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Medien: Erster Diener des Zuschauers

Späth, Gysi, Eggert und nun Michael Rogowski: Wenn Talkshow-Gäste zu TV-Gastgebern werden

Der Journalismus ist ein freier Beruf. Jeder in Deutschland darf sich Journalist nennen. Gleiches gilt für die journalistische Spielart des Moderators. Auch dies ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Der jüngste Zugang im Aufgabenfeld heißt Michael Rogowski. Rogowski, von 2001 bis Ende 2004 Präsident des Bundesverbands Deutsche Industrie (BDI), lädt vom 10. Juli an beim privaten Nachrichtensender n-tv zu „Rogowski Chefsache!“. Einmal im Monat will er mit Gästen aus Wirtschaft und Politik vor Live-Publikum über die Zukunft des Standorts Deutschland sprechen. Zum Konzept erklärte Rogowski: „Unsere Leitfrage ist: Was ist gut für den Standort Deutschland? Wo kann, wo muss die Politik ansetzen?“ Er wolle „die Zustände nicht schlecht reden, sondern Chancen aufzeigen und mit einer positiven Grundhaltung konstruktiv diskutieren“.

Dem Publikum sind Gesicht und Ansichten von Michael Rogowski nicht unbekannt. Als BDI-Präsident und aktueller BDI-Vize saß er vielen Talkshows. Aber eben als Gast und nicht als Gastgeber. Ein Funktionär, der eine Talkshow leiten soll? Werden da nicht Aufgaben und Kompetenzen in zweifelhafter Weise vermischt? Wer kann es sich ernsthaft vorstellen, dass Michael Sommer, der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, eine Gesprächssendung im deutschen Fernsehen moderiert?

Neu ist die Transformation, der Umstieg und vermeintliche Aufstieg vom Gast zum Gastgeber nicht, und exklusiv dem Privatfernsehen zuzuschreiben ist er auch nicht. Mehrere Beispiele zeigen, wie risikoreich diese Engagements sind. Lothar Späth gehört zu den Eisbrechern. Als affärengeplagter Ministerpräsident von Baden-Württemberg aus dem Amt geschieden, erlebte das „Cleverle“ in Deutschlands Osten seine Wiederauferstehung – als erfolgreicher Jenoptik- Chef. Das brachte ihm so viele Talkshow-Einladungen ein, dass sich bald die Frage einstellte, wann der Mann eigentlich sein Unternehmen leite. Am Sonntag, dem bevorzugten Tag der politisch angehauchten Talkshow jedenfalls nicht. Da schlüpfte Späth rasch auf den Chefsessel seiner eigenen Talkshow: „Späth am Abend“, bei n-tv, in Tonlage und Gestus sedative Gespräche über richtiges Wirtschaften. Trotzdem, hier offenbarte sich der Geburtsfehler, der sich Anfang 2003 wiederholen sollte – bei der Talkshow „Gysi und Späth“ des öffentlich-rechtlichen MDR-Fernsehens. Gysi? Genau, Gregor Gysi war als Späths Counterpart aufgerufen. Gysi war zu jener Zeit gerade mal wieder frei von Berliner Politik und Bürden in der PDS. Schon nach zwei Ausgaben bekannte Lothar Späth im Tagesspiegel-Interview: „Das noch nicht gelöste Problem besteht darin, dass zwei Personen moderieren sollen, aber gleichzeitig ihre grundsätzlich verschiedenen Ansichten erkennbar machen sollen. Man ist Gastgeber und kann sich nicht intensiv auf seine Gäste konzentrieren.“ Gysi sekundierte an gleicher Stelle: „Das sehe ich ähnlich: Als Gast kann man sich eher fallen lassen. Man wartet ab, welche Fragen man bekommt und entscheidet dann selbst, ob man auf die Frage antwortet oder drumherum redet.“ Resümee Späth: „Als Gastgeber muss man das alles im Kopf haben und beachten.“ Nach drei Ausgaben war Schluss.

„Späth am Abend“ hatte sich länger, beinahe vier Jahre im n-tv-Programm gehalten, aber dort hatte der Manager just das eingeübt, was bei „Späth und Gysi“ nicht klappen wollte: sich mehr für die Antworten der Gäste als für die eigenen Frage-Statements zu interessieren. Lothar Späth erkannte in sich selbst den besten Gast. Er dozierte, statt dass er moderierte. Die eigene Person hintanzustellen, war seine Sache nicht. Über den Handlungsreisenden seiner selbst, über Gregor Gysi, sagte Talkshow-Produzent Friedrich Küppersbusch: „Gysi ist ein gutes Beispiel dafür, dass jemand als Moderator gar nicht so gut sein kann, dass er sich selbst als Gast ersetzen könnte.“ Erich Böhme, mit dem „Talk im Turm“ der Großvater aller politischen Gesprächsrunden, bemerkte zu seiner Moderatoren-Rolle, dass es eine gute Sendung sei, wenn er mal 15 Minuten nicht zu Wort kommen müsse.

Ist das machbar, lernbar? Ja, wenn man Journalist ist. Ja, weil es zum Rüstzeug eines journalistischen Moderators gehört. Ja, wenn man das Fragen gelernt hat und das Interesse an den Äußerungen der Gäste, wenn man die Moderatoren- Rolle begriffen hat. Ein Packen Fragen auf der Zunge und die erwartbaren, im besten Falle überraschenden Antworten der Gäste im Hinterkopf. Eine Mischung aus Agieren und Reagieren muss es sein. Vielleicht ist das der Schlüssel, warum Talkmasterinnen mehr als Talkmaster reüssieren. Weil Frauen, so ist das nun mal in den Genen präsent, besser zuhören können und die besseren „Super-Nannys“ sind.

Die erfolgreichsten Kräfte im Gewerbe – Maybrit Illner („Berlin Mitte“), Sabine Christiansen, Sandra Maischberger und Frank Plasberg („Hart aber fair“) – verzichten als Talkmaster auf eigenes politisches Profil und signalisieren durch ihr Auftreten, dass sie sich zwar für Politik interessieren, aber nicht Position im politischen Machtkampf beziehen wollen. Sie sind Journalisten im politischen Feld. Talkshow-Moderator heißt auch, die Publikumsrolle zu übernehmen, der erste Diener und Frager des Zuschauers sein zu wollen. Sonst wird die Veranstaltung zum „Closed Shop“, bei der sich der Zuschauer übergangen fühlt.

Die politischen Menschen für das Fernsehen zu engagieren, das kann schon funktionieren, siehe „Glotz & Geißler“ bei n-tv. Ihre Sendung ist keine Talkshow, sie ist eine weitere Variante von Waldorf & Stadler aus der „Muppet-Show“. Zwei ältere Herren, der eine der CDU zugetan, der andere der SPD, sitzen in der Loge, sind unter sich bei sich, nehmen sich und anderen allerhand Übel.

Zynisch könnte man behaupten: Wer sein angestammtes Feld mehr oder weniger freiwillig verlassen hat, der kann’s immer noch im elektronischen Medium probieren: Lothar Späth, Gregor Gysi, Heinz Eggert („Grüner Salon“/n-tv), Heinz Lummer („Berlin auf den Punkt“/TV.Berlin), Boris Becker („Becker 1:1“ im DSF). Nicht alle fanden nach ruhmreicher oder abgebrochener Karriere ins Leben zurück, aber den Weg in die Talkshow fanden sie allemal.

Immerhin, mit Michael Rogowski wird ein seit langem anhaltender Trend im Genre der politischen und politisch gemeinten Talkshow gebrochen: Machst du eine neue Sendung, dann nimm bitte eine Frau als Moderatorin! Kommt mit Michael Rogowski jetzt die geistig-männliche Wende?

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