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© RTL

''Erwachsen auf Probe'': Droge auf Probe

Der Aufklärungsgedanke, wie ihn RTL beim Big-Baby-TV propagiert, ist nur behauptet. Die Reifeprüfung für Möchtegern-Eltern glänzt als Fernseh-Fake.

Keiner musste Sorge haben, dass ein Baby auf den Boden fällt. Keiner erwarten, dass ein Baby ins Schweigen geschüttelt wird. Keiner muss Angst haben, dass ein Baby verhungert. Willkommen bei „Erwachsen auf Probe“, willkommen bei RTL. Ein Fernsehsender, der kleine Kinder willentlich einer Gefährdung aussetzt, der kann seinen Laden gleich zumachen. Sofern eben Reality-TV mit der Realität in Kontakt kommt. Schon nach zwei Folgen wird klar – das wird nie geschehen. Der Zuschauer sieht Fernsehen, das Realität inszeniert und simuliert. Zuschauer goutieren diese Art von Fernsehunterhaltung, die sich beim wirklichen Leben bedient. Dieser Unterhaltung wegen sind die „Probe-Erwachsenen“ so auffällig ahnungslos gecastet. Es muss ja eine beträchtliche Fallhöhe zwischen allgemeiner Aufgabe und invididueller Bewältigung zu besichtigen sein. Fernsehen, in dem nix passiert, ist kein Unterhaltungsfernsehen, sondern ein Umschaltimpuls.

Also passiert was. Bei „Erwachsen auf Probe“ sollen vier Paar aus acht Jungen und Mädchen zwischen 16 und 19 Jahren eine „soziale Reifeprüfung“ absolvieren. Sind sie in der Lage, als angebliche Teenager-Eltern sich um den frisch gezeugten Nachwuchs, um sich selbst und um den Alltag zu kümmern? Falsche Bäuche, Baby-Dummys und echte Babys liegen bereit. Es kommt, wie es kommt: Erfahrungen werden gemacht, Illusionen verloren, Einsichten gewonnen, „Naturtalente“ werden sichtbar, in einem Fall ist Nachschulung dringend geboten, Tränen fließen. Katja Kessler, Vierfach-Mutti, Bestseller-Autorin und Ehefrau von „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann („Ein Herz für Kinder“), gibt hier Frau Bohlen mit „Pali-Tuch“ und juriert die Eltern auf Probe. Allerweltsberatung mit Allerweltsfloskeln. Ob das Fernsehpublikum im selben Alter wie die „Probeläufer“ jetzt schlauer ist und das Kinderkriegen erst mal hintanstellt?

Die Machart der RTL-Sendung ist professionell, sie ist zurückhaltend, mal im Proll-Ton und minutenweise langweilig, zum Skandal taugt sie nicht wirklich. Also Aufregung abblasen? Nichts ist gut, wenn bei „Erwachsen auf Probe“ nichts und niemand zu Schaden gekommen sind. Ein selbstverständlicher Grundkonsens ist verletzt: Babys und Kleinkinder sind so wenig wie Behinderte oder Demente fernsehmündig. Das Restvolk kann sich bei vollem Bewusstsein im (privaten) Fernsehen zum Affen machen, bitte sehr, die Wehrlosen sind vor diesem medialen Missbrauch zu schützen. Anderenfalls folgt auf „Erwachsen auf Probe“ sogleich „Der Behinderten-Berater“, ultimativ gesteigert durch den „Demententausch“. Ist auch nicht umsonst, liebe Fernseh-Hiwis, der Sender zahlt eine attraktive „Aufwandsentschädigung“!

Der Aufklärungsgedanke, wie ihn RTL beim Big-Baby-TV propagiert, ist nur behauptet. RTL ist ein kommerzieller Fernsehsender, der nach Formaten sucht, die Publikum und Werbung finden. Das soll er machen, er ist ja Teil des TV-Kapitalismus. Darin liegt seine Autorität und nicht in der vorgeblichen Führerscheinprüfung von Minderjährigen für die Kinderaufzucht. „Erwachsen auf Probe“ ist ein Fernseh-Fake – und mehr als das: ein Ausplündern von Leben.

Wie verkehrt ist die Welt? Da schützen die Prominenten (und die Schlaueren) ihre Kinder mit allen nur denkbaren Mitteln vor falscher Öffentlichkeit, während die Nichtprominenten (und weniger Schlauen) sich selbst und ihren Nachwuchs vor die Fernsehkameras schubsen. Vielleicht hilft es dem einen oder dem anderen Publikumsteil ja. Kuck mal, dem geht es ähnlich mies, der hat ähnliche Probleme. Das erleichtert, das schafft Gemeinschaft. Danke, RTL-Fernsehen!

Babys, Behinderte, Demente gehören ins Fernsehen, natürlich. Aber der Unterschied in der Behandlung und in der Darstellung macht den Unterschied. Den entscheidenden. „Erwachsen auf Probe“ verwertet minderjährige, unschuldige Menschen als TV-Rohstoff, Spiel-Material, als Unterhaltungsfaktor. Wer das akzeptiert, der will nichts anderes, als über die Grenzverletzung neue Grenzen ziehen. Der ist ein Fernseh-Pornograf.

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