zum Hauptinhalt
Krisentreffen. Miriam (Julia Koschitz, links) offenbart Lene (Barbara Auer) ihre tödliche Erkrankung. Foto: ZDF

© Barbara Bauriedl

Familiendrama: „Pass gut auf ihn auf“

Ein ZDF-Film, der in der Schmerz- und nicht in der Herz-Schmerz-Zone spielt.

Wenn das Leben eine Wahrscheinlichkeitsrechnung wäre, dann wäre dieser ZDF-Film eine Ohrfeige für das Leben. Was wird bei „Pass gut auf ihn auf“ nicht alles in 90 Minuten zusammengezwungen! Miriam (Julia Koschitz), so um die 30, könnte glücklicher nicht sein. Der 50-jährige Ingmar (Filip Peeters) hat seine Frau und die gemeinsamen drei Kinder verlassen, ist zu ihr gegangen, das Paar hat Zwillinge bekommen. Aber dann haut diese Schreckensnachricht dazwischen: Miriam hat Bauchspeicheldrüsenkrebs, „nicht reparabel“, wie sie sagt. Allen verschweigt sie den Befund, denn sie hat einen Plan: Ingmar soll nach ihrem Tod zu Lene (Barbara Auer) zurückkehren, aus den beiden Familien soll eine große werden. Ihr Mann, der nüchterne Ingenieur und oft abwesend von zu Hause, kann das alleine nicht schaffen.

Klingt nach der Kitschnummer schlechthin, im Herz-Schmerz-Fernsehen würde sich der Schmalz in derartiger Springflut ins Wohnzimmer ergießen, dass der Zuschauer sich nur noch mit Spikes unter den Schuhen unfallfrei durchs Zimmer bewegen könnte. Dieser Film entgeht der Peinlichkeit vor allem dadurch, dass er aus der Geschichte heraus Fragen an sein Publikum stellt: Können Menschen vergeben, sich versöhnen, kann eine (todkranke) Frau zum ersten Mal in ihrem Leben das Glück anderer zum Ziel haben, ohne dass sie zur falschen Heiligen wird?

Jeder im Publikum von „Pass gut auf ihn auf“ wird das für sich zu entscheiden haben. Sofern er sich mit dieser Frage überhaupt konfrontiert sieht. Die Produktion entwickelt eine solch große wie souveräne Sogkraft, dass Distanz kaum möglich und kaum nötig ist. Autorin Britta Stöckle macht die Zuschauer zu Komplizen. Sie wissen um Miriams Krebs, von dem ihre Umgebung sehr viel später erfahren wird. Das hebt die Geschichte, verschafft ihr Spannung: Wann und wem wird sich Miriam offenbaren, bleibt ihr genug Zeit zur Familienzusammenführung, wie reagieren die Betroffenen? Das provoziert eine Menge anrührender Momente, dramatisch gesteigert und psychologisch verfeinert, wenn es um die beiden Frauen geht: die lebensfröhliche Miriam, die verlassene Lene, gekränkt und doch mehr und mehr in neuer Umlaufbahn, nicht weil sie Pfarrerin ist, sondern weil sie nach einer augenöffnenden Begegnung mit Miriam ihre feindliche Haltung überdenkt. Was sie als „Midlife-Crisis“ von Ingmar und als Miriams Venusfalle verurteilt hat, das war auch ihr Versagen, sie trägt Mitschuld am Scheitern der Ehe.

Entscheidend für die Intensität der 90 Minuten ist die Inszenierung von Regisseur Johannes Fabrick. Zusammen mit Kameramann Helmut Pirnat findet er pointierte Bilder fern von triefender Bedeutsamkeit, speziell die Übergänge zwischen den Szenen justieren das mögliche Melodram als Drama. Fabrick erzählt eine Menschengeschichte und keine Fernsehstory. „Pass gut auf ihn auf“ verzichtet auf Überwältigungsrhetorik. Und danke, dass der Musikeinsatz so wohltemporiert ist.

Wer von Leistungen der Crew hinter der Kamera schwärmt, der darf von den Leistungen des Ensembles nicht schweigen. Speziell der Schauspielerinnen nicht. „Pass gut auf ihn auf“ startet als Solo von Julia Koschitz und weitet sich zum Beziehungsfilm zwischen ihrer Miriam und der Lene von Barbara Auer. Das gilt es zu rühmen: Koschitz findet Einblicke und Ausblicke für ihre Figur, sie individualisiert sie, wie stets die Gefahr der Thesenträgerin droht, Barbara Auer grundiert ihre ach so starke Pastorin mit Zerrissenheit und Ratlosigkeit. Zwei Menschen am Rande ihrer Gewissheiten und auf dem Weg zu neuer Überzeugung und Entschlossenheit – darin brillieren Julia Koschitz und Barbara Auer. „Pass gut auf ihn auf“: ein adventlicher Film, der sich nicht an den Weihnachtsmann verkauft, sondern das Leben feiert.Joachim Huber

„Pass gut auf ihn auf“, ZDF, Montag, 20 Uhr 15

Zur Startseite