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Engagement: Monsieur Felix’ Hackentrick

Für die Spendengala „Ein Herz für Kinder“ besuchte Schalkes Trainer Magath das Erdbebengebiet in Haiti - am Samstag zu sehen im ZDF

Leid kann ziemlich von einem Menschen Besitz ergreifen und ihn verunsichern. So mag es wohl an diesem Tag auch Schalke-Trainer Felix Magath ergehen. Der Meistermacher aus der Fußball-Bundesliga mit Problemen in der aktuellen Saison steht in der schwülwarmen Hitze von Haitis zerstörter Hauptstadt Port-au-Prince. Er sucht kein neues Fußballtalent, diesmal geht es um die Opfer des Bebens vom 12. Januar, bei dem rund 300 000 Menschen umkamen. Mehr als eine Million Haitianer wurden obdachlos, gut 20 000 leben seitdem hier in Sineas, einer neuen „Stadt“ aus Zelten. Mittendrin hat die Kindernothilfe mit ihrer Partnerorganisation Amurt Platz für ihr weltweit größtes Kinderzentrum gegen alle Begehrlichkeiten von Erwachsenen verteidigt. 1800 Mädchen und Jungen gehen hier in die Schule, machen Musik, lernen Karate – und spielen Fußball.

Felix Magath, selbst Vater von sechs Kindern, und sein FC Schalke 04 hatten gleich im Januar Hilfe versprochen, inklusive Freundschaftsspiel mit der Nationalmannschaft des Karibikstaats in Haiti. Das wird noch etwas dauern. Zu viele Obdachlose brauchten die Stadien als Platz zum Leben. Aber vergessen werden soll das nicht, sagen sie auf Schalke. Also ist der als harter Hund geltende Trainer für die ZDF-Show „Ein Herz für Kinder“ hingefahren, um vor Ort direkt für weitere Spenden zu werben. „Ich bin doch praktisch nur ein paar Kilometer weiter zu Hause“, sagt Magath. Sein Vater wohnt in Puerto Rico, den US-Soldaten lernte Magath spät kennen, er wuchs als Einzelkind bei der Muter auf. Seit 1990 besucht der inzwischen 57 Jahre alte Sohn den verlorenen Vater einmal im Jahr.

Seit einer Stunde üben die Kinder in Sineas mit ihren Lehrerinnen auf Deutsch ein „Willkommen – wir lieben Euch“. Monsieur Felix, wie die Kinder ihn nennen, kommt mit Strohhut, in blau-weiß gestreiftem Hemd über beiger Hose, auch die Turnschuhe blau-weiß – ein Schalke-Statement. Der Trainer wirkt seltsam schüchtern in dieser so fremden Umgebung. „Ich hab schon eine Freundin“, lächelt er etwas steif in die Kamera des Spendenteams und zeigt auf eines der Mädchen. Die Mitarbeiter des Kinderzentrums wollen ihren Stargast gern fotografieren, aber das mögen die Vertreter der ZDF-Spendengala nicht.

Nach zehn Minuten ist Magaths Hemd durchnässt, vor einem Zelt stolpert er fast. „Vorsicht, es wär’ doch schad’ um den Haxen“, sagt jemand. „Den brauch’ ich nicht mehr so oft“, erwidert Magath. Dann rückt der Mann, der daheim seine Spieler unerbittlich an ihre Grenzen bringt, zwischen Mädchen in eine Schulbank, bekommt bunte Ketten. Im Hinausgehen sagt Magath: „Ich bin beschämt, dass man hier, wo so viel Not ist, beschenkt wird.“ Amurt-Koordinator Peter Meadows ist beeindruckt, wie „freundlich und zurückhaltend“ Magath auftritt.

Zwischen den Zelten haben sie ein Miniatur-Fußballfeld abgezirkelt, mit gemahlenem Schutt Linien für einen kleinen Strafraum gezogen, kleine, weiße Tore zusammengesteckt. Lautstark und Fahnen schwenkend feuern die Fans ihre Spieler an. Zum Anstoß hat Magath den Hut abgelegt, aber die Kette mit den Holzperlen wie einen Talisman noch in der Hand. Er bleibt als Verteidiger in der eigenen Hälfte. Einen Hackentrick zeigt er, das Hemd ist längst komplett nass. Dann fällt ein Tor. Und das Tor um. Die Zuschauer stürmen das Feld – dann wagt es einer der Jungs: Er wirft sich Magath in die Arme. „Unglaublich, diese Lebensfreude, diese Begeisterung“, sagt Magath, als er nach dem Ausgleich zu Wasser und Desinfektionstuch greift. „Eigentlich kann man so was überhaupt nicht vergleichen, aber die Fans, die noch am nächsten rankommen, sind die auf Schalke.“

Draußen im Zeltlager, wo Zigtausende notdürftig versuchen, ihr Überleben zu organisieren, sitzen Kleinhändler am Wegesrand, ein Friseur, eine Reinigung. „Man hat ja schon eine Vorstellung von dem Leid entwickelt, aber wenn man es dann sieht, ist es bedrückend, mit welchen Bedingungen die Leute hier zurechtkommen müssen. Das ist anders als die Fernsehbilder.“ Am meisten bewege ihn die Enge, in der die Menschen miteinander auskommen müssen. „So was kann sich bei uns niemand vorstellen“, sagt Magath leise. „Ich bin ja jemand, der etwas älter ist und die Nachkriegszeiten erlebt hat. Von daher habe ich früher auch in Verhältnissen gelebt, die heute gar niemand mehr kennt.“ Er lässt seinen Blick über die Planen schweifen. „Wenn in so einem Zelt acht Leute zusammen wohnen, und wir uns vorstellen, das ist hier überall so.“

Felix Magath hat sich für seinen Besuch in Haiti knapp zwei Tage Zeit genommen. Auf dem Rücksitz eines Daihatsu Terios erreicht er Carrefour, anderthalb Autostunden vom Zentrum der Hauptstadt. In der Klinik des Roten Kreuzes im Fußballstadion trifft er den Assistenztrainer der haitianischen Nationalmannschaft, Jean Roland. Der informiert vor lauter Freude über den Überraschungsgast das Radio. Magath nimmt die Brille ab, wischt sich den Schweiß von der Stirn. Es warten noch weitere Herausforderungen, oben auf dem Berg von Carrefour, dort, wo bis zum 12. Januar die Schule St. Francois de Sales des Ordens der Kleinen Schwestern gestanden hat. Als die Erde bebte, begrub sie 130 Mädchen und Jungen unter Trümmern.

Nur einige Monate später haben viele Helfer mit den nun wieder resoluten Nonnen um die Schwestern Giselle und Lops die Trümmer weggeschafft, die Leichen gab der Schutt nicht mehr frei. Inzwischen gehen wieder rund tausend Kinder in leuchtend blauen Uniformen in Zelten zur Schule, in der Pause lutschen sie buntes Eis aus Plastiktütchen. Chilenische Architekten haben eine bebensichere Schule entworfen, Anfang 2011 soll sie fertig sein. Alvaro Arriagada erklärt Felix Magath und Schwester Giselle den Plan auf dem gespenstisch leeren Bauplatz. Die Hälfte der 100 000 Euro, die Schalke für Haiti versprochen hat, gehen hierher.

Das Fernsehteam möchte Magath am Bauplatz interviewen. Ist noch ein frisches Hemd übrig? Hinter dem Auto zieht sich Monsieur Felix rasch um. Doch die Geräuschkulisse passt nicht so recht zu den technischen Anforderungen an ein Interview, das später vielleicht geschnitten wird. Die Kinder sollen ruhig sein, rufen die Mitarbeiter der Produktionsfirma herüber. Die Lehrerinnen nehmen es gelassen. Sie setzen kurzerhand einen vorgezogenen Mittagsschlaf auf den Stundenplan.

Die Gala „Ein Herz für Kinder“ läuft am Samstag, 20 Uhr 15, im ZDF.

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