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Medien: „Es wird viel zu wenig indiziert“

Bei Videospielen hat die Selbstkontrolle der Industrie versagt, meint der Kriminologe Christian Pfeiffer

Herr Pfeiffer, erinnern Sie sich noch an die Moorhuhnjagd? Würden Sie das als Killerspiel bezeichnen?

Nein. Wenn ich den von der Politik geprägten Begriff richtig interpretiere, dann geht es bei Killerspielen um das Töten von Menschen oder menschenähnlichen Wesen.

In jedem Fall geht es um Fiktion. So wie in Filmen wie „Der Pate“, zu dem es auch ein Computerspiel gibt. Dennoch setzen Sie dabei unterschiedliche Maßstäbe an.

Es gibt aus den USA und Deutschland eindrucksvolle Forschungsergebnisse, wonach das aktive Spielen in der Rolle des Schutzgelderpressers oder des Mörders emotional etwas völlig anderes ist als das passive Anschauen eines Films. Der Spieler entscheidet bewusst, jemanden zu töten. Das Töten ist zudem nötig, um die Höchstpunktzahl zu erreichen. Im Lösungsbuch zum „Paten“ steht: „Beende diesen Mordauftrag, indem du Grossy im Backofen erledigst, und erhalte dafür den Bonus von 35000 Dollar.“

Man spielt also nicht nur nach, was durch den Film vorgeben ist.

Wenn man sich auf die zusätzlichen Brutalitäten einlässt, die nicht zwingend vorgegeben sind, hat man zwar im Spiel mit zusätzlichen Polizeikontrollen zu rechnen. Aber das reizt Profispieler erst richtig. Von der freiwilligen Selbstkontrolle der Spieleindustrie, der USK, wird dieses Töten en passant als nicht so schlimm bewertet. Dabei bringt gerade dies den zusätzlichen Kick.

Was bewirkt das Töten quasi im Vorbeigehen bei den Jugendlichen?

Es tritt eine gewisse Abstumpfung ein. Zugleich erhöht sich die Aggressivität. Ob sich das in Gewalthandlungen auswirkt, hängt von anderen Faktoren ab.

Um welche genau?

Zum Beispiel das soziale Umfeld der Betroffenen, ob es innerfamiliäre Gewalt gibt oder die Jugendlichen Mitglied in einer Clique sind, die es schick findet, Gewalttaten zu begehen. Aber auch schlechte Perspektiven im Alltagsleben – also ein armes Leben ohne die Chance auf Anerkennung – können eine Rolle spielen. Der Jugendliche, der in einem liebevollen Elternhaus aufwächst, wird von diesen Spielen nicht zum Killer. Erst wenn andere Faktoren hinzukommen, wird die Gefahr größer, dass er gewalttätig wird. Zu beachten ist ein weiterer Effekt: Je mehr Zeit man in solche Spiele investiert und je brutaler der Inhalt ist, desto schlechter werden die Schulnoten. Die zunehmende Leistungsschwäche der Jugend beruht auf diesem Faktor.

In der aktuellen Studie über die Alterseinstufung von Computerspielen durch die USK bemängeln Sie, dass die freiwillige Selbstkontrolleinrichtung zu lasch arbeitet. Warum irren die USK-Prüfer?

Zuerst zu den nackten Zahlen. Wir sind nur in 36 Prozent der Fälle zu den gleichen Ergebnissen gekommen wie die USK. In 38 Prozent haben wir die Spiele deutlich kritischer bewertet. Zu den Gründen: Zum einen sind die Normen, an die sich die USK halten muss, zu allgemein gehalten. Aber auch die Prüfordnungen und Handreichungen für die Gutachter sind nicht wirklich hilfreich. Wir haben für unsere Tester ein eigenes Prüfschema entwickelt, dass wir für erheblich geeigneter halten als das der USK.

Worin besteht der Unterschied?

Mit unseren Vorgaben zwingen wir die Tester dazu, dem Gutachter alle in einem Spiel enthaltenen Grausamkeiten präzise mitzuteilen. Unser Eindruck ist, dass die USK-Gutachter gar nicht über den vollen Umfang der Grausamkeiten informiert werden. Die Arbeitsteilung zwischen Tester und Gutachter ist eine entscheidende Schwachstelle der USK.

Wie kann man es erreichen, dass der Gutachter das ganze Bild sieht?

Zuerst muss eine Entflechtung stattfinden. Derzeit sind die Tester auch beratend für die Hersteller tätig. Der Cheftester der USK hat eingeräumt, dass die Spiele manchmal dreimal zwischen ihm und der Industrie hin und hergehen, bis die Fassung vorliegt, die das angestrebte Label 16plus oder 18plus erhält. Bei dieser Doppelfunktion muss man sich fragen: Für wen ist der Tester nun tätig, für die Industrie oder für die USK? Und es wird zu wenig gegen die Abstumpfungsprozesse getan, die sich einstellen, wenn jemand jahrelang solche Spiele prüft.

Aber es geht genauso um die Normen?

Wir wünschen uns eine deutliche Klarstellung. Wann immer ein Spiel den Spieler in die Rolle des Verbrechers bringt, der andere foltert oder tötet, ist das Spiel zur Indizierung zur Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zu schicken. Dann wären „Der Pate“ oder „GTA San Andreas“ von vornherein auf dem Index, weil sich ein Mord an den anderen reiht.

Wichtig ist doch, dass die Normen verstanden werden können, auch von den Eltern, die ja einen gewissen Einfluss darauf haben, was im Kinderzimmer gespielt wird. Der Vorschlag von Familienministerin Ursula von der Leyen, Spiele zu verbieten, wenn der Einsatz von Gewalt belohnt wird, geht in diese Richtung.

Diese Meinung teile ich. Frau von der Leyen hat klare Vorstellungen davon, dass die Zusammenarbeit von USK und Bundesprüfstelle deutlich verbessert werden muss. Das sehen wir genauso, wir sind der Meinung, dass viel zu wenig indiziert wird. Wenn wir dreimal so viel Indizierungen hätten wie jetzt, wäre das der große Durchbruch. Dann würde die Industrie risikoreiche Spiele in Deutschland nicht mehr auf den Markt bringen. Und wenn unsere europäischen Nachbarn ebenfalls mitmachen, wird die Industrie dazu gebracht, auf Gewalt in den Spielen zu verzichten. Das Entscheidende läuft aber auf einer anderen Ebene: Dass wir den Jungen nachmittags andere Herausforderungen bieten, die eine echte Alternative zu Computerspielen sind. Die Ganztagsschule ist dafür die Lösung, indem man dort Lust auf Leben weckt, indem man alles in die Schulen hereinholt, was den Jugendlichen Spaß machen könnte: Musik, Sport, Kultur.

Das Interview führte Kurt Sagatz.

Christian Pfeiffer , 63,

leitet das Kriminologische Forschungsinstitut in Niedersachsen. Von 2000 bis 2003 war Pfeiffer Justizminister des Landes Niedersachsen.

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