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Medien: „Ermüdendes Programm“

Lutz Hachmeister über die massive Kritik des ARD-Chefredakteurs an den Dokumentationen

Der ARD-Chefredakteur von der Tann beschwerte sich in einem Brief über den Umgang des Ersten Programms mit Dokumentationen. Ist seine Kritik berechtigt?

Im Prinzip sehr berechtigt. Die ARD hat nur noch einen einzigen Platz für 45-minütige Dokumentationen, und das ist der Montag um 21 Uhr. Und auf dem Platz muss ein Thema schon sehr populär oder schrill sein, um gegen den ZDF-Fernsehfilm anzukommen, der seit Jahren sehr erfolgreich parallel läuft.

Montags zeigt die ARD vor allem boulevardeske Mehrteiler wie „Die größten Kriminalfälle“ oder „Die 50er Jahre“. Von der Tann stört, dass es so viele Reihen sind.

Ein erstaunlicher Lernprozess. Jahrelang wurden Programme nur noch als „Formate“ ernst genommen. Nun will man wieder herausragende Einzelstücke haben. Man sieht, dass es da an strategischer Weitsicht mangelt.

Wen meinen Sie mit „man“: von der Tann? Der ist als Chefredakteur doch auch für die Dokumentationen verantwortlich.

Zusammen mit Günter Struve, dem Programmchef. Wir haben eine neue Mode in der ARD: Immer wenn Leute aufhören, schreiben sie Abrechnungen mit ihrem System. Gerade hat ja auch der ehemalige ARD-Auslandskorrespondent Jürgen Bertram ein kritisches Buch geschrieben. Ich würde mir mehr ARD-Mitarbeiter wünschen, die sich während ihrer aktiven Arbeitszeit engagieren und für die Vielfalt des dokumentarischen Fernsehens einsetzen.

Ist die ARD bei den Dokumentationen in der 13-jährigen Ära von der Tann besser oder schwächer geworden?

Instabiler. Sehr renommierte Reihen wie „Unter deutschen Dächern“ gibt es praktisch nicht mehr. Oder nehmen Sie das Schicksal der „Story“. Der WDR hat es geschafft, eine vielfach preisgekrönte Reihe aufzubauen. Mal kommt sie im Dritten, mal ganz spät. Man findet die Filme überhaupt nicht im Programm.

Solche Reihen finden eben weniger Zuschauerresonanz als beispielsweise Krimiserien – das ist ein Dilemma.

Im Fernsehen sollte man viel stärker in Mischkalkulationen denken, wie es Zeitungen und Buchverlage tun. Wenn Sie in einer Zeitung jeden einzelnen Artikel nach Leserresonanz bewerten würden, dann können Sie keine vernünftige Zeitung mehr machen. Ich bin dafür, dass man im Fernsehen Quoten misst. Aber wenn man keinen Korridor festlegt und andere Faktoren wie öffentliche Aufmerksamkeit, Kritik und Preise einbezieht, wird ein Programm steril und kehrt sich dialektisch gegen das eigene Programmmanagement.

Von der Tann will zunächst eine Definition des Montagssendeplatzes. Klingt sehr technokratisch. Was müsste Ihrer Meinung nach getan werden?

Ganz einfach: Man muss die Autoren pflegen. Außerdem wird in den Sendern viel zu wenig über die Dramaturgie, Kameraarbeit und den Einsatz von Musik diskutiert. Gute Dokumentationen sind so eher Zufallstreffer. Auch über die Themen sollte man mehr nachdenken: Das Fernsehen sollte versuchen, in neue gesellschaftliche Felder hineinzuleuchten. Ich würde zum Beispiel gerne einen Film über Google sehen. Das Erste sollte zwei, drei Reihen mit profilierten Einzelstücken ins Programm nehmen. Darunter verstehe ich Dachmarken für unterschiedlichste Stücke von ungewöhnlicher Intensität. Wenn die Quoten mal nicht stimmen, muss man über Stoffe und Machart diskutieren, aber man muss die Reihe weiterführen. Jedes Industrieunternehmen betreibt eine langfristige Markenpolitik.

Was passiert mit von der Tanns Brief – besinnt sich die ARD, oder verpufft alles wieder?

Für die ARD mit ihren vielen Anstalten ist es besonders schwierig, umzusteuern. Andererseits glaube ich, dass einige Führungskräfte sensibel dafür geworden sind, dass ein nur an der Quote ausgerichtetes Programm ermüdend ist.

Das Interview führte Barbara Nolte.

Lutz Hachmeister

ist Direktor des

Berliner Institutes für Medien- und Kommunikationspolitik und

vielfach ausgezeichneter Dokumentarfilmer („Schleyer“).

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