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Medien: Ein „New Yorker“ für Berlin

Am Sonnabend kommt das Hochglanzheft „Voss“ an die Kioske

Müde ist er, sagt Andreas Bock und sieht auch so aus. Seit Wochen wird aus seinem Traum Realität, und die ist verdammt anstrengend für den 39-Jährigen. Sein Traum, das ist eine Hochglanzzeitschrift, die dem Edelblatt „New Yorker“ ähneln und mit der traditionsreichen „Vossischen Zeitung“ verwandt sein soll (siehe Kasten). Die Realität sind 18-Stunden-Arbeitstage in der Druckerei, im Gespräch mit den Autoren und dem Grafiker Jürgen Brinckmann. Alles, damit ab Sonnabend zum Preis von fünf Euro die erste Ausgabe von „Voss – Die Berliner Zeitschrift“ an den Kiosken liegt. Ein großes finanzielles Risiko, gerade in wirtschaftlich schweren Zeiten, und alles ohne Netz und doppelten Boden. Denn hinter dem Verleger steht kein finanzstarker Verlag, sondern nur ein einziger Mann, Bock selbst. Ein Großteil des Geldes stammt von Freunden.

Mit den hundert Seiten im Format 18 mal 24 Zentimeter lehnt er sich bewusst an legendäre Berliner Magazine der 20er Jahre wie „UHU“ und „Querschnitt“ an. Die erste Ausgabe kommt sommerlich daher. Auf der Titelseite prangt ein gelassen Zeitung lesender John F. Kennedy. Der war vor vierzig Jahren in Berlin, und der Historiker Andreas Etges porträtiert den US-Präsidenten in weitaus düstereren Farben, als es das Coverfoto erwarten lässt. John F. Kenney erscheint dabei als schwerstkranker Spross einer Einwandererfamilie, der mit der Mafia politische Attentate plante. Ein paar Seiten weiter zeigt eine Fotoreportage das Innere des Krematoriums am Baumschulenweg in Berlin-Treptow, das die Architekten des Kanzleramtes, Axel Schultes und Charlotte Frank, entworfen haben. Jakob Augstein steuert für die Erstausgabe einen Essay über den Dichter, Dramatiker und „Vossische Zeitung“-Autor Gotthold Ephraim Lessing bei. Dazu kommen ein U-Bahn-Krimi von „-ky“, dem Berliner Autor Horst Bosetzky, Gedichte, Glossen, ein Kalender und Interviews.

Was das Magazin im Innersten zusammenhalte, sagt Bock, sei der spezifisch Berlinerische Blick. Im Editorial klingt das so: „Eine Berliner Zeitschrift muss wie Berlin sein: vielfältig und beständig im Wandel. Ausprobieren, was geht. Hauptsache, kein Stillstand.“ Um diese Haltung zu besitzen, müsse man nicht unbedingt in Berlin leben.

Nach der Startauflage von 10 000 Exemplaren hat Bock noch Geld für zwei weitere Ausgaben, die vierteljährlich erscheinen sollen. Mit mittelfristig 30 000 Käufern rechnet Bock. Viele Abo-Bestellungen seien schon bei ihm eingegangen, ebenso etliche Anfragen von Kollegen. „Schließlich kriegt bei so einem Format jeder Journalist feuchte Augen.“

Genauso wie mancher Verleger. Es gab schon mehrere Versuche, eine Art deutschen „New Yorker“ zu machen. 1989 übernahm der Spiegel-Verlag das schwer defizitäre Kultur-Journal „Transatlantik“ – und stellte es nur zwei Jahre später ein. Das von Franz Josef Wagner entwickelte Burda-Projekt „Neue Berliner“ schaffte es 1997 gar nicht erst an die Kioske. „Weil Berlin noch nicht soweit ist“, war damals Wagners Begründung. Jetzt also Bock. Seine journalistische Vita: Praktikum beim „Weser-Kurier“, Jahre später Internet-Journalist bei T-Online. Er hat sich viel vorgenommen.

Ganz hinten in der am Sonnabend erscheinenden ersten Ausgabe steht ein Zitat des Lyrikers Georg Heym, der 1912 beim Schlittschuhlaufen einbrach und ertrank. In Berlin natürlich, auf der Havel. Heyms Worte scheint sich der Jung-Verleger Bock zu eigen gemacht zu haben: „Bei Gott, ich werde schon für verrückt gehalten. Na ja, es ist auch schon schlimm.“

Matthias Lohre

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