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Ende einer Zeitungslegende: Das letzte Blatt der "News of the World"

Die britische Boulevardzeitung „News of the World“ ist seit Sonntag Geschichte. Nach einem Abhör- und Bestechungsskandal wurde sie eingestellt. Wie geht es in der Affäre weiter?

Mit einer Sonderbeilage mit Exklusivstorys aus 168 Jahren, einem Gutschein für einen Haartrockner in der dünnen Hochglanzbeilage und der dicken Titelschlagzeile „Thank you and Goodbye“ lief am Sonntag „die beste Zeitung der Welt“ zum letzten Mal von den Druckpressen. Das Lob stammte von der Zeitung selbst. Die Redakteure der „News of the World“ (NOTW) hatten es als Schlagzeile einer für sich selbst gebastelten Souvenir-Titelseite gewählt. Aber viele andere Journalisten und Zeitungen stimmten in die Würdigung einer der großen britischen Zeitungen ein.

Wie erlebten die Mitarbeiter der Zeitung den letzten Arbeitstag?

Stolz und wütend, in einer Stimmung, die halb Party, halb Leichenbegängnis war, hatten über 200 Mitarbeiter an der letzten Ausgabe der „News of the World“ gearbeitet, bis zuletzt die auflagenstärkste englische Sonntagszeitung und die am besten verkaufte englischsprachige Zeitung der Welt. Immer wieder betonten die Journalisten, sie hätten nichts mit dem Hacker- und Bestechungsskandal und den illegalen Methoden der Zeitung zu tun, die Jahre zurücklägen. Aber auch Polizisten waren in den Redaktionsräumen und beschlagnahmten Computer.

Vor dem Verlagszentrum der Rupert- Murdoch-Mediengruppe News International hatten sich Dutzende Kamerateams und Hunderte Schaulustige versammelt. Freunde und Angehörige jubelten den Redakteuren in den Glasbüros zu. Dann kam die gesamte Redaktion gemeinsam vor die Tür und Chefredakteur Colin Myler hob die letzte Titelseite für die Kameras hoch.

„Wir sind nicht, wo wir sein wollen und nicht, wo wir zu sein verdienen. Dies ist unser letzter Dank an 7,5 Millionen Leser.“ Dann wandte er sich zu den Redakteuren: „Und an Euch, die Mitarbeiter. Und jetzt gehen wir in der besten Tradition der Fleet Street ins Pub.“ Normalerweise werden Redakteure, die eine Redaktion verlassen, durch Pultklopfen aus englischen Zeitungsredaktionen verabschiedet. Bei der „News of the World“ war es Myler ganz allein, der das „banging out“ für seine Mitarbeiter besorgte.

Wie sah die letzte Ausgabe aus?

Fünf statt wie normal 2,7 Millionen Exemplare wurden von der letzten Zeitung gedruckt. Zeitungsverkäufer hatten schon vor zwei Tagen die ersten Vorbestellungen bekommen. Anzeigen gab es nur von wohltätigen Einrichtungen, die auch den Verkaufserlös bekommen: Es war ein schnell um sich greifender Anzeigenboykott, der die Zeitung zusätzlich in die Knie zwang. Werbeexperten hatten gewarnt, der Name und die „Marke“ seien durch den Skandal unwiderruflich zerstört. Ziel der Zeitung, so heißt es im Blatt, sei von Anfang an gewesen, die bisherige Spaltung eines „Journalismus für die Reichen und für die Armen“ zu überwinden und für das ganze Volk zu sprechen.

Aber diese Mission hatte die NOTW selbst mit ihren Hackangriffen gegen unschuldige Bürger verraten, deren persönliche Tragödien die Zeitung ausspionierte. „Ganz einfach, wir sind vom Weg abgekommen“, gibt das Blatt in seinem letzten Leitartikel zu und entschuldigt sich bei den Lesern. Lauschangriffe und Spionage gegen reiche Fußballer und Politiker, die Moral predigten und sich nicht daran hielten, das war eine Sache. Eine andere die Hackangriffe auf die Handy-Mailbox der entführten und ermordeten 13-jährigen Milly Dowler und trauernde Angehörige von gefallenen Soldaten, Mordopfern und Angehörigen von bei Terroranschlägen ums Leben gekommenen Londonern. Als dies in der vergangenen Woche bekannt wurde, war das Schicksal der Zeitung besiegelt.

Welche Konsequenzen zieht die Politik in dieser Affäre?

Am heutigen Montag werden Angehörige Milly Dowlers und andere Opfer der Lauschattacken von NOTW von den Führern der drei großen Parteien empfangen, auch von Premier David Cameron. Obwohl der Premier in dieser Affäre selbst heftig in der Kritik steht, versucht er sich auf diese Weise in die Allianz einzureihen, die sich nun gegen den britischen Boulevardjournalismus in seiner extremsten Form zur Wehr setzt. Das Ziel ist, die Regulierung der britischen Presse zu verschärfen – möglicherweise dadurch, dass die bisherige „freiwillige Selbstregulierung“ durch eine gesetzlich definierte Aufsichtsbehörde ersetzt wird. Zeitungen, die eben noch, angeführt vom „Guardian“, die Bloßstellung der „News of the World“ und ihrer Praktiken betrieben, bilden nun eine Kampfgemeinschaft gegen eine, wie sie warnen, Gängelung der Pressefreiheit.

Welche Auswirkungen hat die Affäre

auf Murdochs Medienimperium?

Am Sonntag flog News-International- Chef Rupert Murdoch nach London, um von seinem Reich zu retten, was zu retten ist. Medienexperten mutmaßen allerdings, dass die Einstellung der NOTW angesichts der Stärke von Murdochs Medienimperium kein großes Opfer ist. Vermutet wird, dass er mit einer Erweiterung der Erscheinungsweise der „Sun“ auf den Sonntag die jetzt verlorenen Leser bald wieder gewinnen könnte.

Aber für Murdoch war die Einstellung der „News of the World“ auch ein brutaler und kühner Schachzug, um seine Vollübernahme des lukrativen Bezahlsenders BSkyB zu sichern. Doch der Verlagsriese hat nun Gegenwind wie noch nie. Vor allem Labourchef Ed Miliband hat einen Feldzug gegen das Murdoch-Imperium und seinen oft einschüchternden Einfluss auf die britische Politik begonnen. „Das Erste, was Murdoch tun sollte, wenn er aus dem Flugzeug steigt, ist, den Übernahmeantrag für BSkyB zurückzuziehen“, sagte Miliband in der BBC. Eine solche Ausweitung von Murdochs Einfluss sei für die Öffentlichkeit unter diesen Umständen „ganz einfach nicht akzeptabel“. Miliband will am Mittwoch im Unterhaus eine Abstimmung über Murdochs Pläne erzwingen. Damit soll die Übernahme zumindest so lange aufgeschoben werden, bis alle Untersuchungen der Hackaffäre abgeschlossen sind – das könnte Jahre dauern.

Wie gefährlich sind die Vorgänge für

Premier David Cameron?

Cameron hat immerhin begonnen, sich – wenn auch vorsichtig – von Murdoch zu distanzieren. Er ordnete zwei richterliche Untersuchungen an – eine über die mangelhafte erste Polizeiuntersuchung des Skandals, nachdem 2006 erste Hinweise auf illegale Lauschattacken bekannt wurden, eine zweite über die Ethik der britischen Medien überhaupt. Cameron ist durch seine Nähe zur Führungsspitze der Murdoch-Gruppe in die Defensive geraten. Am schwersten wiegt, dass er den früheren Chefredakteur der NOTW, Andy Coulson, der wegen der Hackaffäre zurückgetreten war, später als Kommunikationschef einstellte. Coulson beteuerte immer seine Unschuld. Zahlreiche Politiker, insbesondere beim Koalitionspartner, den Liberaldemokraten, sagen jetzt, sie hätten Cameron vor der Einstellung Coulsons gewarnt.

Aber die Untersuchung der Affäre durch die Polizei nimmt nun erst richtig Fahrt auf. Laut der „Sunday Times“, den Nachbarn der NOTW im Murdoch-Zeitungszentrum, müssen 12 Personen mit ihrer Verhaftung rechnen – darunter Privatdetektive, denen auch andere Zeitungen hohe Honorare für Ermittlungen überweisen, Polizisten, die der Zeitung Informationen verkauften und ehemalige Redakteure der NOTW, die als Eingeweihte einen „Sicherheitsring“ um den Einsatz der illegalen Methoden legten.

Viel wird davon abhängen, wie viel die Chefs gewusst haben, nicht nur Coulson, sondern auch seine Vorgängerin als Chefredakteurin der NOTW, Rebekah Brooks, die spätere Chefredakteurin der „Sun“ und seit 2009 als Chief Executiv Officer (CEO) von News International für alle vier britischen Murdoch-Zeitungen zuständig. Sie habe nichts von den Hackattacken auf Milly Dowler gewusst, schrieb Brooks vergangene Woche an einen Unterhausausschuss. Aber etwas weiß sie bestimmt. „Schlimmere Enthüllungen warten auf uns. Dann werdet ihr verstehen, warum wir die NOTW schließen mussten“, sagte sie Mitarbeitern der NOTW vergangene Woche.

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