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Journalismus extrem: Es muss nicht immer Krieg sein

„Afghanistan Today“: Einheimische Journalisten schreiben über ihr Land

Als der Mann von seiner Dienstreise nach Hause zurückkehrte, fand er einen Brief am Tor zu seinem Haus. Handschriftlich, aber mit Stempel und Unterschrift versehen. „Wir haben dich gewarnt“, stand da. Und: „Du stehst jetzt auf unserer Abschussliste.“

Eine Warnung der Taliban – der Mann aus Kandahar hatte für ein von den Amerikanern finanziertes Anti-Drogen-Projekt gearbeitet. Das passte den Taliban überhaupt nicht. Unterschrieben war der Brief von Mullah Najibullah Akhund, der sich als Verantwortlicher der Taliban-Gruppe in Kandahar bezeichnet. Im Hause des bedrohten Mannes erwartete seine Familie ihn bereits, sie hatte den Brief absichtlich hängen lassen, um ihm den Ernst der Lage bewusst zu machen. Er tauchte unter, seit zwei fast Monaten traut er sich nicht mehr nach Hause und schläft mal bei diesem, mal bei jenem Freund. Wie es weitergehen soll, weiß er nicht.

Geschichten wie diese von einem anonymen Autor, aber auch Reportagen über das afghanische Cricket-Team oder Opiate im Kräutertee finden sich auf der Homepage „Afghanistan Today“. Es sind Geschichten aus dem Alltag der Afghanen, meist etwas abseits des Krieges und der Attentate. Von dort eben, wo die westlichen Medien im Normalfall nicht berichten.

Friederike Böge ist die Chefredakteurin. In ihrem Büro in der Brunnenstraße in Berlin-Mitte erledigt sie gerade die letzten Vorbereitungen: Am heutigen Mittwoch fliegt sie wieder nach Kabul, um das Projekt, an dem sich gut zwanzig freie afghanische Journalisten beteiligen, vor Ort zu koordinieren. Es wartet viel Arbeit. „Allein der Prozess, einen Artikel von einem unserer Korrespondenten zu übersetzen, dauert eine Woche“, sagt Böge. Die Texte der afghanischen Journalisten in einer ihrer Landessprachen, Persisch oder Paschtunisch, werden zunächst direkt ins Englische übersetzt – und dann von Böge und einer englischen Kollegin weiterbearbeitet, bis sie schließlich in Deutsch und in Englisch auf der Internetseite erscheinen.

Am Montag ist die Seite mit rund zwanzig Texten und einem Blog offiziell online gegangen. Das seit Juli laufende Projekt wird vom Auswärtigen Amt finanziert. „Es geht einerseits darum, den afghanischen Journalisten gewisse Qualitätsstandards beizubringen“, sagt Böge. Oftmals würden diese nämlich nicht eingehalten: In den afghanischen Zeitungen erscheinen häufig Texte, die auf nur einer Quelle oder einem Gerücht basieren, oder die fünf „Ws“ (Wer? Wann? Warum? Wo? Wie?) werden vergessen. Am Anfang seien die Texte eine Katastrophe gewesen, meint Böge, „und wir mussten sehr viel nacharbeiten, inzwischen ist es schon viel besser geworden.“ Neben der Ausbildung für afghanische Journalisten geht es darum, den westlichen Blick auf Afghanistan zu erweitern. „Außer den harten Fakten vom Krieg und wie viele Tote es gegeben hat, erfährt man doch kaum etwas“, sagt Rolf Wolkenstein, der zweite von drei festen Mitarbeitern von „Afghanistan Today“ im Büro in der Brunnenstraße. Außer den Nachrichtenagenturen sowie dem „Stern“ hätte kein deutsches Medium einen ständigen Korrespondenten vor Ort. Dabei sei das Land dauernd Thema. „Wir legen den Fokus unserer Reportagen nicht auf den Krieg. Trotzdem haben die Geschichten häufig mit Krieg zu tun, weil der nunmal allgegenwärtig ist“, sagt Wolkenstein.

Nicht so in dem Stück über die Poster afghanischer Politikerinnen. Nach dem Wahlkampf ist ein reger Handel mit den Plakaten entstanden. Viele Afghanen bekommen außer ihrer Schwestern, Tanten, Cousinen und Mutter kaum eine Frau zu Gesicht, weil die große Mehrzahl noch immer nur mit verschleiertem Gesicht auf die Straße geht. Die Poster können so bis zu 20 Dollar wert sein – viel Geld in Afghanistan. Die Politikerin Simin Barakzai ist, zumindest offiziell, trotzdem überzeugt: „Wenn Leute meine Poster kaufen, tun sie das, weil sie meine Persönlichkeit schätzen.“

www.afghanistan-today.org

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