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Medien: Ein Flimmern, das die Welt bedeutet

Lida Azmi ist überglücklich. Sie gerät ins Schwärmen: "Wieder arbeiten zu können, das kommt mir vor wie ein Traum!

Von Caroline Fetscher

Lida Azmi ist überglücklich. Sie gerät ins Schwärmen: "Wieder arbeiten zu können, das kommt mir vor wie ein Traum!", sagt die Nachrichtensprecherin. Am Sonntagabend hatte Azmi zum ersten Mal wieder Dienst bei Afghanistan Television - nach einer Zwangspause von fünf Jahren. Die Taliban hatten nach ihrer Machtergreifung 1996 ein Bilderverbot verhängt, das sich auch auf das Fotografieren, Filmen, Internet, Kino und eben das Fernsehen erstreckte. All dies galt als "moralisch korrumpierend", wie die Taliban es ausdrückten. Dem Abgang der Bilderstürmer folgt nun der Sturm auf die Bilder. Und was Fernsehen angeht, so scheint es, haben die Afghanen einen ziemlichen Nachholbedarf.

Doch bis alle Fernseher im Land wieder etwas empfangen, wird es noch eine Weile dauern. Vorerst erreicht der Kabuler Sender nur Teile der Stadt. Dort aber können die Familien, die ihr Fernsehgerät vor dem Zugriff der Taliban-Polizei gerettet haben, die Satellitenschüsseln wieder an die Fassaden montieren und die Geräte unter den Decken und Teppichen hervorholen, wo sie sie verborgen hatten.

Lida Azimi zeigte sich den Zuschauern im weißen Kopftuch - mit freiem Gesicht und mit Brille, das Zeichen einer lesenden Frau. Um Punkt sechs Uhr am Sonntagabend war Afghanistan Television wieder "on air". Eröffnet wurde das Programm mit der Wiederbegrüßung der Kabuler Zuschauer durch die 17-jährige Mariam Shakebar, ein Kinderstar des Senders. Auch Shakebar trug nur ein Kopftuch, nicht die von den Taliban verlangte Burka - allein dieser Umstand hätte unter den Taliban einen Skandal bedeutet. Genau wie die Bartlosigkeit des zweiten Nachrichtensprechers, Shamsuddin Hamid. "Wir werden offene Programme machen", erklärte er, "offen auch gegenüber dem Westen."

Neben Nachrichten in den beiden Amtssprachen Paschtu und Dari - einem persischen Dialekt - gab es in diesen ersten drei Stunden Fernsehen eher konservative Sendungen. Programmdirektor Humayon Rawi erklärte gegenüber dem Londoner "Guardian": "Wir glauben an die Freiheit, aber wir werden uns durchaus an islamisches Recht halten." Auch damals, als man noch indische Kitschfilme hatte sehen können, wurden die Küsse ausgeblendet. Den Anfang der neuen Sendungen machte mithin ein - vor zehn Jahren sehr populärer - blinder Mullah: mit einer Lesung aus dem Koran. Klassische afghanische Musik folgte, der erste Song war "My Sweetheart Kabul" der exilierten Sängerin Farhad Darya.

Die bloße Tatsache jedoch, dass Musik, von den Taliban verpönt, überhaupt gespielt wurde, gilt als symbolischer Sieg gegenüber dem Puritanismus der Glaubenshüter. Deren Radiosender "Stimme der Scharia" war bis vor wenigen Tagen das einzige elektronische Medium. Das karge Angebot bestand aus Propaganda und Predigten im Wechsel. Der Sender war Kriegsziel der Amerikaner. Am 8. Oktober trafen zwei Cruise Missiles die "Stimme der Scharia" - so war die Frequenz frei für das von den USA betriebene "Psychological Operations"-Programm. Von da an kreisten sechs EC-130J-Jets der Pennsylvania Air National Guard hoch über den Gebirgen. Die "Commando Solo" genannte Radio-Aktion sicherte weltweiten Empfang. Als ständiges Motto des Senders erklang der Aufruf an die "noble Afghan people", sich "ruhig zu verhalten", denn man sei nur gekommen, um "die Taliban zu fangen."

Das Radio, sagen westliche Beobachter, war die letzte Brücke der Afghanen zum Rest der Welt. Fast ausschließlich über Radio gelangten sie noch an andere, unabhängige Nachrichten über ihr Land und die Weltpolitik. Nach dem Verlust der Frequenz in Kabul sendeten die Taliban bis zum 12. November 2001 noch über Radio Masar-i-Sharif, bis diese Hochburg fiel. Bereits am 13. November konnten die Hörer dieser Frequenz zum ersten Mal wieder Musik hören - für viele ein Signal der nahenden Befreiung.

Dass Afghanistan Television wieder auf Sendung ist, feiern die Kabuler als Triumph. "Tagelang hantierten die Techniker des Senders mit Kabeln und altem Material, um wieder auf Sendung gehen zu können", berichtet die Zeitung "Frontier Post" im grenznahen pakistanischen Peshawar. Die Gerätschaften waren Anfang der Achtziger hochmodern. Jetzt haben die Ingenieure von Afghanistan Television eine Antenne und eine mit Einschüssen durchlöcherte Satellitenschüssel auf dem Dach des Kabuler Hotel Intercontinental aufgepflanzt. Altertümlich sieht sie aus neben dem Hightech-Equipment der ausländischen Sender CNN, BBC, ABC und anderen. "Wir haben viele technische Probleme", erklärt der Zuständige, Mir Mohammed, "und nur einen 10-Watt-Transmitter". Hoffnung setzen die Leute beim Sender auf konkrete Hilfe aus dem Ausland. Dann können sie bald mehr als nur einen Teil der Hauptstadt erreichen. Einstweilen freuen sie sich mit Frauen wie Lida Azimi. Ihr Fazit als zurückgekehrte Sprecherin lautet: "Das Leben macht mir endlich wieder Spaß."

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