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Medien: Echt im Stress

24 Stunden in 24 Folgen: Fesselnder kann Fernsehen kaum sein als in der Serie „24“

Von Barbara Nolte

„24“ haftet ein Etikett an, das eigentlich Filmen vorbehalten ist: Experiment. Serien-Geschichten sind dagegen meist nach bewährtem Muster gestrickt, was die Zuschauer nicht wirklich stört, denn ihre Magie zieht eine Serie daraus, dass man die Figuren so gut kennt, dass sie sozusagen zu Lebensgefährten geworden sind. Und Lebensgefährten, das weiß man aus dem eigenen Leben, verzeiht man einiges.

Der Plot von „24“ ist klassisch, wenn auch als Spielfilmhandlung und nicht als Serienhandlung: Ein CIAAgent muss einen Anschlag auf einen Präsidentschaftskandidaten vereiteln. „24“ macht daraus ein formales Experiment: einen Versuch über Zeit im Film.

Das Grundprinzip fiktionalen Erzählens ist, Zeit zu stauchen. Im Fernsehen werden Morde in 45 Minuten gelöst– in einer Serienfolge. Für das Retten von Politikern ist in der Regel zwei Stunden Zeit. Manchmal aber dehnt sich im Film die Zeit, und auch dann nur scheinbar – wenn der Heckenschütze langsam sein Gewehr auspackt, poliert, zusammensetzt, wenn er den Politiker ins Visier seines Zielfernrohres nimmt. Die Zeit dehnt sich in den Momenten vor dem Höhepunkt des Films.

Das erzeugt Spannung.

In „24“ verstreicht die Zeit einfach. Eine Sekunde so schnell wie die nächste: bis am Ende 24 Stunden vorbei sind. Das ist die Frist, die der CIA-Agent Jack Bauer hat, um die Attentäter, die es auf einen Präsidentschaftskandidaten abgesehen haben, zu stellen. Der Zuschauer ist jede Minute dieser 24 Stunden dabei, unterteilt in 24 Folgen: Die erste Folge zeigt Bauer zwischen null und ein Uhr nachts, die zweite begleitet ihn zwischen ein und zwei Uhr. „24“ ist die erste Serie in Echtzeit.

Kiefer Sutherland spielt den Agenten: also die Hauptrolle. Oder spielt die digitale Sekundenuhr in Wahrheit die Hauptrolle, die immer wieder eingeblendet wird, die sozusagen der Pulsschlag der Serie ist, die die Handlung vorantreibt wie Technoschläge die Tänzer, die Sutherland durch Los Angeles hetzt, ihn wach hält. Denn wer würde sonst in 24 Stunden nicht einmal wegdämmern? Dann fiele Sutherland für die nächste Folge aus. Einschlafen geht bei einer Echtzeit-Serie nicht. Es ist die Unerbittlichkeit verstreichender Zeit, die „24“ so spannend macht. Denn das ist sie: Es ist die fesselndste Serie seit Jahren.

Sie fängt beschaulich an. Punkt Mitternacht: Jack Bauer will sich gerade schlafen legen, als er feststellt, dass seine Tochter durchs Fenster abgehauen ist. Im selben Moment ruft seine Arbeitskollegin an, er müsse so schnell wie möglich kommen, am nächsten Tag sei ein Attentat auf den schwarzen Präsidentschaftskandidaten David Palmer geplant. So beginnt, was Bauer „den längsten Tag in meinem Leben nennt“. Er muss gleichzeitig seine Tochter aus der Hand von Entführern befreien und ein Komplott in seiner Abteilung aufdecken, denn ein CIA-Agent, heißt es, sei in die Anschlagsplanung verwickelt. Es wird sozusagen ein mit Leichen gepflasterter Tag, an dessen Ende, so ist es ja immer bei dieser Art von Filmen, der Präsidentschaftskandidat am Leben sein wird.

Der Zuschauer wird wie in einer Achterbahn durch die Handlung geschleudert.

Denn sonst reicht, wie gesagt, so ein Plot nur für zwei Filmstunden. Wenn Assistentin Nina ungefähr um 2 Uhr 20, also in einer der ersten Folgen, in Verdacht gerät, der Spitzel zu sein – dann kann sich der Verdacht erst einmal nicht erhärten. Was sollte sonst in den restlichen 22 Stunden passieren? Jeder von Bauers Mitarbeitern muss noch in Verdacht geraten, die Handlung muss sich mindestens einmal um sich selbst drehen.

Anderes Beispiel: Wenn Bauers Tochter am Vormittag aus der Geiselhaft freikommt, dann muss sie sich noch auf etwas gefasst machen – sonst würde ja der zweite Handlungsstrang für die letzten zehn Stunden wegfallen.

In „24“ kann man manchmal wie durch die gläsernen Wände einer Rolltreppe auf die Mechanik der Handlung schauen: Zum Beispiel, als die Entführer die Freundin der Tochter umbringen wollten – in allerletzter Sekunde biegt ein Notarztwagen um die Kurve; das Mädchen ist gerettet. Es ist die Serie der tausend allerletzten Sekunden. Das klassische Action-Repertoire wird hier noch mal abgefeuert – und es funktioniert. Vielleicht, weil es in der Serie überdreht wird.

Vielleicht aber auch, weil die Dialoge so gut sitzen und die Ausstattung stimmt. Und natürlich, weil Kiefer Sutherland den Agenten so eindrucksvoll spielt, dass er den Golden Globe dafür gewann. So atemlos wie Bauer ist zuletzt Richard Kimble durch eine Serie gerannt.

Bauer glaubt am Ende, er hätte den längsten Tag seines Lebens hinter sich.

Aber es werden noch mehrere genauso lange Tage auf ihn zukommen. In den USA drehen sie gerade die dritte Staffel von „24“.

„24“: 20 Uhr 15, RTL 2. Eine Doppelfolge kommt immer dienstags, freitags, sonnabends um 20 Uhr 15 auf RTL 2.

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