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Ein Fernsehheiligtum feiert Geburtstag: Die ARD-Sportschau wird 50

Sie ist die Unverwüstliche, die Beständige, die Unmoderne, eine Art Fernsehheiligtum. Heute vor 50 Jahren ging die erste Sportschau auf Sendung. Und es gibt sie immer noch. Erstaunlich genug.

Es ist doch immer schön, wenn Urteile, vorgefasste Meinungen, also Vorurteile sich bestätigen. Lützenkirchen ist so ein Ort, sehr stimmig. Lützenkirchen, am Fuße des Bergischen Landes, vor Opladen gelegen und Stadtteil Leverkusens. Provinz eben, und so sieht es dort auch aus mit verklinkerten Häuschen und mit Knochensteinen zugepflasterten Vorplätzen vor diesen Häusern, auf dass die blöde Natur sich nicht Bahn bricht. Und der Männergesangsverein Durscheid lädt zum Heidbergfest. Kurzum und um Lützenkirchen nicht noch näher zu treten: Lützenkirchen ist provinziell, bräsig, kleinbürgerlich, spießig, trutschig, altväterlich. Das sind exakt die Attribute, die auch den Grund des Besuchs beschreiben: „Die Sportschau“. Weil nämlich Heribert Faßbender, das zweite und langjährige Gesicht der Sportschau, in Lützenkirchen lebt. Passt also alles.

Gott ja, die Sportschau. Gibt es die überhaupt noch? Aber ja! Ein Anachronismus auf jeden Fall, ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert, Jahrtausend sogar. So lange ist das her. 50 Jahre wird sie heute, die gute, alte Sportschau. Und wenn man sich an sie erinnert, dann kommen Bilder hoch, von Fahrradrennen, die querfeldein durch den Matsch führen, von Feldhandballspielen, von Motorradrennen mit Gespann, auch querfeldein und verschlammt, von Karl Mildenberger, wie er von Muhammad Ali umgehauen wird, der damals, 1966 nämlich, noch Cassius Clay hieß, von Fußballspielen auf geschlossener Schneedecke, von Fußballspielen in Schwarz und Weiß, von Kanupolo und Radball, von einem unumstößlichen Termin, und zwar Samstag, 17.45 Uhr damals, und natürlich von Acatenango, aber zu dem später. „’n Abend allerseits!“

Aber das sagt Heribert Faßbender jetzt nicht, wohl, weil der Abend noch weit ist und Faßbender schon seit fünf Jahren nicht mehr bei der Sportschau.

Die wird jetzt von anderen gemacht, von Gerhard Delling zum Beispiel, von Reinhold Beckmann und ab Juli auch von Matthias Opdenhövel. Stars des TV also, bei denen man sich schon fragen kann, warum es sie zur Old School zieht, wo es doch so viel hippere Formate gibt. Und dann verflüchtigt sich langsam das etwas hochnäsige Vorurteil, an seine Stelle tritt eine leise Bewunderung, dass die alte Dame sich hat halten können, überlebt hat in all der Eventkultur. Es gibt sie noch, die schönen Dinge.

Mag der Fußball, und um den geht es doch mehrheitlich, wenn im Fernsehen von Sport die Rede ist, mag er gefühlt auf Sky rollen, bei Liga Total fliegen oder im Internet kursieren, sechs Millionen Menschen schalten während der Bundesligasaison aufs Erste, Sportschau gucken, „kompakt, kompetent, kurzweilig“, wie Faßbender sagt, „und ohne Firlefanz“.

Das war schon der frühe Vorsatz, damals, als Sportkoordinator Robert Lembke – das ist der, der später mit „Was bin ich?“ die Bundesrepublik erst unterhielt und dann in Teilen doch auch nervte – den Plan umsetzte, eine eigene Sportsendung ins Programm zu hieven. Obwohl der Sport bei Weitem noch keine besondere gesellschaftliche Bedeutung hatte und der Bundesliga-Fußball noch gar nicht erfunden war. „Das war von Anfang an der Anspruch“, sagt Faßbender, „der Sport steht im Mittelpunkt, erst recht, als 1963 die Bundesliga begann. Und so wurde es auch, wenn wir Moderatoren zu lange reden, werden wir zu Störenfrieden, die vom Fußballschauen abhalten.“ Man kann sich das heute kaum noch vorstellen.

Wer hat's erfunden? Robert Lembke, der von "Was bin ich?"

Überhaupt muten die Geschichten über den Beginn der Sportberichterstattung im deutschen Fernsehen nicht nur an wie Geschichten aus dem vorigen Jahrtausend (das sind sie schließlich auch), sondern mehr noch wie Geschichten vom Beginn des Informationszeitalters, ja eigentlich vom Ende der Keilschrift und dem Aufbruch des Menschen. Es ist im Übrigen keine allein bundesrepublikanische Geschichte, auch wenn die Sportschau aus Köln gesendet wurde, auch wenn sie mit bundesrepublikanischen Gebühren finanziert wird. Einmal, lange nach der Wende, gab Kurt Masur mit dem Leipziger Gewandhausorchester ein Konzert in Köln. Und hinterher sollte Faßbender Masur vorgestellt werden, was dieser fast beleidigt als unnötig ablehnte: „Ich kenn’ den Herrn Faßbender, wir haben auch Sportschau geguckt!“ Wie schön, das Jubiläum ist auch ein gesamtdeutsches Jubiläum.

Geschichten, wie die von Faßbenders Initiation ins Gewerbe. Faßbender war Anfang der 60er Jahre Jurastudent in München, hatte vorher ein wenig als freier Mitarbeiter der lokalen „Rheinischen Post“ geschrieben, war Leutnant der Reserve und während seiner letzten Wehrübung Adjutant eines Generals der Bundeswehr. Als solcher kam er zum Ball der Westdeutschen Sportpresse in Dortmund. Dort lernte er Kurt Brumme kennen, den Radioreporter, der die Beredsamkeit des jungen Mannes am Tag darauf mit einer Probereportage vom Spiel Borussia Dortmund gegen Rot-Weiß Oberhausen testete und am nächsten Mittwoch mit einer echten Reportage vom Spiel Schalke 04 gegen den 1. FC Köln. Am Vormittag, so erzählt Faßbender, hatte er allerdings noch eine Klausur in München zu schreiben und nur einen Fiat 500 zur Verfügung. Es hat aber offensichtlich alles geklappt, heutigen Interessenten an diesem Beruf ist von einem solchen Quereinstieg abzuraten, er funktioniert nicht mehr.

Oder Geschichten von den Filmrollen, die von waghalsigen Motorradkurieren vom Spielort nach Köln transportiert wurden, von Hubschraubern, die die Reporter ins Studio flogen, Ernst Huberty, der Mann der ersten Stunde und der erste Star der Sendung, erzählt, dass er wohl die Erde einmal mit dem Hubschrauber umrundet habe. Geschichten von Interviews mit Trainern während des Spiels, sogar mit Otto Rehhagel, von mehr als 50 Sportarten, die die Sportschau regelmäßig und nicht nur zu Olympia zeigte, abenteuerliche dabei, wie die der Slalomkanuten, die Faßbender einmal zu Kanuslamuten gerieten. Geschichten von Hans-Heinrich Isenbart, der immer mit leiser Stimme und voller Leidenschaft von den Parcours der Welt berichtete und dem der Tod eines gestürzten Pferdes näher ging als der Genickbruch eines Reiters. Oder von Heinz Maegerlein, der mal von einem Skirennen zu berichten wusste, „Tausende standen an den Hängen und Pisten“, aber gesichert ist die Anekdote nicht. Wohl aber, dass er mitlitt mit dem Tennisspieler Ingo Buding und dessen Schmerzen in den beidseitig bandagierten Handgelenken. Maegerlein kannte noch nicht die Schweißbänder, die Buding trug.

Niemand ging ans Telefon. Doch nicht während der Sportschau!

Und natürlich die Geschichte vom Tor des Monats. Die eigentlich mit der Geschichte des ZFD-Sportstudios anfing. 1963 bekam die Sportschau Konkurrenz, eine übermächtige Konkurrenz, weil „Das aktuelle Sportstudio“ nach Aussage ihres ersten Anchormans Wim Thoelke eine „Unterhaltungssendung mit stark sportlichem Charakter“ sein sollte und es auch war. Das Torwandschießen auf kleine Löcher am späteren Abend wurde fast so wichtig wie das eigentliche Spiel am Nachmittag. Die Sportschau-Macher hielten dagegen. Und erfanden das Tor des Monats. Bis heute hält sich diese Auswahl der schönsten, spektakulärsten, überraschendsten Tore, man denke nur an Klaus Fischer, der Fallrückzieher gegen die Schweiz 1977, das Tor aller Tore des Monats, des Jahres, des Jahrzehnts und Jahrhunderts. Und bis heute wählen die Zuschauer ihr schönstes Tor, nur dass sie ihr Votum nicht mehr nur auf Postkarten abgeben müssen.

Und so wurde die Sportschau in den vergangenen fünf Jahrzehnten zur Kultsendung. Das Telefon wurde nicht abgehoben, wenn die Sendung lief, ohnehin hätte auch keiner gewagt anzurufen, auch wenn nur Ausschnitte von anfangs zwei Spielen gezeigt wurden. Und die eigene Mannschaft eh nie dabei war. Fast wäre die Sportschau untergegangen, als der Fußball und mit ihm die D-Mark und dann der Euro immer schneller rollten, immer irrwitziger. Als Uli Potofski 1988 auf RTL plus „Anpfiff!“ moderierte und Reinhold Beckmann ab 1992 „ran“ auf Sat 1 den Fußball mit Musikstars zum Klamauk mutieren ließ. Elf Jahre lang war der Sportschau rechtelos untersagt, vom Fußball mehr als nur Ergebnisse zu vermelden, Fotos von den Torschützen zu zeigen und Grafiken ins Bild zu halten.

Ist es nicht tröstlich und versöhnlich, dass die Sportschau wieder Erstrechte hat für die Übertragungen fernab von Pay-TV und dabei erst einmal die Spiele der Dritten Liga sendet? Nicht ganz freiwillig, sondern um einen Zeitraum zwischen Spielende und Übertragungsrecht zu überbrücken, aber es ist schon vergnüglich, Reinhold Beckmann Paderborn gegen FSV Frankfurt anmoderieren zu sehen, den gleichen Beckmann, der als „ran“-Mann gehöhnt hat über die Sportschau, dass man dort doch so viele andere schöne Sportarten übertragen könne, Synchronschwimmen etwa.

„Der Markenartikel Sportschau ist weiterhin gut“, sagt Faßbender. Aber Acatenango, Acatenango läuft nicht mehr. Von Acatenango und etlichen anderen Pferden ist noch zu erzählen. Adolf – Addi – Furler war Mann der ersten Stunde, ein Pferdenarr, aber anders als der feinsinnige Isenbart ein Freund des Pferderennens. Es müssen heftige Kämpfe gewesen sein, die er austrug gegen die Redaktionskollegen, all die Fußballfans, aber Furler kämpfte sie. Und gewann sie. So kam es, dass einmal im Jahr ein Pferd ins Studio kam, Acatenango vom Gestüt Fährhof, 1985 bis 1987 dreimal, nämlich als vom Publikum gewählter Galopper des Jahres. Es gehörte zu den skurrilsten Momenten der deutschen Fernsehgeschichte, Addi Furler dabei zuzusehen, wie er Pferde auszeichnete, wie er Schautafeln mit Stammbäumen der Pferde bis ins Mittelalter zeigte und Galopp- und Trabrennen kommentierte. So etwas übertrug die Sportschau tatsächlich. Regelmäßig. Und auch deshalb, auch wegen Acatenango vom Gestüt Fährhof, hat sich die Sportschau ihren Status verdient. Es ist immer schön, wenn der Zeitgeist auch mal nostalgisch wird und sich Vorurteile nicht bestätigen.

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