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Medien: Ein Schönheitswettbewerb?

Amerikas Star-Berater Dick Morris kritisiert bei einer Grimme-Tagung den Wahlkampf von Schröder und Stoiber

Von Thomas Gehringer

Dick Morris ist nicht besonders groß, ein wenig rundlich, und ab und zu fährt er sich mit der Hand durch die gescheitelten Haare. Zuweilen scheint seine Hand auch ein wenig zu zittern, doch von Nervosität ist in seinem freien Vortrag kein bisschen zu spüren. „Deutschland ist ein gutes Beispiel“, sagt Dick Morris. „Da gibt es zwei Kandidaten, die nicht wissen, wie ihre Botschaften bei den Wählern ankommen. Entscheidend ist aber nicht, was die Kandidaten sagen, sondern was die Wähler hören.“

Der Amerikaner Morris ist in der westlichen Welt so etwas wie der Star unter den Wahlkampfberatern. Er hat Bill Clinton trotz Lewinsky-Affäre zu einer zweiten Amtszeit als US-Präsident verholfen und viel beachtete Bücher geschrieben. Gestern war Dick Morris in Deutschland, genauer gesagt in Marl. In Marl? Dem Grimme-Institut war ein kleiner Coup gelungen, indem es Morris zu einer Teilnahme an den Marler Tagen der Medienkultur bewegen konnte. Und er tat Instituts-Leiter Bernd Gäbler den Gefallen und zog ordentlich über den Wahlkampf der beiden Spitzenkandidaten Gerhard Schröder und Edmund Stoiber her. Perfektes Timing war das, so kurz vor dem zweiten TV-Duell, das morgen bei ARD und ZDF ausgestrahlt wird.

Nach Ansicht von Dick Morris haben seine Beraterkollegen von SPD und CDU/CSU offenbar entscheidende Fehler gemacht. „Beide Kandidaten versprechen Arbeitsplätze. Genauso gut könnten sie Sonnenschein oder Regen versprechen, oder wann die Flut kommt und wieder abfließt“, kritisierte er. Der Sieger der Bundestagswahl werde sein, „wer als Erster versteht, dass er nur über Themen reden sollte, die er auch beeinflussen kann“. Ökonomie und Politik seien jedoch seit Anfang der neunziger Jahre „geschieden“.

Nationale Politik könne in einer globalisierten Wirtschaft kaum noch etwas bewirken. Stattdessen müssten die Kandidaten Themen wie Bildung, Kriminalität, Umwelt oder Einwanderung aufgreifen. Besonders sinnvoll sei es, im Wahlkampf „die Probleme der anderen Seite zu lösen“. Soll heißen: Ein „linker“ Politiker könne etwa mit der Kriminalitätsbekämpfung, einem Thema aus dem klassischen konservativen Repertoire, Punkte machen. Sein „rechter“ Gegenspieler mit Umweltfragen. Demnach hätte freilich Kanzler Schröder mit Innenminister Otto Schily die Idealbesetzung gefunden, und Herausforderer Stoiber hätte einen schweren Fehler gemacht, indem er den Umweltbereich in seinem Kompetenzteam unbesetzt ließ. Den Grünen wiederum hätte Dick Morris geraten, seit dem dramatischen Hochwasser nur noch von der Klimakatastrophe zu sprechen. Überhaupt sei Umweltpolitik das Thema, das in den nächsten Jahren am stärksten an Bedeutung gewinnen werde.

Vielleicht hat Dick Morris doch das eine oder andere Argument – der engagierten, plakativen Rede zuliebe – etwas sehr vereinfacht. Bemerkenswert war aber, dass ausgerechnet ein amerikanischer Top-Berater die übertriebene Inszenierung der beiden Kandidaten geißelte. „Man könnte den Eindruck haben, dies sei ein Schönheitswettbewerb“, kritisierte Morris. Wahlkampf sei vielmehr wie ein Schachspiel. Nicht Stil und Image seien entscheidend, sondern die Themen und die Substanz der politischen Botschaft. In der Tat wurde nach dem ersten TV-Duell kaum über Inhalte, dafür umso mehr über die strengen Regeln der Sendung und die Darstellungskünste von Kanzler (einschläfernd oder staatsmännisch?) und Kandidat (langweilig oder überraschend stotterfrei?) gestritten. Auch in Marl fand das seine Fortsetzung. Selbst Moderator Peter Kloeppel wurde bei der Premiere vor zwei Wochen offenbar nicht richtig glücklich. „Ein Journalist möchte bei Nachfragen nicht limitiert werden“, sagte er in Marl. Und wenn er in vier Jahren wieder ein TV-Duell moderieren solle, „würde ich versuchen, größeren Einfluss auf die Regeln zu haben“. „Die Politiker haben sich zum Affen einer totchoreographierten Fernsehinszenierung machen lassen“, schimpfte Bernd Gäbler über das Duell. Doch in Wirklichkeit war es wohl eher umgekehrt, will man jedenfalls Kloeppel glauben. Andere Regeln wie etwa die in den USA, wo zu jedem Themenkomplex vierminütiges freies Nachfragen erlaubt ist, seien in den Verhandlungen mit den Medienberatern von Schröder und Stoiber nicht durchsetzbar gewesen, berichtete Kloeppel.

Aber er hielt der Sendung zugute, dass unter den knapp 15 Millionen Zuschauern viele erreicht worden seien, die sich sonst kaum auf politische Berichterstattung einlassen würden. Die überdurchschnittlich hohe Zahl von Erstwählern und Jugendlichen, die das Premieren-Duell sahen, scheinen das zu bestätigen.

Trotz aller Kritik am ersten TV-Duell scheinen Fernsehmacher und Politiker noch enger zusammengerückt zu sein: Den einen bescherte es eine tolle Quote und Imagegewinn, den anderen die Möglichkeit der Selbstdarstellung, bei der es immerhin keinen offenkundigen Verlierer gab. Der Anfang sei gemacht, meinte Kloeppel, 2006 könne sich kein Kandidat mehr erlauben, ein TV-Duell zu verweigern.

Dick Morris sieht das anders: „Das Zeitalter des Fernsehens nähert sich dem Ende“, behauptete er forsch. Zumindest in den USA sei zur Hauptsendezeit bereits ein Viertel des Medien-Publikums online und säße eben nicht mehr vor dem Fernsehgerät.

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