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Noch zu jung für das Internet? Für Kinder und Jugendliche ist es wichtig, früh zu lernen, mit dem Netz umzugehen, meint ein neues Buch.

© dpa

Erziehung und Internet: "Konstante Überwachung ist keine Lösung"

Das Internet verblödet unsere Jugend? Nein, sagen Tanja und Johnny Haeusler. In ihrem Buch „Netzgemüse“ werben sie dafür, Kinder und Jugendliche ruhig surfen zu lassen. Ein Gespräch über Wissen und Vertrauen.

Frau Haeusler, macht es Sie und Ihren Mann wütend, dass sich die Bücher von Internetkritikern wie Manfred Spitzer sehr gut verkaufen, der behauptet, das Internet lasse Gehirne schrumpfen?

Wütend nicht. Es macht mich nachdenklich. Und es besorgt mich, weil ich mich frage: Leben wir in einer Gesellschaft, die wild darauf ist, Horrorszenarien serviert zu bekommen?

Sie haben Ihr Buch geschrieben, weil Sie die Nase voll hatten von Behauptungen, das Internet produziere eine Generation von Dummköpfen.

Spitzers Buch ,Digitale Demenz’ gab es ja noch nicht, als wir angefangen haben, aber im Nachhinein ist es jetzt umso besser, dass es auch unser Buch gibt. Wir haben gesehen, dass sehr selten über die positiven Dinge berichtet wird. Immer dann, wenn etwas Schlimmes passiert ist, war sofort das ganze Internet schlecht und schuld. Und natürlich war stets eine ganze Generation in Gefahr. Diesem Alarmismus wollten wir etwas entgegensetzen.

Tanja Haeusler betreibt mit ihrem Mann Johnny, der auch für den Tagesspiegel schreibt, den Weblog „Spreeblick“, der mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet wurde. Gemeinsam haben sie „Netzgemüse“ verfasst. Sie leben mit ihren Söhnen (10 und 13) in Berlin.
Tanja Haeusler betreibt mit ihrem Mann Johnny, der auch für den Tagesspiegel schreibt, den Weblog „Spreeblick“, der mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet wurde. Gemeinsam haben sie „Netzgemüse“ verfasst. Sie leben mit ihren Söhnen (10 und 13) in Berlin.

© Doris Spiekermann-Klaas

Was wird denn durch das Internet hervorgebracht, eine Jugend wie immer oder eine andere?

Bestimmt eine andere – eine aufgeklärtere. Denn das Internet kann sie rausholen aus der rein passiven Konsumentenrolle.

Ist „Netzgemüse“ eine Liebeserklärung ans Internet oder an den Verstand unserer Jugend?

Beides. Ich finde schon, dass viele Jugendliche sehr selbstverständlich und kompetent mit dem Internet umgehen, auch wenn ich da in erster Linie für meine Kinder spreche. Es ist aber auch eine Liebeserklärung ans Netz, weil es wenig Situationen gibt, in denen ich so positiven Input bekomme wie etwa über Twitter. Diese 140 Zeichen sind in ihrer Reduktion wie eine kleine Postkarte, wie ein kleiner Blumenstrauß. Menschen teilen gute oder schlechte Gedanken, das ist authentisch, und das schätze ich wirklich sehr.

Könnte man sagen, es geht in dem Buch auch darum, unser Urvertrauen in uns und in unsere Kinder zu beleben?

Das müssen Eltern sich unbedingt erarbeiten, denn sie können nicht auf die Erfahrungen ihrer eigenen Kindheit zurückgreifen. Viele aus der aktuellen Elterngeneration hatten eben diese digitalen Möglichkeiten nicht. Wir sagen ja nur: Habt jetzt keine Angst davor, beschäftigt euch damit, macht euch kompetent, damit ihr eure Kindern besser begleiten und auch kontrollieren könnt! Das bedeutet aber auch zu verstehen, dass das Internet für Kinder eine große Spielwiese oder ein Pausenhof ist, der Spaß macht, wo Quatsch sein darf. Im Sinne des spielerischen Lernens ist da nichts Verkehrtes dran.

Was halten Sie denn von dem Urteil des Bundesgerichtshofes von Donnerstag: Eltern haften nicht für die illegal runtergeladene Musik ihrer Kinder, die diese im Netz auch weiterverbreiten?

Das Internet war nie ein rechtsfreier Raum und wird es auch durch das Urteil des BGH nicht. Dass aber konstante Überwachung, sei es von staatlicher oder von elterlicher Seite, keine Lösung für diese Tatsache sein kann, hat der Fall noch einmal gezeigt. In diesem Sinne freue ich mich über das Urteil und darüber, dass Eltern nicht das nächste Horrorszenario präsentiert wird, das sie zum Abschalten statt zum Hinschauen treibt.

Sind wir Erwachsenen das Problem?

Wir sind das Problem, wenn wir unsere Kinder aktiv abhalten oder ihnen misstrauen. Wir fragen uns dann gar nicht mehr, welche Persönlichkeit mein Kind, welchen Charakter das Medium hat.

Machen Sie nicht das Gleiche wie Spitzer? Er sagt „Teufelszeug“, Sie finden „alles super, kein Grund zur Sorge“.

Nein. Wir sagen das ja nicht. Ich kann natürlich nicht sagen, welche Auswirkungen das Internet langfristig auf Gesundheit, Psyche, Beziehungen haben wird. Aber wir dürfen deshalb nicht Diskussionen verhindern, indem wir das Ausschalten predigen. Das ist verantwortungslos und rückwärtsgewandt.

Im Buch schreiben Sie auch über Regeln und Kontrolle. Aber im Grunde platzt das Buch vor bejahendem Pathos. War das Absicht?

Ja. Das musste sein. Wir wollten die Gespräche und Probleme spiegeln, die Eltern mit ihren Kindern beim Abendbrot haben. Wenn sie Eltern fragen, wollen die meisten immer nur wissen, wie man was Schlimmes verhindern kann, wie man reglementieren kann. Wir wollten vor allem zeigen, dass das Netz den Familienalltag bereichern kann, Eltern aber trotzdem nicht davor kapitulieren müssen. Das Kapitel über Regeln ist eines der längsten im Buch.

Ihre Kinder und Sie als Eltern lösen im Buch immer alle Probleme gemeinschaftlich, fürsorglich, auf Augenhöhe. Manchmal denkt man, bei Ihnen herrscht eine Art revolutionäres Bullerbü oder sie seien so eine Art Supernetzfamilie.

Wie gesagt: Wir wollten das Positive in den Mittelpunkt rücken. Deshalb haben wir viele Anekdoten im Buch, die das beschreiben. Das heißt ja nicht, dass es nicht auch bei uns Frust, Streit und großes Scheitern gibt. Wir sind eine super Familie, aber keine Superfamilie!

Aber wo gibt es diese Familien, die so vernünftig streitbar mit ihren Kindern umgehen? Ist das Buch außerhalb des Bürgertums zu verstehen?

Ich glaube, das ganze Netz und seine offenen Möglichkeiten funktionieren nicht bei Menschen, die nichts vom Leben wollen. Aber bei diesen Menschen funktioniert die physische Welt auch nicht, denen kann ich mit meinem Buch vermutlich nicht helfen.

Aber die digitale Revolution findet ja nicht nur bei den „Helikopter-Eltern“ statt, die ihre Kinder rundum betreuen, sondern auch bei denen, die sich gar nicht kümmern.

Kaufen die sich Elternratgeber? Ich denke, dass das Internet und seine Möglichkeiten, sich zu bilden und sich Kompetenzen anzueignen, auch Kindern aus einem solchen sozialen Umfeld helfen kann. Niemand fragt im Internet, wie viele Bücher im Regal der Eltern stehen. Wenn du wissbegierig bist als Kind, hilft dir das Internet ohne Eltern.

Auch prekäre Schichten können profitieren, das Potenzial dazu bietet das Netz?

Absolut. Beeindruckende Lebensläufe von weit unten nach weit oben gab es auch schon vor der Erfindung des Internets. Mit dem Netz rückt ihre Wahrscheinlichkeit näher.

Sie vergleichen Youtube-Arbeiten, in denen etwas gezeigt oder angeleitet wird, mit ehrenamtlicher Tätigkeit. Geht es beim Ehrenamt nicht darum, bedingungslos zu helfen? Es geht nicht um Selbstzweck, Selbstbespiegelung wie im Netz.

Ich kann nicht sagen, was der ursprüngliche Impuls ist, um etwa ein Video auf Youtube hochzuladen. Ich glaube aber schon, dass es mindestens beide Seiten bedient. Sicherlich ist es Selbstzweck und Selbstbestätigung, aber eben auch gelebte Solidarität.

Ist der Vergleich mit dem Ehrenamt nicht deshalb anmaßend, weil es dem Netz eine Bedeutung beimisst, die es nicht hat?

Sagen wir doch Wissensspende, dann müssen wir nicht um Worte streiten. Aber von großer Bedeutung ist es ganz bestimmt.

Was kann das Internet nicht?

Im positiven Sinne langweilen.

Das Gespräch führte Armin Lehmann.

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