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Medien: Ein Spiel voller Schlüsselmomente

Der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy hat, wie alle Ungarn, die WM-Niederlage von 1954 bis heute nicht verwunden und in seinem neuen Buch „Deutschlandreise im Strafraum“ wehmütig daran erinnert, dass damals in Bern alles anders gekommen wäre, wenn Ungarns Abwehrspieler Lantos in der 84. Spielminute den Kopf anders hingehalten hätte.

Der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy hat, wie alle Ungarn, die WM-Niederlage von 1954 bis heute nicht verwunden und in seinem neuen Buch „Deutschlandreise im Strafraum“ wehmütig daran erinnert, dass damals in Bern alles anders gekommen wäre, wenn Ungarns Abwehrspieler Lantos in der 84. Spielminute den Kopf anders hingehalten hätte. Kein deutscher Sieg, kein Wirtschaftswunder, kein ungarisches Trauma, kein Volksaufstand, kein Mauerbau ... die Weltgeschichte hätte sich in ganz anderen Bahnen bewegt, und alles nur wegen Lantos’ Kopf.

So ist es mit vielem im Leben; der Zufall, von dem Vorsehungsgläubige meinen, es gebe ihn gar nicht, regiert jeden Moment und lässt im Nachhinein prächtige Mutmaßungen darüber dazu, was geschehen wäre, wenn ... ja, wenn ich damals nicht am Savignyplatz einen Kaffee getrunken, jenes zauberhafte Wesen kennen gelernt, dieses geehelicht hätte, mit ihm ins Fränkische gezogen und an einer landestypischen Bratwurst erstickt wäre ... Oder was wäre es aus dem Achtelfinale gegen Schweden geworden, wenn Klose einen Tick weniger genial aufgespielt hätte, wenn der tapsige Abwehrspieler Lucic nicht derart nach Gelb-Rot gegiert oder der sympathische Larsson den Elfmeter nicht in die bayerischen Wolken gejagt hätte? Vielleicht kein hoch verdientes 2 : 0 für die deutsche Mannschaft – wer will es sagen?

Ich weiß es nicht, Reporter Béla Réthy auch nicht, obschon wir ihm den schönsten, tiefgründigsten Satz der ZDF-Übertragung Reportage verdanken, das hoch interpretationsbedürftige „Sofort öffnet sich die Raute, von flach zu tief“. Der Fußball und das Leben hängen von magischen Schlüsselmomenten ab, die sich nicht vorhersehen lassen. Und deshalb brauchen wir gar nicht zu spekulieren, was im Viertelfinale passieren wird.

Geben wir keine Prognosen ab; die meisten sind – wie die meinigen – ohnehin falsch, und halten wir es mit ZDF-Kommentator Urs Meier, der erst gar nicht versucht, Tiefschürfendes beizutragen. Der wackere Ex-Referee sagt stattdessen Sätze wie „Die Mannschaft wird spielen“ oder „Ein Schiedsrichter ist neutral“, Sätze, die dem Zauber des Augenblicks erhalten und alles offen lassen. Gut so.

Rainer Moritz

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