsspanne, zu der man fähig ist, durch die ständige Reizüberflutung gesunken, als werde man unruhig, wenn in der Elf-Minuten-Frist keine E-Mail eintrifft. „Constant Multitasking Craziness“ nennt Gloria Mark das Phänomen, dass Berufstätige eine ständige Jonglage mit verschiedenen Aufgaben betreiben. Das gilt vor allem für Führungskräfte, die am Tag durchschnittlich 200 E-Mails im Postfach haben. Ein IBM-Manager, so heißt es, hat inzwischen eine Unterzeile an seine E-Mails angefügt: „Lies deine Mails nur zweimal am Tag. Hol dir deine Lebenszeit zurück und lerne, wieder zu träumen.“

Nachdem die Technologie den Menschen verdorben hat, soll sie ihn nun gefälligst wieder richten. Derzeit entwickelt Shamsi Iqbal den sogenannten „Attention Manager“. Wenn schon unterbrechen, dann zur richtigen Zeit, lautet sein Funktionsprinzip. Dazu wird die Tätigkeit des Büroarbeiters permanent überwacht. Benachrichtigungen über E-Mail erhält er nur in Momenten geringer Konzentration, beispielsweise, wenn er ein Dokument schließt. Wann dieses Gerät auf dem Markt sein wird, weiß Iqbal nicht, ein ähnliches System, das Siemens schon vor ein paar Jahren ankündigte, lässt auch noch auf sich warten.

Bis es soweit ist, fährt US Cellular ausgesprochen gut mit den E-Mail-freien Freitagen, die Ellison vor knapp drei Jahren eingeführt hat. Statt sich ständig Nachrichten zu schicken, reden die Mitarbeiter nun miteinander, zumindest an den Freitagen. Ein Zugewinn für die Arbeitsatmosphäre: Inzwischen bekommt die Mitarbeiterin Tyler Caroll, deren Vorname sowohl männlich als auch weiblich sein kann, keine an „Mr. Tyler“ adressierten E-Mails mehr, ihre Kollegen kennen sie persönlich. Und die überbordende E-Mail-Kommunikation ist auch eingedämmt. Heute bekommt der Jay Ellison nur noch 150 E-Mails am Tag.

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