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Medien: Erst Bilder bringen Spenden

Die Katastrophe in Niger ist ein Lehrstück für die Helfer und die Medien

Als die Fernsehbilder von hungernden Kindern auf verdorrten Feldern um die Welt gingen, war es wieder da, das Interesse der Öffentlichkeit an Niger. Nach Heuschrecken und Dürre plagt eine Hungerkatastrophe das zweitärmste Land der Welt. Rund 3,6 Millionen Westafrikaner leiden an Unterernährung, in Europa und Amerika wusste kaum einer etwas davon. Normalerweise greift dann der so genannte CNN-Effekt – die Katastrophe wird in den Medien so inszeniert, dass Zuschauer emotional betroffen sind und spenden. In diesem Fall war es eher ein BBC-Effekt.

„Wegen des Benefiz-Konzertes ,Live 8’ haben Presseagenturen uns Bilder von Katastrophen aus Afrika geschickt“, sagt Kevin Bakhurst, Redakteur der Hauptnachrichten beim britischen Sender BBC. Danach habe er über Niger im Internet recherchiert und seine Afrika-Korrespondentin gebeten, Kontakt mit dortigen Hilfsorganisationen aufzunehmen. Hilary Anderson fuhr mit ihrem südafrikanischen Reporter-Team nach Niger und berichtete zwei Wochen täglich von dort.

Deutsche Korrespondenten folgten später. „Es gibt hier dieses traditionelle Interesse einfach nicht“, sagt Barbara Wieland, Sprecherin des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Berlin. „In Großbritannien sind sowohl die Medien als auch die akademische Welt und die Gesellschaft insgesamt seit Jahrzehnten mehr an Afrika interessiert.“ Das liegt nach Wielands Ansicht an der kolonialen Vergangenheit, zudem an einer Gesellschaft, die stärker für internationale Themen ansprechbar ist.

Dem widerspricht Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-Aktuell: „Ich denke nicht, dass dies ein deutsches Problem ist. Nachdem wir zunächst Berichte der BBC übernommen hatten, schickten wir sofort unseren Afrika-Korrespondenten Werner Zeppelfeld nach Niger.“ Er sei der erste gewesen, der Bilder aus der Region nach Deutschland gesendet hat.

Zu spät, sagen die Helfer. Schon im April dieses Jahres berichtete zum Beispiel die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ in einer Pressemitteilung von „alarmierenden Zuständen“ in Niger. „Wenn nicht sofort Maßnahmen ergriffen werden, wird sich die Lage zusehends verschlimmern.“ Ende Juni warnte die Organisation erneut, sendete Hilferufe an alle großen Medien, wie Sprecherin Christiane Löll berichtet. Niemand reagierte. Wie „Ärzte ohne Grenzen“ fragen sich jetzt viele, ob sie in Zukunft nicht beharrlicher bei den Anfragen in Redaktionen sein sollten. Aber Zuschauer und Leser haben ein Thema auch schnell satt.

„Durch andauernde mediale Programmierung ist Afrika hier bereits für viele der ,kranke Kontinent’ geworden“, sagt Jo Groebel, Medienwissenschaftler aus Düsseldorf. Neben dieser Abschwächung des Interesses spiele auch die mentale und soziale Entfernung der Medien – und letztlich auch der Nutzer – eine große Rolle: „Ein vergleichbares Ereignis in den USA würde uns ungleich mehr beschäftigen.“ Zudem sei Niger auch kein Urlaubsgebiet, wie die Regionen, die vom Tsunami betroffen waren.

Die Flutwelle trat gar mit vielen anderen Projekten in eine Art medialen Konkurrenzkampf. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) etwa hatte zwar schon im Oktober 2004 ein Spendenkonto eröffnet – und ebenso regelmäßig erste Warnungen über die Situation in Niger an die Medien geschickt. „Aber bis zur vergangenen Woche blieb das Konto leer“, sagt DRK-Sprecher Lübbo Roewer. „Gestern jedoch, nachdem die Medien eine Woche lang berichtet hatten, wurde erstmals die 100 000-Euro-Marke überschritten.“ Die erste Hilfslieferung kann davon jetzt bereits finanziert werden. Andere Organisationen wie Oxfam oder die Deutsche Welthungerhilfe (DWHH) sammeln Spenden eher für allgemeine Projekte. Doch Texte und Zahlen bleiben für Leser und Zuschauer letztlich abstrakt, sagt DWHH-Sprecherin Marion Aberle und ergänzt, es brauche eben die bewegten und bewegenden Bilder.

Aber schon jetzt lassen die Fernsehberichte nach, werden die Artikel in den Tageszeitungen kleiner. Der internationale Terror und der Wahlkampf in Deutschland bestimmen die Nachrichtenlage. „Es mag zynisch klingen“, sagt Medienforscher Groebel, „aber die besten Chancen als Thema hätte Afrika im so genannten Sommerloch gehabt.“

Kevin Bakhurst vom BBC hofft, dass Sender und Helfer in Zukunft einen Weg finden, besser zusammenzuarbeiten. Als die erste Sendung über die Katastrophe gelaufen war, schrieb er Hilary Anderson eine SMS: „I wish we had been there earlier.“ Ihre Antwort war kurz: „Me too.“

Sören Kittel

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