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Einwanderung aus argentinischer Sicht: „Deutschland handelt absolut richtig“

Überleben mit Emigranten: Interview mit den Chefs des „Argentinischen Tageblatts“. Eine deutschsprachige Zeitung, der die Assimilation der Einwanderer zu schaffen macht

Herr Alemann, wenn wir vom „Argentinischen Tageblatt“ reden, reden wir dann von einer deutschsprachigen, von einer deutschen Zeitung, die in Argentinien erscheint oder von einer argentinischen Zeitung, die auf Deutsch erscheint?

ROBERTO ALEMANN: Wir sind eine argentinische Zeitung, die in deutscher Sprache erscheint.

Für welches Publikum ist das „Tageblatt“ gemacht?

JUAN ALEMANN: Deutsche, Österreicher, Schweizer und deren Nachkommen. Vor einigen Jahren haben wir auch eine Internet-Ausgabe gestartet. Das interessiert ein Publikum in Deutschland, vor allem ist es die argentinische Wirtschaft, die interessiert. Es gibt sehr viele deutsche Firmen mit großen Niederlassungen in Argentinien. Das „Argentinische Tageblatt“ ist das Schaufenster Argentiniens in Deutschland. In deutschen Medien existiert Argentinien praktisch gar nicht, von Wahlen vielleicht mal abgesehen.

Wie hoch ist denn die Auflage?

JUAN ALEMANN: Die verkaufte Auflage ist sehr gering, vielleicht 5000 Exemplare. Wir haben aber, und das ist unsere eigentliche Währung, einen sehr großen Leserkreis, sprich Leser pro Ausgabe. Wir sind, übrigens seit 1981,eine Wochenzeitung, die liest die Familie, die liest der Nachbar, sie wird in den deutschen Clubs gelesen. Dazu kommen an die tausend Online-Abonnenten. Wir können sehr knapp von unseren Einnahmen leben.

Zu viel zum Sterben, zu wenig zum Leben?

ROBERTO ALEMANN: Früher hatten wir eine große Gemeinschaft, entsprechend war die Auflage. Wir waren ein Verlagshaus mit 300 Mitarbeitern, mit eigener Druckerei. Heute beschäftigen wir 15 Menschen in Verlag und Redaktion. Wir haben von den verschiedenen Einwanderungswellen gelebt und profitiert. Im 19. Jahrhundert, nach dem Ersten Weltkrieg, als in Deutschland die Hyperinflation regierte, vor dem Zweiten Weltkrieg kamen Emigranten, die eine sichere Heimat vor den Nationalsozialisten suchten, nach dem Krieg Menschen, die eine bessere Zukunft suchten, und, ja, Nazis.

Das Potenzial an Lesern schrumpft.

JUAN ALEMANN: Schauen Sie, es gibt eine große Anzahl hervorragender deutscher Schulen in Argentinien, in Buenos Aires. Dort wird heute auf Spanisch unterrichtet und Deutsch wird gelernt. Von Deutsch als Muttersprache zu Deutsch als Fremdsprache. Entsprechend ist der Kreis der Deutschsprachigen geschrumpft. Die Assimilation ist sehr groß.

Welche Bindungen gibt es dann noch?

JUAN ALEMANN: Die Emigranten sind gestorben, das ist vorbei. Von den Kindern und Enkelkindern bewegen sich noch einige in der deutschen Kultur. Es hat sich alles sehr verkleinert – außer den Schulen. Sie gelten als Qualitätsschulen. Die Kinder werden nicht wegen der deutschen Sprache, sondern trotz der deutschen Sprache geschickt.

Wenn Sie jede Woche ihr „Argentinisches Tageblatt" machen, was sollen Ihre Leser erfahren?

JUAN ALEMANN: Alles über Deutschland, über Argentinien, über die Welt. Wir sind für den deutschsprachigen Argentinier immer noch ein wesentlicher Orientierungsfaktor. Und, ganz wichtig: Wir haben einen großen Zeitungsteil, der sich nur den Veranstaltungen deutscher Institutionen wie den Sportclubs oder den Religionsgemeinschaften widmet. Wir sind ein Bindeglied für die deutsche Gemeinschaft.

Wie geht es den Zeitungen in Argentinien?

JUAN ALEMANN: Zwischen 2000 und 2015 hat sich die verkaufte Auflage der Zeitschriften und Zeitungen halbiert. Die größte Zeitung, „Clarin“, hat eine Tagesauflage von 200 000 Exemplaren, am Wochenende sind es deutlich mehr. Das zweitgrößte Blatt, „La Naccion“, hat eine 100 000er-Auflage. Das sind privat geführte Verlage. Daneben gibt es noch Zeitungen wie den „Buenos Aires Herald“, die staatlich gefördert werden.

Folgen die subventionierten Zeitungen der Regierung?

ROBERTO ALEMANN: Der Regierung von Noch-Präsidentin Christina Kirchner. Diese Subventionspolitik haben die Kirchners, also die Präsidenten Nestor und Christiane eingeführt.

Fragwürdig?

JUAN ALEMANN: Sehr fragwürdig. Schauen Sie, 80 Prozent, mit denen die Kirchner-Regierungen in der Presse für sich werben, gehen an die geförderten Zeitungen, die nicht gelesen werden, und zu 20 Prozent an die Presse, die gelesen wird. Wir haben früher auch etwas bekommen, heute gibt es nichts mehr.

Wann war das „Tageblatt“ in seiner Geschichte am wichtigsten, wann war die Auflage am höchsten?

ROBERTO ALEMANN: Den größten Aufschwung hat unsere Zeitung in den 30er Jahren erlebt, als Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland kamen. In diesen Jahren war das „Tageblatt“ für diese Menschen auch ein moralischer Rückhalt. Unser Blatt hat immer die Hoffnung vermittelt, dass der Krieg zu Ende geht und Hitler besiegt wird. Wir haben immer eindeutig und zuweilen mit zu viel Optimismus Stellung bezogen, wurden dafür von lokalen Nazigruppen angegriffen, bekamen Bomben ins Haus geworfen. Es war aber ungemein wichtig, dass wir die Menschen, die ja ihre Heimat verloren haben, unterstützt haben.

Die Einwanderung gibt es nicht mehr?

JUAN ALEMANN: Nein, jetzt kommen Menschen aus anderen Ländern Südamerikas nach Argentinien – Paraguay, Bolivien, Peru, Chile. Es existieren ja keine Sprachbarrieren. Es kommen in der Regel arme Menschen, die auf ein besseres Leben hoffen oder darauf, dass sie ihren Familien Geld schicken können. Aus der europäischen Einwanderung ist eine südamerikanische geworden. Die Einwanderung ist nicht quotiert. Wer kommt, der kommt. Auch die Drogenhändler.

Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung in Deutschland? Ende des Jahres werden wohl eine Million Flüchtlinge gekommen sein.

JUAN ALEMANN: Wer, wenn nicht die Flüchtlinge, soll die Pensionen und Renten bezahlen – bei dem Bevölkerungsschwund, der Deutschland auszeichnet?

Deutschland handelt richtig?

JUAN ALEMANN: Absolut. Deutschland bemüht sich intensiv um die kulturelle Einwanderung der Flüchtlinge. Das Prinzip, wenn es klappen soll, muss ja sein: Anpassung, Assimilation. Deutschland hat die Mittel, die Möglichkeiten.

Was bringt die Zukunft?

ROBERTO ALEMANN: Argentinien und das „Argentinische Tageblatt“ hängen zusammen. Geht es dem Land schlecht, geht es der Zeitung schlecht – und umgekehrt. Unsere Zeitung wird es auch geben, wenn es uns beide nicht mehr gibt. Die Frage ist nur: Wer macht weiter? Aus unseren Familien will keiner weitermachen.

Nachfolger von außerhalb?

ROBERTO ALEMANN: Wir suchen niemanden, weil wir nichts bieten können.

Das Interview führte Joachim Huber.

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