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Medien: Ein ungehobener Schatz

Wie Computerspiele und Fernsehserien die Integration befördern können. Von Jo Groebel

Deutschland fühlt sich wieder wohl. Wer während der WM nicht selbst Fähnchen schwenkte, sah die Bilder fröhlicher Menschen, die mit ihrem Land eins sind. Das Erstaunlichste: zwei scheinbar unvereinbare Symbole tauchten zusammen auf, die Schwarz-Rot-Gold-Fähnchen und dunkle Kopftücher, deren Trägerinnen man eher einer abgeschotteten Gemeinschaft von Muslimen ohne „Deutschgefühl“ zugeordnet hätte. Sie fragten nicht lange nach der Einladung zur Integration, zur Nation zu gehören ist für sie eine Selbstverständlichkeit. So zeigt sich, dass bei allen Problemen gesellschaftliches Zusammenführen zwei Richtungen kennt. Die offizielle der großen Politik, „von oben nach unten“, wie sie beim Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin verhandelt wurde. Aber auch die informelle, kleine, „von unten nach oben“, die in der persönlichen Begegnung zwischen verschiedenen Kulturen besteht, sich am intensivsten durch die Verbreitung ungewohnter Medienbilder entwickelt.

Die kulturelle Integration hat in den Medien schon lange stattgefunden. Besonders das Fernsehen muss auch auf einprägsame visuelle Kurzformeln setzen, auf den schnellen Zuschauerreflex. Und da heißt attraktive Dramaturgie eher, den Konflikt zu betonen. Das Kopftuch war zum Synonym für den kulturellen Konflikt geworden, gab der Kontroverse sogar den Namen. Wie sehr unterschiedliche Herkünfte mit unterschiedlichen Symbolwelten korrespondieren, zeigt sich auch an der Entwicklung von Zinedine Zidane. Es war Zidane, der vor zehn Jahren durch seine Erfolge zur Symbolfigur für soziale Integration geworden war. Plötzlich war ein Franzose nordafrikanischer Herkunft ein nationaler Held, der Vertreter einer Bevölkerungsgruppe, die eher mit Bildern von Armut und Anderssein assoziiert worden war. Dabei waren es nicht nur direkte Begegnungen, die den Konflikt nährten. Klischees resultierten auch aus vereinfachten Darstellungen in Presse und Fernsehen selbst da, wo die Botschaft gut gemeint war.

Karikaturenstreit, Popetown-Debatte, die Beck-Titanic-Kontroverse, im Zeitalter immer perfekter geplanter Kommunikation wird befürchtet, dass der Schritt von der Mediendarstellung zum Hass kleiner geworden ist. Uns wird bewusst, dass die Empfindlichkeit gegenüber verbaler und bildlicher Beleidigung unterschiedlich ausgeprägt ist. Eine Untersuchung hat gezeigt: In der asiatischen und afrikanischen Kultur wiegt der verbale Angriff – wie auf Zidane im WM-Finale – schwerer als der körperliche. Übertragen auf die Gesellschaft lehrt es uns, dass der lässige Umgang mit verletzender Wortwahl nicht auf andere übertragen werden kann. Pressefreiheit darf nie eingeschränkt werden, muss aber abgewogen werden gegen mögliche Verletzung anderer Menschenrechte. Das Umgekehrte gilt eben auch: Bilder, Worte können zur Integration beitragen.

Lange unterschätzt wurde die Kraft von Sport, Unterhaltung, Spielfilmen und Serien. Sie prägen die Einschätzungen der verschiedenen Gruppen über das informelle Lernen. Für die auf den Integrationsgipfel folgenden Schritte ist das eine Perspektive: einmal die Debatten zu ergänzen um die Erkenntnis, dass leichtere Kommunikationsformen bis hin zum Humor prägend wirken können. Exemplarisch ist eine BBC-Serie der 90er Jahre wie „Goodness, Gracious, Me“ mit der selbstironischen Beschreibung des Alltagslebens indischstämmiger Engländer. Auch deutsche TV-Produktionen haben die Integration vollzogen, türkischstämmige Comedians gehören mit zum Besten, was das Programm bietet, so genannte „Social Soaps“ zeigen den selbstverständlichen Umgang von Menschen miteinander, die von verschiedenen Religionen abstammen. Eine Chance bieten digitale Medien. Das Internet ist die Kommunikationsplattform par excellence. Ein ungehobener Schatz könnten Computerspiele sein wie Simulationsspiele, die komplexeste Formen des Zusammenlebens thematisieren. Im persönlichen, wie im medialen Umgang miteinander, es gibt mehrere Optionen: Die konfliktreiche, die auf den ersten Blick aufregender erscheinen mag. Oder die friedliche, spielerische. Die Fußball-WM und besonders die sportlichen Leistungen Zidanes haben es gezeigt, diese sind attraktiver.

Der Autor ist Chef des Deutschen Digital Instituts, Berlin.

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