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Medien: „Ein Rattenrennen“

Investigative Journalisten üben auf Podiumsdiskussion Selbstkritik

Der Enthüllungsjournalismus steckt in der Sinnkrise. Das diagnostizierten jedenfalls der Leiter des ARDHauptstadtstudios Thomas Roth, der Tagesspiegel-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo und der Vorsitzende des Netzwerks Recherche Hans Leyendecker. Vor allem Leyendecker, der in den 80er Jahren den Flick-Skandal aufgedeckt hatte, übte bei der Diskussion im ARD-Hauptstadtstudio scharfe Kritik; bereits vor zwei Monaten nannte er die ständig wiederholten, aber nicht mehr überprüften Bestechungsvorwürfe gegen Jürgen Möllemann „ein Stück Kapitulation des investigativen Journalismus“. Gestern zielte er auf die Haltung mancher Kollegen ab: Sie fühlten sich als „Verfolgungskünstler, die meinen, auf der richtigen Seite der Barriere zu stehen und andere jagen zu können.“

Enthüllungsgeschichten wie über die Leuna-Werke, die mit großen Schlagzeilen begannen und dann im Sand verlaufen sind; der oft trockene Stil investigativer Journalisten: Das sind nur zwei Gründe, warum der Enthüllungsjournalismus weniger Leser erreicht als vielleicht noch vor zehn Jahren. Giovanni di Lorenzo gibt der Medienkrise eine Mitschuld: „Die wirtschaftlichen Zwänge lassen die Spielräume für die Recherche kleiner werden.“ Für Thomas Roth, dessen Mitarbeiter von Fernsehgebühren gut abgesichert sind, liegt die Ursache im härteren Wettbewerb: Ein sich immer schneller drehendes Nachrichtenkarussell lasse wenig Zeit für eigenes Nachforschen. „Es wird immer schwieriger, Haltbarkeit zu produzieren.“ Vor allem schade die Jagd nach Exklusiv-Nachrichten profunden investigativen Recherchen, sagt Leyendecker. Die Zeitungen lieferten sich ein „Rattenrennen“, nur um in einer anderen zitiert zu werden.

Der Tenor der Diskussion stand in seltsamem Widerspruch zu ihrem Anlass: Es wurde ein Buch präsentiert, dessen Titel für „Mehr Leidenschaft Recherche“ plädiert. Der „Dunkelmann Kirch“, die Hessen-CDU und ihre dubiosen Spenden oder Korruption in Cottbus – die Journalisten, die die großen deutschen Skandale der letzten Zeit aufgedeckt haben, zeigen in der Aufsatzsammlung ihre Recherchewege auf. Als praktische Anleitung für Journalisten. Und hier lobt Leyendecker auch mal. „Die Autoren sind uneitel“, sagt er und korrigiert sich, „sie sind vergleichsweise uneitel.“

Wie geht es weiter mit dem investigativen Journalismus? Leyendecker glaubt, dass Zeitungen Schlussberichte über ihre Enthüllungsgeschichten drucken sollten. Selbst wenn, wie im Fall Leuna, sich die Anfangsthese nicht bestätigen sollte. nol

Thomas Leif (Hrsg.): „Mehr Leidenschaft Recherche“. Westdeutscher Verlag , 274 Seiten, 23,90 €

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