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Nähe zur Macht: Günter Schabowski vertrat erst als Chefredakteur des „Neuen Deutschland“, später als Erster Sekretär der SED in Berlin die Linie der Partei. Foto:

© picture-alliance / dpa

Erforscht: Public Relations für die DDR

Warum wollten Menschen in Ostdeutschland Journalist werden? Eine Studie gibt Antworten.

Was waren das für Menschen, die in der DDR in den Journalismus gegangen sind? Wie kam es zu dieser Berufswahl und wie sind sie mit der Gängelung durch die SED umgegangen – das sind die zentralen Fragen einer aktuellen Studie der Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen und Anke Fiedler von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Forscher befragten über 30 ehemalige und noch aktive Journalisten nach ihren Erfahrungen.

Abenteuerlust, Aufstiegswille und der Wunsch, etwas von der Welt zu sehen – dies scheinen prinzipiell einleuchtende Motive, auch in der DDR in die Medien zu gehen. Bei einer großen Zahl der Befragten spielten derlei Überlegungen indes keine wesentliche Rolle: Sie gelangten eher zufällig ins Metier. „Pressearbeit war eine Aufgabe von vielen. Überall wurden neue und auch junge Leute gebraucht“, gab etwa Eberhard Heinrich, Vorsitzender des DDR-Journalistenverbandes zu Protokoll. Arnolf Kriener, zuletzt Mitglied der Agitationskommission beim ZK der SED, äußert gar, so „ganz freiwillig“ sei sein Weg zur „Schweriner Landeszeitung“ nicht gewesen; man habe ihn halt geschickt. Und auch Werner Fahlenkamp, bis 1990 stellvertretender Chefredakteur des liberaldemokratischen „Morgen“, folgte angeblich eher den Wünschen der Liberaldemokratischen Parteispitze als den eigenen Neigungen: Er wäre lieber Lehrer geblieben.

Auch Günter Schabowski bildet in seinem eher vage geäußerten Interesse am Ausland und an internationaler Resonanz keine Ausnahme: Er habe sicher „irgendwelche Idealvorstellungen“ besessen, genauer erinnern könne er sich indes nicht. Aber der ehemalige Chefredakteur des „Neuen Deutschland“ (ND) gibt zu, dass er aus heutiger Perspektive vieles als reglementierend einordnen könne, was er damals als völlig normal betrachtet habe – „weil man in der Illusion lebte, man sei unabhängig“. Dennoch: Er sei gerne Journalist gewesen und als solcher stolz darauf, beim ND mit den besten seines Fachs zusammengearbeitet zu haben. Seiner journalistischen Kompetenz sei es auch zu verdanken, dass Erich Honecker ihn kaum kontrolliert habe.

Kontrolliert wurden also nur die anderen, weniger fähigen Kollegen? Scheinbar ja, denn Freiräume, so der Tenor der Gespräche, musste man sich erkämpfen und nur derjenige konnte sie beanspruchen, der sein Fach besonders gut beherrschte. Andere kokettieren damit, dass sie über besonders gute Beziehungen in den Apparat verfügten, in unpolitische Ressorts auswichen oder als Publikumslieblinge – wie Heinz-Florian Oertel und Angelika Unterlauf – größere Freiheiten besaßen.

Kritische Distanz war nicht gefragt. Gerade die vielfach unreflektierte Nähe zur Macht ließ vielen Journalisten den Wechsel in den staatlichen Machtapparat völlig unproblematisch erscheinen. Andere sahen zwar, dass der Zugang zu Informationen, die weiterzuverbreiten verboten war, aufklärerischem Denken zuwiderlief – dem Bewusstsein persönlicher Bedeutung aber schmeichelte er dennoch. So gelangen Meyen und Fiedler auch zu dem Schluss, dass viele der Befragten weniger Journalismus betrieben hätten, als eine Art „PR für das Unternehmen DDR“. Oder, wie Hans-Dieter Schütt, ehemaliger Chefredakteur des FDJ-Organs „Junge Welt“, es formuliert: Man habe vor allem Sozialisten erziehen wollen. Viele dachten wie Fahlenkamp an die Außendarstellung der DDR: „Wenn es Probleme gab, hatten wir immer im Hinterkopf, welche Wirkung das wohl in der Bundesrepublik haben kann.“ So verschwieg man manches, was an die Öffentlichkeit gehört hätte aus echter Überzeugung, ohne dass eine ausdrückliche Weisung erfolgen musste.

Überraschend ist vor allem die Einmütigkeit der Befragten hinsichtlich der Abnahme der Spielräume. Unisono betonen sie, dass es in den 50er und 60er Jahren noch viele Freiheiten gegeben habe, die in den letzten Jahren der DDR völlig undenkbar gewesen seien. Dabei ist bei den Angehörigen der Aufbaugeneration noch heute die Begeisterung für das Projekt eines antifaschistischen Deutschland ebenso hörbar wie die Nachsicht mit dessen scheinbar anfänglichen Problemen. Freiheit wurde unter solchen Bedingungen neu definiert, wie der langjährige Moskau-Korrespondent der „Berliner Zeitung“ Manfred Quiring sagt: als „Fähigkeit, nicht an der Kette zu zerren“. Die in der Studie befragten Journalisten fügten sich dieser Erkenntnis weitgehend. Was Wunder, hatten sie doch fast ausnahmslos an der Kaderschmiede „Rotes Kloster“ – der journalistischen Sektion der Karl-Marx-Universität Leipzig – ihr Handwerk gelernt.

Abenteuerlust? Nach der Lektüre der Interviews bleibt eher der Eindruck, dass es sich für Journalisten in der DDR besser ohne große Träume leben ließ.

Michael Meyen/Anke Fiedler: Die Grenze im Kopf. Journalisten in der DDR, Panama Verlag Berlin 2011, 400 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 24,90 Euro.

Elke Kimmel

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