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Medien: Es geht ums „Jefühl“

„Die Kinder der Flucht“, eine dreiteilige ZDF-Doku

Von Caroline Fetscher

Januar 1945. Die Sowjetarmee erreicht Ostbrandenburg. Wer kann, der flieht. Familien mit Pferdekarren, Bündeln und Taschen stapfen durch den Schnee. „Da zogen wir dann los, eigentlich ins Nichts hinein“, erinnert sich ein Zeitzeuge, der damals ein kleiner Junge war. Gegen solche Sätze, das wissen die Filmemacher, die unter Guido Knopps Ägide „History“ im Hosentaschenformat aufbereiten, ist das Herz machtlos: Emotionen echter Menschen, die als echte Kinder, echte und bittere Not erfahren haben. Auf diesen Effekt setzt die dreiteilige ZDF-Serie „Die Kinder der Flucht“ von Hans-Christoph Blumenberg, die heute Abend mit einer märchenhaften Liebesgeschichte beginnt, die das Leben schrieb.

Kinder in Kriegswirren, generell oft als „unschuldige Kinder“ bezeichnet – was wären eigentlich „schuldige Kinder“? – liefern diese Geschichten, die man „nicht erfinden“ könne, wie ihre Fernseherzähler mitteilen. Da dürfen Elvira und Fortek 1946 in Bärwalde, das polnisch Mieszkowice heißt, ihre junge Liebe nicht in eine Ehe verwandeln, weil Elviras Vater in den Augen der Sowjets ein Klassenfeind ist - er betrieb eine Fabrik für Zollstöcke. Beide kommen zu Wort: „Das hat furchtbar weh getan, aber das war unser Schicksal“, erklärt der alte Fortek in die Kamera. Das Schicksal nahm weiter seinen Lauf, der in szenischen Fragmenten mit Schauspielern aus Deutschland und Polen „an Originalschauplätzen“ nachgestellt wird. Elvira landet erst in Sibirien, flüchtet dann mit den Eltern in den Westen und heiratet nie. Als die Mauer fällt, macht sie sich auf die Suche nach ihrem Liebsten von einst. Sie findet ihn, er ist geschieden und „wieder frei“, wie aus dem Off angesagt wird. So kommt es im Jahr 2005 zur Hochzeit. Zwei glückliche Greise tanzen wie Philemon und Baucis. Ob die Aufnahmen einem Homevideo entstammen oder für das ZDF noch einmal nachgestellt wurden, bleibt am Ende unklar.

Um Klarheit geht es ja auch nicht so sehr, bei dieser Art des Erzählens – oder auch Ausbeutens – von Geschichte anhand von Geschichten. Am Wegrand des Dargestellten finden sich weniger Daten und Tatsachen, die nur als alte Wochenschaufragmente gelegentlich vorbeiflimmern, sondern gute oder böse Russinnen und Russen, Polinnen und Polen und so weiter. Es geht ums „Jefühl“, wie Berliner das nennen.

Von weiteren „authentischen Erlebnissen aus einer finsteren Zeit“ handelt der zweite Teil über „Wolfskinder“ genannte Flüchtlinge: Kinder, die ihre Eltern verloren hatten, und Ende der vierziger Jahre durch Litauens Wälder zogen, von Gehöft zu Gehöft. Fünftausend von ihnen soll es gegeben haben. Die Geschwister der ostpreußischen Familie Liedke, Sieglinde, Irmgard, Waltraud, Rudi und Ulli, waren zwischen sechs und dreizehn, als ihre Mutter im Winter 1946/1947 verhungerte. Dramatisch und schaurig werden Szenen ihrer Odyssee durch Litauen nachgestellt: Im Wald heulende Wölfe, bettelnde Minderjährige, tückische Banden. Erst Mitte der fünfziger Jahre finden sich alle Geschwister wieder. Den Abschluss der Serie bildet „Breslau brennt!“, mit den Erinnerungen einer damals 14-jährigen Überlebenden an Sklavenarbeit, Vergewaltigung, Gräueltaten.

Heinrich Kenzler, eines der „Wolfskinder“ aus Litauen, verheiratet mit einer der Liedke-Schwestern, sagt an die Adresse der Zuschauer: „Die das jetzt sehen, die haben die Gewissheit, ich kann den Apparat abschalten. Wir konnten den Apparat nicht abschalten. Wir mussten da durch.“ Vor die Kamera treten für den Wolfskind-Teil der Serie nur die drei Liedke-Schwestern, von den Brüdern erfährt man kein Wort und sieht man kein Bild. Vielleicht haben sie sich ja der Fernsehvermarktung ihres Traumas verweigert.

„Die Kinder der Flucht“, ZDF, Teil 1: „Eine Liebe an der Oder“, heute, um 20 Uhr 15 Uhr; Teil 2: „Wolfskinder“, am 5. Dezember, um 20 Uhr 15 Uhr; Teil 3: „Breslau brennt“, am 12. Dezember, um 20 Uhr 15

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