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Der Trainer: Lukas Schenke, 30 Jahre

© Philippe Ramakers/Intuitive Fotografie

eSports: Spielen ist Glauben

Profi-Gaming boomt, Millionen verfolgen die Pixel-Kämpfe. Die Teams trainieren hart – mit Coaches und Psychologen. Einer von ihnen ist Lukas Schenke.

Es beginnt wie ein sanfter Frühsommerregen, der auf ein Wellblechdach fällt. Klick, klick, klickklick. Doch das meditative Dröppeln stammt nicht von Regentropfen, sondern von fünf Computermäusen. Es sind die Mäuse des SK-Gaming-Teams, eine der zehn besten europäischen Profi-Gaming-Mannschaften.

Zu fünft sitzen sie in Jogginghosen vor Monitoren, überdimensionale Mauspads bedecken die Tische. „League of Legends“ (LoL) heißt das Spiel. Außer dem Klick-Klick ist es still in dem Raum in einem Industriegebiet in Nord-Charlottenburg. Die Spieler müssen sich konzentrieren. Ein Trainingsspiel hat gerade begonnen. Über ihren Köpfen hängt ein großes Banner des SK-Teams an der Wand. „Gaming is believing“ prangt darauf, „Spielen ist Glauben“.

Die wahre Welt ist die digitale. Der abgedunkelte Raum mit dem Raufaserteppich ist nur die Umkleide, wo die Spieler in ihre Rollen schlüpfen. Wer anhand der leicht abgestandenen Luft und der weichen Gesichtszüge der Spieler urteilt, versteht das Phänomen eSports nicht. Er ist eine seltsame Mischung aus unkörperlichem Leistungssport und einer schon fast autistischen Versenkung in eine künstliche Welt. Profi-Spieler kennen alle Daten der Spiele-Welt. Alle Feinheiten der Charaktere, jeden Quadratpixel der Karten. Millionen schauen auf Streaming-Plattformen wie Twich.tv zu, wenn die Stars der Szene auf den immer gleichen Karten mit den immer gleichen Figuren gegeneinander kämpfen. Wer am schnellsten, am intuitivsten, am geschicktesten spielt, gewinnt. Moderatoren kommentieren die rasanten Spielzüge mit sich überschlagenden Stimmen, brüllen und stöhnen. Rausch der Gefühle. Es ist wie Fußball. Immer ähnlich, niemals gleich.

Die Gegner sind noch nicht in Reichweite

Noch hat das Klick-Gewitter seine volle Stärke nicht erreicht. Die Gegner sind noch nicht in Reichweite. Die Spielfiguren des Teams, die Champs, laufen bisher entspannt durch den digitalen Dschungel der „League of Legends“-Karte. Simon Payne, Dennis Johnsen, Hampus Myhre, Adrian Wübbelmann und Christoph Seitz heißen die Spieler hinter den Pixel-Figuren. Ihre bürgerlichen Namen kennt so gut wie niemand. Doch als „fredy112“, „Svenskeren“, „Fox“, „CandyPanda“ und „nRated“ werden sie weltweit von vielen Millionen Fans gefeiert. Nur ab und an werden kurze Kommandos ausgetauscht. Alles auf Englisch. Das Team ist international.

Hinter ihnen sitzt der Trainer: Lukas Schenke, 30 Jahre. Er passt am wenigstens ins Klischee. Sportlich, blond, Strickpullover, still sitzen fällt ihm schwer. Er ist ein Quereinsteiger im eSports. Bis vor Kurzem studierte er Sportpsychologie, seine Masterarbeit beschäftigte sich mit Computerspielen. An der Universität ein experimentelles Feld. Nach dem Studium heuert er bei dem Team von SK Gaming an, das damals gegen den Abstieg kämpft. Zuerst weiß das Team nicht, was es erwarten soll. Doch die nächsten Wettkämpfe laufen gut. Lukas Schenke bleibt und wird fester Bestandteil des Teams. Dabei sind Sportpsychologen in den eSports eine Neuheit, Schenke ist bis heute eine Rarität. Und das, obwohl großer Bedarf besteht.

Ähnlich wie bei Spitzenathleten und Ballettänzern beginnt eine Gamer-Karriere in sehr jungen Jahren. Die meisten Spieler werden Profis, wenn sie 17 Jahre alt sind. Sie unterbrechen die Schule und ziehen um die halbe Welt, um in den begehrten Teams zu spielen: leben in fremden Städten, entwurzelt, ohne Freunde, fern der Eltern.

Das Team von SK Gaming wohnt deswegen zusammen in zwei WGs in Berlin. Alltagssprache ist Englisch. Nur zwei der fünf Jungs kommen aus Deutschland, der Rest aus Großbritannien, Dänemark und Schweden. In wenigen Jahren werden sie zu alt sein. Die Reflexe lassen nach. Das Gehirn reagiert nicht mehr intuitiv genug auf die sekundenschnellen Spielzüge der Gegner. Umso mehr dreht sich ihr Leben derzeit um den Job. Der Druck, gute Leistung zu zeigen, steigt mit jedem Erfolg. Die Fans sind erbarmungslos, Gaming ist für sie kein Spiel. Für die Psyche eines Jugendlichen oder jungen Erwachsenen ist das eine schwere Belastung.

Da kann jeder ansprechen, was ihn bedrückt

„Ich mache deswegen jeden Montag eine Runde. Da kann jeder ansprechen, was ihn bedrückt“, sagt Lukas Schenke, „wer grade keinen Bock mehr hat oder seine Freundin mal wieder sehen will, hat hier den Raum.“ Ebenfalls angesprochen wird, was in der Zeit nach dem Profi-Gaming kommt. „Doch unsere Spieler wollen davon meist nicht viel wissen. Zu weit entfernt“, sagt Lukas Schenke.

Er ist der große Bruder des Teams. Die Spieler begrüßt er per Fistbump, dem Faust-anFaust-Gruß. Neben ihm sitzt der Datenanalyst des Teams. Er wertet am Ende die Züge der Spieler aus. Auch er ist noch keine 20 Jahre. Mit seinen Analysen versucht Schenke, die anderen Teams zu durchschauen. „Ich mache das wie Joachim Löw und jeder andere Trainer auch“, sagt Schenke. Dann schlägt er seinen Spielern Gegentaktiken vor. In der Runde diskutieren sie, ob die Pläne des Coaches umgesetzt werden können. Sind sie schnell genug, um mit den vorgeschlagenen Zügen das andere Team überraschen zu können? Oder müssen sie eine defensivere Taktik spielen? Am Ende entscheiden die Spieler, was möglich ist. Ihr Verständnis des Spiels ist dem des Coaches überlegen, der selbst League of Legends nie professionell gespielt hat.Nachdem Schenke das Team als Psychologe betreut hatte, übernahm er auch die Position des Coaches. „Ob die Spieler das so gut fanden, weiß ich nicht“, sagt er, „es war zuerst nur als Übergangslösung gedacht.“ Er betreut das Team jetzt sowohl taktisch als auch psychologisch - er ist der, zu dem man mit seinen Problemen kommt.

Hinzu kommen die öffentlichen Wettkämpfe

Doch wenn man ihn nach seinen Trainingsmethoden fragt, verfliegt die Kumpel-Atmosphäre. Dann spricht Schenke von Teamhygiene und sozialem Back-up. Er redet schnell und ausdauernd. Teampsychologie ist für ihn die Königsdisziplin in der Sportpsychologie. Egal, ob die Spieler Bälle in Tore dreschen oder Pixel über Bildschirme jagen. Ein Team, das Spannung nicht bewältigt, bringt keine guten Leistungen. Hinzu kommen die öffentlichen Wettkämpfe. Mit Atemübungen versucht Schenke, Spielern die Versagensängste bei Auftritten vor Millionen von Fans zu nehmen.

League of Legends ist ein Spiel, bei dem sich ständig die Regeln ändern. Alle paar Wochen erscheinen Patches, die die Feinabstimmung der Champions leicht ändern. Amateurspieler bemerken diese kaum. Für Profispieler sind es Erdbeben in ihrem Berufsalltag. Alte Taktiken sind nicht mehr viel wert.

Hinzu kommt die ständige Bedrohung aus Fernost. Denn die League-of-Legends-Welt wird aus China, Japan und vor allem Südkorea beherrscht. Dort kommen die besten Spieler her, dort sitzt das große Geld. Die südkoreanischen LoL-Kader bestehen aus 20 bis 30 Spielern, die je nach Taktik zu 5er-Teams zusammengestellt werden. Ihre Strategien sind gut gehütete Geheimnisse. Die kleineren europäischen Teams müssen fürs Training gegen gegnerische Teams spielen und verraten ihre Taktik so schon früh. Für das Team von SK Gaming heißt das, ständig mit einem überlegenen Gegner zu kämpfen.

Derzeit laufen die Qualifikationsspiele zur Weltmeisterschaft, deren Finale noch in diesem Jahr in Berlin stattfindet. Acht Spiele hat das Team bereits verloren, nur drei konnte es für sich entscheiden. Das drückt auf die Psyche. „Doch das Team hat das überraschend gut weggesteckt“, sagt Lukas Schenke und grinst. „Ich war derjenige, der am meisten am Rad gedreht hat.“

Michel Penke

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