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Medien: Faszination Töten

Von Thomas Gehringer Billy J. Heflin weiß genau, wie viele Vietsen er getötet hat: 36.

Von Thomas Gehringer

Billy J. Heflin weiß genau, wie viele Vietsen er getötet hat: 36. Ein Freund hat ihm gesagt, wer im Krieg töte, komme nicht in die Hölle. So stehe es in der Bibel. Aber Heflin meint, er komme doch in die Hölle, er habe zu viele grausame Dinge getan. Am Ende erklärt der Kriegsveteran, er würde gerne noch einmal nach Vietnam gehen und wieder töten. Warum? „Ich vermisse es.“ Der Mann sitzt im Rollstuhl und nimmt Tabletten im Dutzend.

Der Dokumentarfilm „First Kill“, in dem der amerikanische Ex-Soldat zu Wort kommt, zählte zu den verstörendsten und zugleich beeindruckendsten Beiträgen der „Cologne Conference“, des Kölner Film- und Fernsehfestivals, das jedes Jahr in zwei Top- Ten-Reihen (Non-Fiction, Fiction) herausragende und hier zu Lande noch nicht ausgestrahlte Stoffe zeigt. Die Niederländerin Coco Schrijber erzählt in „First Kill“ von der Grenzüberschreitung des Menschen, vom Töten, genauer: vom staatlich legitimierten Töten im Krieg. Sie stellt uns Männer vor, die zugeben, dass ihnen das Töten anfangs fremd war, doch schließlich Spaß gemacht hat. „Wenn Krieg die Hölle wäre und nur die Hölle, glaube ich nicht, dass die Menschen weiter Krieg führen würden“, sagt Michael Herr, früherer Kriegsberichterstatter und Co-Autor von „Apocalypse Now". Demnächst soll „First Kill“ in Programmkinos laufen.

Krieg und Gewalt waren nicht die einzigen, aber beherrschende Themen bei der „Cologne Conference". Die Auswahl der Jury, die aus rund 800 gesichteten Stoffen 20 auswählte, belegt, dass sich Filmemacher auf vielfältige Weise mit der „dunklen Seite des Menschen“ (Michael Herr) auseinander setzen. Dabei auf die Abbildung von Gewalt zu verzichten, ist nicht möglich und auch nicht sinnvoll. Das deutlichste Plädoyer dafür lieferte der in diesem Jahr Oscar-nominierte Dokumentarfilm „War Photographer“ von Christian Frei. Der Schweizer Filmemacher porträtiert darin den amerikanischen Kriegsfotografen James Nachtwey und begleitet ihn zu verschiedenen Schauplätzen, vom Kosovo bis nach Indonesien.

Zwar ist die professionelle Abgebrühtheit der Branche für das Publikum zuweilen befremdlich, etwa wenn „Stern"-Redakteure im gut geheizten Büro Leichen-Fotos überschwänglich („Super-Bilder“) kommentieren. Doch der stille und sanft wirkende Nachtwey blickt mit einer enormen Ernsthaftigkeit, mit Mut und Sensibilität durch seinen Fotoapparat auf die Welt – um sie zu verändern. Frei lässt das Publikum an Nachtweys Perspektive teilhaben, indem er seine Filmkamera zuweilen auf der Kamera des Fotografen installiert. „War Photographer“ ist wie „First Kill“ keine leicht verdauliche Kost, und man kann befürchten, dass deutsche TV-Einkäufer angesichts der aktuellen Gewaltdebatte abwinken. Bisher jedenfalls hat sich kein Sender für die Filme interessiert.

„Es wird viel über Mediengewalt laut und hilflos geredet“, klagte ZDF-Fernsehspielchef Hans Jahnke bei der Eröffnung der „Cologne Conference“, bei der der neue Mankell-Mehrteiler „Die fünfte Frau“ gezeigt wurde. Das Fernsehen könne nicht auf Gewalt verzichten, es komme aber darauf an, wie sie präsentiert werde. Der Eröffnungsfilm, der im ZDF erst nach 22 Uhr gezeigt werden wird, gebe darauf „eine beiläufige, praktische Antwort“, meinte Jahnke.

„Die fünfte Frau“ (wieder mit Rolf Lassgard in der Hauptrolle) wurde von Birger Larsen sehr düster inszeniert, die „dunkle Seite“ ist auch ästhetisch ständig präsent. Kommissar Wallander hat es mit einem Rachefeldzug gegen Männer zu tun, die ihre Frauen gequält haben. Weniger die seltenen Gewaltszenen als die bedrückende Geschichte und die entsprechende Bildsprache verstören. Am Ende kann Wallander das letzte Opfer nur retten, indem er seine eigene Schuld offenbart – eine differenzierte Auseinandersetzung mit Gewalt und ein spannendes Programm, das das Publikum unterhalten soll.

Abgesehen von den Eigen- und Co-Produktionen – dem Mankell-Stoff oder „Normal People“, einem Nachkriegs-Porträt Jugoslawiens aus der ORB/ZDF-Nachwuchswerkstatt „Ostwind“ – konnte bisher überhaupt nur ein Film der „Cologne Conference“ die TV-Einkäufer aus Deutschland überzeugen: In der US-Serie „24“ bleiben CIA-Agent Jack Bauer (Kiefer Sutherland) genau 24 Stunden, um ein Attentat auf den US-Präsidenten zu verhindern. In den 24 Folgen wird jeweils eine Stunde in Echtzeit erzählt. RTL hat sich die Rechte an dem raffinierten Actionstoff gesichert, doch welches Mitglied der RTL-Familie „24“ ausstrahlen darf, ist noch unklar. Dagegen ist selbst die Serie „Band of Brothers“, eine Produktion von Steven Spielberg und Tom Hanks über US-Fallschirmjäger im Zweiten Weltkrieg, nicht unterzubringen. Zu teuer, zu patriotisch, heißt es.

Darf man bei all dem noch lachen? Man muss sogar, wenn man „Six Feet Under“ von Oscar-Preisträger Alan Ball („American Beauty“) gesehen hat, eine herrlich makabre US-Serie über einen Bestattungsunternehmer. Die Ironie der Geschichte: „Six Feet Under“, an dem angeblich das ZDF Interesse hat, gehört zur Konkursmasse der Kinowelt AG. Soviel zum Thema Bestattung.

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