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Einen Erpresser sollen Kommissar Reto Flückiger (Stefan Gubser) und die amerikanische Austauschpolizistin Abby Lanning (Sofia Milos) jagen – und kommen sich dabei näher. Doch auch ihre Liebsszene musste überarbeitet werden. Foto: SWR/SF/Thomi Studhalter

© SWR/SF/Thomi Studhalter

Schweizer "Tatort": Eine Amerikanerin in Luzern

Nachgedreht, nachgeschnitten: Schon die Entstehung des neuen Schweizer „Tatort“ glich einem Krimi. Das Ergebnis ist allerdings wenig spannend.

Der Titel ist Programm: „Wunschdenken“ heißt der erste Schweizer „Tatort“, der nach beinahe zehn Jahren ARD-Absenz fürs Erste gedreht wurde und am Sonntagabend die „Tatort“-Sommerpause beendet. Es sollte ein guter Krimi werden. Grimme-Preisträger Markus Imboden, selbst Schweizer, wurde als Regisseur engagiert – doch glich die Entstehung nicht nur einem Fiasko, sondern mutete selbst fast wie ein Krimi an.

Bereits im Frühjahr 2010 hatte Imboden in Luzern und am Vierwaldstättersee nach einem Drehbuch von Nils-Morten Osburg mit der Umsetzung begonnen, die Ausstrahlung war für den 17. April 2011 geplant.  Doch dann wurde der Termin überraschend gekippt.

Nathalie Wappler, die im Januar 2011 neue Kulturchefin des Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) wurde, ordnete an, den Krimi komplett zu überarbeiten. Eine Liebesszene zwischen Kommissar Reto Flückiger (Stefan Gubser) und seiner amerikanischen Berufskollegin Abby Lanning (Sofia Milos) wurde nach SRF-Angaben gekürzt. Eine andere Sequenz, die „zu überzeichnet und klischiert war“, neu gedreht. Zudem sei auf Wunsch der ARD die Synchronisation des ursprünglich auf Schweizerdeutsch gedrehten Films nochmals vollständig neu erstellt worden. Es hieß, der Film habe den Ansprüchen des SRF nicht genügt, und „dem Stil“ des „Tatort“ nicht entsprochen – so richtig tut er dies leider immer noch nicht.

Die Geschichte von „Wunschdenken“ kommt in ihrer Inszenierung recht behäbig-konventionell daher und wirkt in ihrer Dramaturgie reichlich verworren: Die Luzerner Kripo leidet unter Personalmangel, da passt es gut, dass Kommissar Flückiger vorbeischaut, der eigentlich nur sein Segelboot zu Wasser lassen will. Er ist gerade vom Bodensee – wo er zuweilen mit Kollegin Klara Blum (Eva Mattes) kooperiert hat – nach Luzern versetzt worden, vor ihm liegen vier Wochen Urlaub. Doch sein alter Freund und neuer Vorgesetzter Ernst Schmidinger (Andrea Zogg) braucht ihn – jetzt. Erst wird eine Wasserleiche im Luzerner Fluss Reuss gefunden, kurz darauf der allzu emsige Regionalpolitiker Pascal Kreuzer entführt. Und bei dessen sehr nervöser Frau Natalie Kreuzer (Stephanie Japp) geht ein Erpresservideo mitsamt hoher Lösegeldforderung ein. Für Flückiger bedeutet das: Urlaub ade. Dafür bekommt er die US-Austauschpolizistin Abby Lanning zur Seite gestellt. Bald wird klar, dass Wasserleiche und Entführung ein Fall sind.

Die Leistung von Sofia Milos, die in Zürich geboren wurde und aus der US-Serie „CSI: Miami“ bekannt ist, war im Frühjahr einer der Hauptstreitpunkte. „Niemand konnte ahnen, dass sie ein völlig anderes Verständnis von Krimi hat. Doch der ,Tatort’ ist nun mal nicht ,CSI’“, sagte Regisseur Markus Imboden. Überdies sei es Milos am Set vornehmlich darum gegangen, gut auszusehen. Sie sei eine „Fehlbesetzung“. Milos reagierte auf die Vorwürfe völlig konsterniert und sagte, sie habe das Drehbuch erst zwei Wochen vor Drehbeginn erhalten. Auch Kulturchefin Nathalie Wappler und Hauptdarsteller Stefan Gubser äußerten sich mehrfach in der Presse, Imboden erfuhr erst aus den Medien, wie es um seinen „Tatort“ bestellt ist.

Warum man überhaupt den Schweizer Auftakt von vornherein mit einer einmaligen Gastrolle besetzt, das mag unbeantwortet in die Annalen der „Tatort“-Geschichtsschreibung eingehen. Für die hochdeutsche Fassung – parallel existiert die schweizerdeutsche – wurde Sofia Milos vollständig von Schauspielerin Bettina Zimmermann synchronisiert. So wundert es denn auch nicht, dass die US-Amerikanerin Abby Lanning durch Luzern geht, dabei fließend hochdeutsch parliert, und ihr ab und an recht prätentiös ein sauber hervorstechendes „Sure!“ oder „Sorry!“ entgleitet.

Sorry, das mag alles so überhaupt gar nicht passen, das ist Sure!

Inzwischen ist – und das mag angesichts dieses Tohuwabohu durchaus verwundern – bereits ein weiterer Schweizer „Tatort“ abgedreht. Er entstand von Mitte März bis Mitte April diesen Jahres unter der Regie von Tobias Ineichen nach einem Drehbuch von Urs Buehler und trägt den Titel „Skalpell“. Nach Sofia Milos einmaligem Gastspiel gibt es in dieser „Tatort“-Folge eine neue Kollegin für Reto Flückiger mit Rollennamen Liz Ritschard, gespielt von Delia Mayer, hierzulande vor allem bekannt aus der Serie „Die Cleveren“. Ein dritter Luzerner Krimi befindet sich in Drehvorbereitung: „Hanglage“ soll unter der Regie von Sabine Boss voraussichtlich noch diesen September realisiert werden. Ein Wagnis? Laut des SRF werde die ARD erst nach Ausstrahlung von „Wunschdenken“ entscheiden, ob es mit dem Schweizer „Tatort“ im Verbund mit dem Ersten Deutschen Fernsehen weitergeht. Fällt der Entscheid negativ aus, so der SRF, werden die beiden weiteren Reto-Flückiger-Fälle „in jedem Fall an einem Sonntagabend“ im Schweizer Fernsehen ausgestrahlt.

Bleibt die vielleicht nicht ganz unheikle Frage, welcher Krimi denn nun eigentlich der spannendere ist: Jener, den Stefan Gubser als Reto Flückiger in der Fiktion zu bestreiten hat – oder jener, den die Beteiligten hinter den Kulissen und in den Medien monatelang vorab ausgetragen haben.

Eine andere Antwort jedoch gibt es trotz und alledem: Stefan Gubser könnte ungeachtet aller Irrungen und Wirrungen dieses medioker-misslungenen Schweizer Einstands mit seinem Reto Flückiger eine Ermittler-Figur weiterentwickeln und vertiefen, die durchaus ihren Charme und ihren Reiz hat, auch ihre Individualität und ihr ureigenes Profil. Das ist auch hier schon erkennbar und ausschließlich dem Schauspieler geschuldet. Vielleicht darf man auf „Skalpell“ und „Hanglage“ daher sogar gespannt sein. Oder wäre das wieder nur Wunschdenken…?

„Tatort: Wunschdenken“, 20 Uhr 15, ARD

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