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EINKAUFS-FERNSEHEN: Shoppen mit der Fernbedienung

Hallo Neckermann? Hallo Quelle? Deutschlands kundenorientiertester Dienstleister ist – das Verkaufsfernsehen HSE24

Es gibt nicht sehr viele Männer, die im deutschen Fernsehen über die Brüste ihrer Mutter sprechen. Christian Materne ist einer von ihnen. Der 29-Jährige ist gerade 30 Minuten auf Sendung, als er sagt: „Meine Mama, die mich wirklich über alles liebt, hält mir eines im Leben immer wieder vor. Sie sagt, bevor sie mit mir schwanger war, hatte sie eine ganz tolle Busenpartie, und nachdem ich auf der Welt war, hat sie gesagt, war das alles nicht mehr so knusper.“ Man muss fast sagen: Zum Glück hat Christian Materne seiner Mutter dann diese Busencreme der Marke „Beate Johnen“ geschenkt. Denn jetzt ist die Materne-Mama wieder „super, super zufrieden“, genau wie Cremeherstellerin Johnen, die gemeinsam mit Christian Materne im Studio des Homeshopping-Senders HSE24 steht: „Ganz liebe Grüße, Frau Materne“, sagt sie in die Kamera, während sie sich ihre eigene Creme auf die Brust schmiert, „ich liebe sie übrigens auch über alles.“

Materne und Johnen reden dann noch weitere 30 Minuten über die „BJ StriXX Effects Büsten- und Dekolletécreme“. Am Ende dieser Sendung werden sie über 700 Tuben verkauft haben, die Creme, die das Gespann im Anschluss präsentiert, wird sogar rund 5000 Mal bestellt.

Im 15. Jahr produziert HSE24 jetzt schon Verkaufsfernsehen. Es ist kein sonderlich gutes Fernsehen, es ist kein überraschendes oder ambitioniertes Fernsehen. Dafür ist es erfolgreiches Fernsehen. Gerade gab HSE24 die Bilanz für 2009 bekannt: zwölf Prozent Umsatzsteigerung gegenüber dem Vorjahr, 394 Millionen Euro Umsatz, der höchste in der Unternehmensgeschichte. Das Jahr 2009 war auch jenes der Pleite von Karstadt, der letzte Quelle-Versandkatalog wurde gedruckt. 2009 war kein gutes Verkaufsjahr, eigentlich. Doch dass in den letzten Monaten allerorten die Krise ausgerufen wurde, scheint dem deutschen Verkaufsfernsehen egal gewesen zu sein.

Neben HSE24 hat auch QVC, der deutsche Marktführer, eine astreine Bilanz vorgelegt: 654 Millionen Euro Umsatz, drei Prozent mehr als im Vorjahr. Nur warum? Welchen Nerv treffen die Verkaufssender, den die Kaufhäuser nicht treffen? Was ist das Geheimnis der Shopping-Sender? Wellnessexpertin Christine Kaufmann, die ihre Kosmetiklinie bei HSE24 mit alterslosem Lächeln präsentiert, alleine kann es ja nicht sein.

Der Seismograf für den Erfolg liegt im Untergeschoss der HSE24-Zentrale im bayerischen Ismaning, am Stadtrand von München. In der Regie von Studio 2 hüpfen auf einem kleinen Bildschirm blaue Balken rauf und runter, zeigen an, wie viele Leute wann für das gerade beworbene Produkt anrufen, es bestellen, den Umsatz steigern. „Der Producer der Sendung sieht an seinen Monitoren unmittelbar, wie das Produkt beim Kunden ankommt“, sagt Alexandra Brune. Die Pressesprecherin des Homeshopping-Kanals deutet auf die zappelnde Statistik auf dem Bildschirm: „Mit diesem Wissen entscheidet er, wie lange ein Produkt und wie oft es in der Sendung gezeigt wird.“ Es gibt den Spruch, dass jedes Publikum das Programm bekommt, das es verdient. Nirgends trifft das so zu wie bei HSE24.

„Unmittelbar überprüfen zu können, ob ein Programm funktioniert oder nicht, das ist der große Trumpf der Shopping-Sender“, sagt Mathias Birkel von der Berliner Unternehmensberatung „Goldmedia“. Fünf Jahre beobachtet der Analyst nun schon den Markt und weiß mittlerweile genau, was funktioniert – der Verkäufer als Freund. „Die Moderatoren streuen kleine Anekdoten in ihre Sendungen ein, sprechen die Zuschauer persönlich an und lassen sie an ihren Gefühlen teilhaben“, sagt Birkel. So entsteht der Homeshopper ihres Vertrauens. Eine Geschichte von der Brustpartie der eigenen Mutter lässt die blauen Umsatz-Balken wahrscheinlich beben. Interne Erhebungen über solche Geschichten, versichert Alexandra Brune, gebe es gar nicht. Es liege in der Hand des Moderatoren, wie er seine persönliche Note in die Sendung einbringe.

In Studio 2 wird umgebaut. Die kurze Pause, in der Produkttrailer über den Bildschirm laufen, wird von den Dekorateuren genutzt, um die nächste Creme reinzutragen, das Model darf für wenige Sekunden sein Grinsen ablegen. Beate Johnen, die mit der Creme, erblickt Pressechefin Brune in der Ecke des Studios: „Danke für den Bericht in ,Bild der Frau’“, ruft Johnen ihr zu. Sie meint eine Besprechung ihrer Kosmetikreihe, die es in die Wochenzeitschrift mit fünf Millionen Lesern geschafft hat. Die perfekte Werbung. „Bild der Frau“ sei die Zeitschrift überhaupt für die HSE24-Zielgruppe, sagt Brune. Frauen über 50. Mehr zur Zielgruppe ist nicht zu erfahren. Um den Kundenstamm der Verkaufssender ranken sich Mythen. Klare Aussagen gibt es von den Sendern nicht. Man sei gerade dabei zu erforschen, welche Teleshopping-Typen es gebe, sagt Alexandra Brune. Nach 15 Jahren auf Sendung.

„Wir machen Fernsehen für die Mitte Deutschlands“, sagt die Pressechefin. Was sich anhört wie die Kanzlerin auf Wahlkampftour, ist, bei genauerem Hinsehen, die Formel des Erfolgs. HSE24 macht Fernsehen für die Mitte, für Jedermann, für die deutsche Durchschnittlichkeit. Die Make-Up-Models haben sympathische Falten, Stützstrümpfe werden von Frauen vorgeführt die, nun ja, Stützstrümpfe benötigen, und die perfekte Kundin ist wohl „eine engagierte, warmherzige, zuverlässige, zupackende und vor allem wahrhaftige Frau aus dem Leben“. So beschreibt zumindest die „Bild der Frau“ ihre Zielgruppe.

Deutsches Teleshopping hat eine wahrhafte Buckeltour hinter sich. Vor wenigen Jahren stürzte die Branche in eine Imagekrise, nachdem eine Gesichtscreme von Uschi Glas von der Stiftung Warentest als „mangelhaft“ bewertet wurde. Der Skandal war Wasser auf die Mühlen der Kritiker, die schon beim Sendestart des ersten 24-Stunden-Kanals vor 15 Jahren den „Untergang der westlichen Welt“ proklamierten.

Richard Reitzner kann sich gut an diese Zeit erinnern. Der jetzige Geschäftsführer von HSE24 ist seit dem Sendestart im Oktober 1995 dabei. Der gelernte Diplomkaufmann war Marketingchef, als Teleshopping vor allem eins war: schmuddelig. „Ich denke, wir haben in den vergangenen Jahren bewiesen, dass Teleshopping alles andere als das ist“, sagt Reitzner. Service und Sortiment sind für den, den sie intern „Mr. Teleshopping“ nennen, das stärkste Argument für den Erfolg. 2009 erhielt HSE24 die Auszeichnung als „Deutschlands kundenorientiertester Dienstleister“, der Tüv bescheinigte dem Kanal einen „sehr guten“ Service. Uschi Glas ist Vergangenheit.

Und sowieso will Richard Reitzner heute viel lieber über die Zukunft reden. Der 45-Jährige kann den Sprung ins digitale Fernsehen kaum erwarten. In Reitzners Büro hängen untereinander vier Fernseher, auf dem oberen läuft HSE24, darunter der Spartenkanal HSE24 extra, dann Hauptkonkurrent QVC – und ganz unten: die Zukunft. Britisches Verkaufsfernsehen. „Sehen Sie, in England sind sie viel weiter: Da läuft alles über die Digitalkanäle und bestellt wird mit der Fernbedienung“, sagt Reitzner. „Wenn mir diese Creme gefällt … ein Knopfdruck, und sie gehört mir.“ Seit zehn Jahren warte er auf diesen Knopf nun schon, sagt „Mr. Teleshopping“. Kleine Barrieren bedeuten große Gewinne.

Es klingt wieder ein bisschen nach dem „Untergang der westlichen Welt“. Die blauen Balken werden beben.

Tim Klimeš

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