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Medien: Fast schon Kult

Die jüdische Theologin Ruth Lapide erzählt im Bildungskanal von Bayern Alpha über ihre „Biblischen Gestalten“

Jeder kennt die Bibel. Kaum einer hat sie wirklich gelesen. Ob Bibel-TV, seit Oktober 2002 über Satellit zu empfangen, oder das Jahr der Bibel daran etwas ändern wird? Dem kirchlichen Fernsehen ist einiges zuzutrauen. Schließlich ist es ihm auch gelungen eine außergewöhnliche Reportagesendung wie „37 Grad“ (ZDF) zu etablieren. Wenn es aber um die Bibel geht, wie beispielsweise im „Wort zum Sonntag“, gerät der Ton zur Predigt, die Inhalte manchmal zwanghaft politisch, da wird ökumenisch und geschlechtlich quotiert. Kurz: Es wird oft langweilig.

Ausgerechnet beim Bildungsableger des Bayerischen Rundfunks ist jetzt ein Fernsehpflänzchen gewachsen, das anders ist, vielleicht beispielhaft. So wie die Moderatorin der Sendung, die jüdische Theologin und Historikerin Ruth Lapide. Nach zwanzig Folgen ist „Biblische Gestalten“ (Bayern Alpha; freitags, 20 Uhr 15) auf dem besten Weg zum Kult. Das liegt vor allem an der Frau, deren Energie kaum zu bremsen ist. Manchmal presst sie die Lippen aufeinander, um sich zu zügeln, doch dann holt sie dramatisch aus und rollt mit ihrem bayrischen Akzent heran.

Wir treffen uns in Frankfurt, der Stadt, in der Ruth Lapide seit mehr als 30 Jahren lebt. Wie alt sie ist? „Was sind Jahre, was bedeutet ein Kalender?“ entgegnet sie und schweigt. Wer wie Ruth Lapide mit den Gestalten der Bibel lebt, dem bedeutet Alter nichts. Die im Laufe der Jahrzehnte zahlreicher gewordenen Fältchen im Gesicht sind sympathisch. Ein freundliches, manchmal verschmitztes Lächeln spielt um den rot-geschminkten Mund.

Ruth Lapide ist eine Geschichtenerzählerin, die jedes Medium zu nutzen weiß. Als Lehrende an der Universität, als Vortragsrednerin, bei ihrer TV-Sendung oder mitten auf dem Weihnachtsmarkt von Michelstadt. Sie braucht kein Manuskript. „Da“, sagt sie und tippt sich mit dem Zeigefinger an den Kopf, „da ist alles drin.“ Und sie erzählt von „Simson – dem Löwenkiller“, „Rahab – der Hure von Jericho“ oder von Adam und Eva. „Adam war ein Schwächling“, sagt sie. „Er sitzt einfach nur da. In der Bibel heißt es: Und er nahm von der Frucht und aß.“ Da sei keine Rede von Verführung. „Adam ist ein sturer, nicht widersprechender und lethargischer Mit-Esser.“ Ruth Lapides Sichtweise ist plakativ. Oberflächlich ist sie nicht. Sie springt zwischen Altem und Neuem Testament hin und her, um dann im Jetzt zu landen. „Hanna, konnte keine Kinder kriegen, sie litt sehr darunter. Ich glaube man kann sagen, sie war krank. In der Bibel steht, sie aß nicht mehr, sah schlecht aus. Ich denke, sie hatte vielleicht so etwas wie Magersucht.“ Ruth Lapides Augen funkeln, wenn sie für sich und den Zuschauer die Menschen der Bibel lebendig werden lässt. „Ich fühle mich in sie hinein.“ Wenn sie von den Sticheleien, den Übergriffen, den Intrigen, aber auch vom Glück erzählt, klingt es, als sei sie selbst dabeigewesen, so als wären die Figuren der Bibel ihr Freunde und Verwandte. In der Bibel sucht und findet sie ihre eigenen Wurzeln und vielleicht auch das Zuhause, das die deutsche Jüdin selbst nie hatte.

In den 30er Jahren wächst Ruth Lapide in einem Dorf nahe Würzburg auf. Als ihre Eltern von den Nazis verhaftet und ihr Vater in Dachau eingesperrt wird, kann sie fliehen. Sie versteckt sich in den umliegenden Wäldern. Viel später gelingt ihr die Flucht nach Palästina. Dort wächst sie unter den häufig verarmten Überlebenden des Holocaust auf. Dennoch bleibt die Bibel ihr Zuhause, ein Ort aus dem sie nicht vertrieben werden kann.

„Es ist eine Zeit“, sagt Ruth Lapide, „die ich im Gedächtnis weggeschlossen habe. Ich möchte mir meinen optimistischen Zugang zur Welt erhalten.“ Ruth Lapide ist längst aus der Opferhaltung herausgetreten. „Ich gebe Deutschland noch eine Chance“, sagt sie und vergleicht ihr Verhältnis zu Deutschland mit dem einer Braut, die von ihrem Bräutigam sehr, sehr schlecht behandelt wurde. Doch nach einer Weile denkt die Braut, dass es lohnend sein könnte, es noch einmal mit diesem Mann, den sie ja liebt, zu versuchen. Eine Liebe zu Deutschland? 1970 kehrt sie mit ihrem Mann Pinchas Lapide nach Deutschland zurück. „Wir wurden von den Universitäten, den Kirchen darum gebeten. Es gab Menschen, die wollten sich ernsthaft mit dem Holocaust und der Entfremdung zwischen Juden und Christen auseinander setzen.“ Dass man heute in Deutschland weiß, dass Jesus und seine Eltern Juden waren, rechnet sie unter anderem auch ihrer Aufklärungsarbeit an.

„Ich lese die Bibel nur im hebräischen Original“, sagt Ruth Lapide, die weitere acht Sprachen fließend beherrscht. So stieß sie auf zahlreiche Übersetzungsfehler. „Das Kainsmal“, sagt sie, „ist kein Zeichen der Schuld, sondern eins der Bewährung.“ Und auch bei dem bekanntesten Bibelspruch „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ handele es sich nicht um die rächende Selbstbedienung des Geschädigten. „Vor Gericht wird dem Geschädigten damit ein Höchstmaß an Entschädigung garantiert“, sagt Lapide. Ruth Lapide bringt die beiden Teile des Testaments, die für die meisten Christen und Juden gegeneinander zu stehen scheinen, zusammen. Wer solche Positionen vertritt, wird nicht nur gelobt. „Ich bin eine Frau, eine Jüdin, eine Witwe und spreche Dinge aus, die nicht alle hören wollen“, sagt sie. „Deshalb muss bei mir alles 120-prozentig richtig sein.“ Die Bibel ist für Ruth Lapide nicht nur tägliche Lektüre, sondern auch auch Beistand und Ratgeber: Es gibt immer einen Weg. Habt Mut und Zuversicht. Das ist ihre Botschaft.

Ruth Lapide lebt ihren Glauben. Sie feiert die jüdischen Feste, hält den Sabbat ein, isst koscher. „Das ist geradezu avantgardistisch“, sagt sie. Der Frankfurter Hof, in dem sie gerade von vergangenen Jahrtausenden berichtet, ist darauf nicht eingestellt. Einige Male verschwindet der Kellner in der Küche. Forellen? Nein, die stünden heute nicht auf der Karte. Vegetarisches? Vielleicht einen Salat? Sie nimmt die Nudeln – ob die ohne Fleischbrühe sind, kann der Kellner nicht in Erfahrung bringen. Ruth Lapide ist geduldig.

„Ich mag Menschen“, sagt sie. Über den Wunden der Vergangenheit hat sich eine neue dünne Haut gebildet. Ruth Lapide kann die kleinen Dinge im Leben heute genießen. Und sie hält fest an ihrem großen, fast kindlichen Traum von einer besseren Welt. Doch die Ressentiments sind ihr in den vergangenen Jahren immer näher gekommen. „An den Enden meines eigenen Umfeldes franst es aus.“ Kurz vor Weihnachten kommt dann die Frage an die Frankfurterin: „Fahren Sie über die Feiertage nach Hause? „Gemeint war Israel“, sagt Ruth Lapide. Nein, hat sie auf die Frage augenzwinkernd geantwortet, ich fahre dieses Jahr nicht nach Bayern.

Doch Lapide bemerkt auch positive Entwicklungen. Beispielsweise die Reaktion der deutschen Wähler auf die Verlockungen durch Möllemann. „Die Abfuhr, das hat mir besonders gefallen“, sagt sie. Eine Liebe zu Deutschland.

Das Begleitbuch zur Reihe: „Kennen Sie Adam, den Schwächling?“ von Ruth Lapide und Walter Flemmer, ist gerade im Kreuz Verlag erschienen.

Ursula Engel

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